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"Nicht bewältigt": Sprechen über NS-Zeit  
  Wenn ein prominenter Literat von der "Auschwitzkeule" redet oder ein deutscher Bischof missliebiger Kunst den Stempel "entartet" aufdrückt, dann ist der Eklat programmiert. Doch in den meisten Fällen ebbt die allgemeine Erregung binnen weniger Tage wieder ab - bis zum nächsten "Knall".  
Den öffentlichen Sprachgebrauch in Deutschland nach 1945 zur NS-Vergangenheit haben die beiden Düsseldorfer Linguisten Georg Stötzel und Thorsten Eitz in einer umfangreichen Forschungsarbeit analysiert und jetzt auf 786 Seiten als "Wörterbuch der 'Vergangenheitsbewältigung'" veröffentlicht.
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Thorsten Eitz/Georg Stötzel: Wörterbuch der "Vergangenheitsbewältigung", Georg Olms Verlag, Hildesheim 2007.
->   Das Buch im Georg Olms Verlag
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Viele Begriffe bis heute umkämpft
Der Verwendung von rund 1.000 "diskursrelevanten Vokabeln" von "Auschwitz" und "Ausmerzung" bis "Wehrmacht" und "Wiedergutmachung" in Medien, Bundestagsprotokollen oder Justizakten aus rund 60 Jahren hat das Forscher-Duo akribisch nachgespürt.

Das "bis heute gespaltene Bewusstsein der Deutschen" lasse sich gerade da nachweisen, wo es um Bezeichnungen für Beginn oder Ende der NS-Diktatur gehe, fanden sie etwa heraus. Begriffe wie "Machtübernahme" oder "Machtergreifung", "Kapitulation" oder "Befreiung" seien bis heute umkämpft. "
"Wehrmacht" setzte sich nicht durch
Aus der Sicht der Sprachwissenschaft können wir zeigen, dass die Deutschen mit dem Thema nicht fertig werden, wir haben keine einheitlichen Vokabeln".

Wohl kaum jemand dürfte sich noch erinnern, dass 1955/56 als Name für die Armee der jungen Nachkriegsrepublik ernsthaft zunächst an "Wehrmacht" gedacht wurde, war doch das Vorgängerheer auch in Hitlers Weltkrieg angeblich "sauber" geblieben.
"Bewältigung der Gegenwart"
Die heftig kritisierten NS-Vergleiche würden über die Jahrzehnte besonders bei der katholischen Kirche, der Umwelt- und Friedensbewegung häufig genutzt, fiel Stötzel und Eitz auf: "Das sind die, die besonders stark warnen wollen." Da werde aus Abtreibung rasch "Auschwitz" und aus der Pille das Mordgas "Zyclon B".

Nur Wochen nach der damals aufrüttelnden TV-Serie "Holocaust" wurde 1979 das neue Horrorwort für den Völkermord an Europas Juden von Atomkraftgegnern zur Warnung vor der Nuklear-Gefahr genutzt. Aus einer nicht bewältigten Vergangenheit werde so eine "Bewältigung der Gegenwart", meinen Stötzel und Eitz.
Bewusste Instrumentalisierung
Wer seine Rhetorik "dynamisieren" wolle, der greife entweder ganz nach oben ("Fußballgott") oder tiefstmöglich in die sprachliche Schreckenskammer drastischer NS-Bezeichnungen, notieren die beiden Wissenschaftler nüchtern.

Pikanter Widerspruch: Gerade die Ereignisse, die im allgemeinen Verständnis als historisch einzigartig dastehen, werden durch die NS-Vergleiche am meisten relativiert.

Die Wortwahl geschehe "zum Zweck der Instrumentalisierung in heutigen Auseinandersetzungen", und das wohl meist mit klarer Berechnung, wissen die zwei Wissenschaftler.
DDR als neuer Metaphern-Pool
In jüngerer Zeit werde der bewusste Tabubruch, das gezielte Kratzen am "Konsens der Einmaligkeit" der NS-Verbrechen, aber so inflationär eingesetzt, dass er nicht mehr zuverlässig funktioniere. Als neuer "Bild-Spendebereich" trete daher zunehmend die DDR- Geschichte an: Aus "Gestapo-Methoden" werden in der öffentlichen Rede nun häufiger mal "Stasi-Methoden".
Kritik bei Nazi-Verharmlosungen nötig
Für die beiden sachlich analysierenden Wissenschaftler aber ist eines klar: Wenn Rechtsaußenpolitiker in Parlamenten den Luftkrieg der Alliierten gegen Hitler-Deutschland einen "Bomben-Holocaust" nennen, dann diene dies eindeutig der "Aufrechnung" und dann sei politische Kritik vonnöten.

Der Streit gesellschaftlicher Gruppen um die "richtigen" Worte - selbst beim heiklen NS-Thema - hat allerdings auch etwas Beruhigendes.

Die Düsseldorfer Sprachwissenschaftler: "Es gibt keine Deutungshoheit; ein einheitlicher Sprachgebrauch existiert nur in totalitären Gesellschaften."

Gerd Korinthenberg, dpa, 19.12.07
->   Germanistik, Uni Düsseldorf
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01.01.2010