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Vampirismus: Ängste zu Zeiten der Aufklärung  
  Die Aufklärung hat die Welt zwar "entzaubert" und Aberglauben durch Wissen ersetzt. Zugleich aber wurde immer auch eine Kehrseite produziert: neue Ängste, neue Befürchtungen. Im 18. Jahrhundert entwickelte sich an der österreichischen Grenze in Südosteuropa die ganz neue Angst vor Vampiren. Der Ethnologe und Religionswissenschaftler Peter J. Bräunlein geht ihr anlässlich einer Tagung in Wien in einem Gastbeitrag nach.  
Furchterregende Randzonen der Aufklärung
Von Peter J. Bräunlein

Die Faszinationsgeschichte des Vampirs beginnt im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts und ist ein Besatzungsphänomen. Ist doch das Heimatgebiet des Vampirs just jene Region Südosteuropas, die die damalige österreichische Militärgrenze bildete. In den Jahren zwischen 1724 und 1760 häufen sich genau dort Vampirismusfälle. Opfer sind vorwiegend serbische Neusiedler.

Wie trat der "Vampyrus Serviensis" in Erscheinung? Bekannt werden Nachrichten von plötzlichen Sterbefällen und darauffolgenden Leichen-Exhumierungen. Die ausgegrabenen Toten werden geköpft oder gepfählt und schließlich verbrannt.

Auslöser sind plötzliche Todesfälle verbunden mit merkwürdigen Krankheitssymptomen: Schmerzen im Magen-Darm-Trakt, Kontraktionen der Oberleibsmuskulatur, Zittern, Hitzewallungen, Herzangst, Schreien, Alpträume von wiederkehrenden Toten.

Die Dorfbevölkerung ist überzeugt, dass wiederkehrende Tote die Schuld tragen. Die Exhumierung erhärtet den Verdacht: die Leiche ist nicht verwest und aus Nase und Mund tritt Blut aus, das den Opfern ausgesaugt wurde.
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Vom 14. bis 15. 12. findet die Tagung "Befürchtungen des 18. Jahrhunderts" statt.
Ort: IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften, Reichsratsstraße 17, 1010 Wien.
->   Mehr zur Veranstaltung (IFK)
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"Vampyrologie" als wissenschaftliches Genre
Die Militärverwaltung ist über derlei Vorfälle höchst besorgt, vermutet den Ausbruch einer Seuche und entsendet Untersuchungskommissionen. Militärärzte obduzieren Leichen, sprechen mit der Lokalbevölkerung und verfassen Gutachten, die nach Wien gesendet werden.

Der Befund ist beunruhigend: Die exhumierten Leichen zeigen wenig oder keine Verwesungsspuren. Die Berichte erreichen nicht nur die Verwaltungsbürokratie, sondern auch die Öffentlichkeit.

Immer neue Vorfälle machen den Vampyrismus zu einem Thema der gelehrten Welt. In akribischen Studien wird nach der antiken Vorgeschichte und den Verwandten des serbischen Vampirs in Mähren und Schlesien gesucht, diskutiert werden die Nähe zu Hexen- und Zauberpraktiken, und man bringt theologische und schließlich auch hermetische Erklärungsansätze in Anschlag. Ein eigenes wissenschaftliches Genre, die "Vampyrologie", ist geboren.
Kaiserlich-königliche Kampagne gegen Aberglauben
Eine neue Qualität erlebt die Vampir-Debatte Mitte der 1750er-Jahre, als Maria Theresia höchstpersönlich in die Debatte eingreift. Auslöser sind erneut eine Reihe von Todesfällen und darauffolgende Leichenschändungen, die zwischen 1754 und 1756 aus dem Banat, Mähren und der Walachei gemeldet werden. Die örtliche Bevölkerung führt gegen die verdächtigten Untoten Prozesse, öffnet Gräber, schändet Leichen. Die Kaiserin wünscht Aufklärung.

