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Flucht in fremde Welt: Film über Kindertransporte 1939  
  10.000 - vor allem jüdische - Kinder mussten kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges vor den Nationalsozialisten fliehen. Die Kinder aus Österreich, Deutschland, Polen und der Tschechoslowakei wurden mit Zug und Schiff nach England in Sicherheit gebracht. Daran erinnert der preisgekrönte Dokumentarfilm "In eine fremde Welt. Into the Arms of Strangers".  
Von Nachbarn verraten
Bild: WarnerBros
"In eine fremde Welt" - mussten tausende jüdische Eltern 1938/1939 ihre Kinder schicken. Diese sogenannten Kindertransporte nach England wurden bald nach den Novemberpogromen 1938 organisiert. Otto Deutsch aus Wien-Favoriten war damals knapp elf Jahre alt und schildert seine Erinnerungen an die Novemberpogrome auf Radio Österreich 1. Noch heute ist er erschüttert über das Verhalten der damaligen Nachbarn:

"Wie sich unsere Nachbarn benommen haben, das kann ich bis heute nicht vergessen. In der Kristallnacht haben zwei Hitlerjungen heraufgeschrien: 'Sind bei Euch Juden?' Keiner wollte uns verraten; nur unser Nachbar - der mit meinem Vater im Ersten Weltkrieg im Schützengraben gelegen war, den ich 'Onkel' nannte - der hat uns verraten. Und so haben sie meinen Vater mitgenommen."

Der Vater sowie die Mutter und Schwester von Otto Deutsch wurden später von den Nationalsozialisten in der Nähe von Minsk ermordet, erzählt er science.ORF.at. Otto Deutsch fuhr mit dem Zug am 25.7.1939 von Wien Richtung England ab.
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Filmvorführung in Wien
An die Kindertransporte kurz erinnert der preisgekrönte Dokumentarfilm "In eine fremde Welt. Into the Arms of Strangers". Er erzählt mit historischen Dokumenten und zahlreichen Interviews von Zeitzeugen und Zeitzeuginnen die Geschichte der nach England verbrachten Kinder, ihre Empfindungen und ihr weiteres Leben am Fluchtort während des Zweiten Weltkriegs und danach.
Der Film wird am 11. und 12.12.2007 in Anwesenheit der Zeitzeugen Bertha Leverton, Otto Deutsch und Hanny Hieger sowie der Produzentin Deborah Oppenheimer, selber Tochter eines der "Kinder", in der Wiener Urania gezeigt. Es gibt noch Restplätze. Kontakt: presse@nationalfonds.org oder milli.segal@chello.at.
->   Into the Arms of Strangers (WarnerBros)
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"I came alone"
Mit Otto Deutsch stiegen in Wien 48 weitere Kinder in den Zug, wie aus einem Faksimile hervorgeht, das in dem Buch "I came alone" von Bertha Leverton abgedruckt ist. Dabei handelt es sich um eine Aufstellung der Kultusgemeinde Wien über die "abgefertigten Kindertransporte vom 10.12.1938 - 22.8.1939". Aufgelistet werden 43 Transporte mit insgesamt 2.844 Kindern.

Das Dokument hat Levertons Schwester in Archiven ausfindig gemacht, wie Bertha Leverton science.ORF.at erzählt. Sie war selbst mit einem der Kindertransporte nach England gekommen.

1990 hat sie ihre Geschichte und die Geschichte von 250 "Kindern" in dem Buch "I came alone. The Stories of the Kindertransports" veröffentlicht.
Kindertransporte und Flucht vor den Nazis
Zwischen Dezember 1938 und August 1939, nach den Pogromen der sogenannten "Kristallnacht" und kurz vor Kriegsbeginn, wurden 10.000 - meist jüdische - Kinder aus Deutschland, Österreich und der Tschechoslowakei in Sicherheit vor dem NS-Regime gebracht. Per Zug und Schiff nach Großbritannien.

Die Rettungsaktion wurde als "Kindertransporte" bekannt. Auf die Reise durfte jedes Kind einen Koffer mitnehmen. Der Inhalt war vorgeschrieben: kein Schmuck, kein Geld, keine Wertgegenstände, keine Musikinstrumente oder Fotokameras.
"Man hat uns die Kindheit genommen"
Bertha Leverton war 16 Jahre alt, als sie aus München nach England fliehen musste. Einige Gegenstände von damals besitzt sie noch heute, wie sie auf Ö1 schildert:

"Ich habe noch ein Buch. Ich habe damals Zigaretten-Coupons gesammelt. Das Buch hieß 'Gestalten der Weltgeschichte durch vier Jahrhunderte' und das waren Repliken von Gemälden. Dann hatte ich in meinem Koffer ein Silberbesteck, das mir meine Oma zum ersten Geburtstag gekauft hat. Eine Gabel davon ist noch da - mit meinem Namen eingraviert. Sonst habe ich nichts mehr; vielleicht ein paar Fotografien."

Bertha Levertons Familie konnte übrigens nach fünf Jahren Flucht vor den Nationalsozialisten ebenfalls nach England fliehen. Eine "ganz verwunderliche Sache", wie die Dame zu science.ORF.at meint, denn von 80 Prozent der Kinder seien die Eltern ermordet worden. In ihrem Buch schreibt Leverton übrigens, dass sie "ein Grab zu besuchen habe", was den anderen Kindern leider nicht möglich sei.
Erzählen gegen das Vergessen
Bertha Leverton und Otto Deutsch leben heute beide in England. Sie erzählen ihr Schicksal immer wieder, vor allem jungen Menschen. "Die Jugend ist unsere Hoffnung. Unsere Hoffnung, dass so etwas nie, nie wieder passieren kann", sagt Otto Deutsch im ORF-Radio.

Barbara Daser, Ö1 Wissenschaft, 11.12.07
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01.01.2010