Unter maßgeblichem Einfluss des kaiserlichen Leibarztes und Protochirurgen der Armee, des Freiherrn Gerhard Van Swieten (1700-1772) werden nun rechtliche Maßnahmen zur Bekämpfung des Vampyr-Aberglaubens eingeleitet. Nicht nur der Vampirglaube, sondern auch jede andere Form des Aberglaubens, wie Wahrsagerei, Schatzgräberei, Divination und Hexenverfolgung werden auf höchste Anordnung hin untersagt.

Die Kampagne mündet in das "kaiserlich-königliche Gesetz zur Ausrottung des Aberglaubens, sowie zum rationalen Verfahren der kriminalistischen Beurteilung von Magie und Zauberei", das Teil der neuen Constitutio Criminalis Theresiana wird.
Verschiedene Ängste werden sichtbar
Am Thema Vampyr werden Ängste und Befürchtungen der Aufklärung auf unterschiedlichen Ebenen sichtbar. Den Befürchtungen der Aufklärer stehen die Ängste der Betroffenen gegenüber. Militär und Medizin kämpfen gegen Eindringlinge an der Reichsgrenze.

Nicht nur das Territorium, sondern auch Körper und Geist waren bedroht. Der Feldzug gegen den Vampyrismus erhielt alsbald eine politisch-rechtliche und territoriale Dimension. Nicht autorisierte Prozesse gegen Tote, Leichenfledderei, die Gefahr einer Epidemie und die Seuche des Aberglaubens mussten abgewehrt werden.

Nicht nur Ärzte und Militärs hatten ein Problem zu lösen, sondern auch Religionspolemiker und professionelle Theologen. Der Vampir ist, wie der christliche Heilige, ein 'ganz besonderer Toter'. Das Heiligen-Modell war jedoch auf beängstigende, ja blasphemische Weise verkehrt, und so fühlte sich selbst der Papst, es war Benedikt XIV., gedrängt, die "Nichtigkeit des Vampirglaubens" theologisch zu erläutern.

Neben den Abwehrreflexen der Kirche, der Militär-Medizin und der rationalistischen Aberglaubenskritik, finden sich nun auch hermetische Deutungen des Vampir-Phänomens. Das Theorieangebot erweitert sich: geliefert werden mystische, spiritualistische und psychologische Erklärungen für die "Kräfte der menschlichen Phantasie".
Die Gestalt lebt bis heute weiter
Letztendlich sind es gerade die wissenschaftlich Bemühungen um die Zerstörung abergläubischer Gespinste, die dem Paradox der lebenden Toten Plausibilität verleihen. Allmählich verliert der Vampyr an Lebenskraft in der kolonialen Peripherie, und feiert stattdessen seine Auferstehung im bürgerlichen Zentrum des Reichs.

Dass die Gestalt des untoten Blutsaugers bis heute sein Lebenselixier aus der nicht nachlassenden Faszinationskraft des gebildeten Lese- und Filmpublikums bezieht, ist ebenso erklärungsbedürftig wie das einstige mörderische Treiben des "Vampyrus serviensis" und wirft zudem ein eigenes Licht auf das Nachleben der europäischen Aufklärung. Aber das ist eine andere Geschichte.

[14.12.07]
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Peter J. Bräunlein, PD Dr., promoviert im Fach Ethnologie, habilitiert an der Universität Bremen in Religionswissenschaft. Feldforschung zu indigener Kosmologie der Mangyan (Mindoro), von 1996 bis 1998 religionswissenschaftliche Forschung zu philippinischen Passionsritualen. Von 2000-2006 Hochschuldozent im Fachgebiet Religionswissenschaft an der Philipps-Universität Marburg, Leiter der Religionskundlichen Sammlung. Im Winter 2005/06 war er als Senior Fellow am IFK im Schwerpunktprogramm "Kulturen des Blicks". WS 2006/07 und SS 2007 Vertretungsprofessur an der LMU München (Religionswissenschaft); derzeit Vertretungsprofessur (Ethnologie) an der Universität Freiburg/Br. Publikation (u. a.): Die Rückkehr der "lebenden Leichen". Das Problem der Untoten und die Grenzen ethnologischen Erkennens, in: KEA - Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Vol. 9/1996 [TOD], S. 97-126.
->   Peter J. Bräunlein, Universität Freiburg
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01.01.2010