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Sieg und Niederlage: Krieg als Vater aller Bilder  
  Emporgerissene Arme, die geballte Faust, das Victory-Zeichen: Momente des Sieges sind immer mit bestimmten Gesten verknüpft. Der Kulturwissenschaftler Zoran Terzic geht der Herkunft dieser Äußerungen des Körpers nach und findet sie vor allem im Krieg. Ein besonderes Anschauungsbeispiel ist für ihn der Jugoslawien-Krieg. Scheinbar nebensächliche Bilder konnten hier die ganze Monstrosität des Konfliktes zum Ausdruck bringen.  
Bild: Ron Haviv/Blood and Honey
science.ORF.at: Auf einem Bild des Fotografen Ron Haviv aus dem Jugoslawienkrieg sieht man eine vierköpfige Familie, deren Köpfe von irgendjemandem weggekratzt wurden. Der Unbekannte hätte das Bild auch wegwerfen oder verbrennen können. Stattdessen hat er sich diese Mühe gemacht, warum?

Zoran Terzic: Darauf gibt es verschiedene Antworten. Kommunikationstheoretisch würde ich sagen: Man muss einen zusätzlichen Aufwand vollbringen. Es ist weit bedeutungsvoller, ein Foto zu zerkratzen als es wegzuwerfen. Man will auf diese Weise etwas demonstrieren.

Mit Vilem Flusser lässt sich sagen, dass dieser zusätzliche Aufwand gleichbedeutend ist mit Kommunikation schlechthin. Er nennt das Informationsknoten und meint damit einen Aufwand, der sich dem natürlichen Verfall der Welt, der Entropie, entgegenstellt. Aus Sicht der Sprechakttheorie könnte man sagen: Das Bild selbst wird zur Handlung.

Meiner Meinung nach gibt es in dem Akt aber auch eine Art Mysterium. Mich interessieren Situationen wie diese, in denen es eigentlich um nichts mehr geht - das Foto wurde irgendwo im Schutt entdeckt, es war nicht klar, ob es überhaupt jemals gefunden wird. Man wollte damit ein Zeichen setzen, so wie auch die Amerikaner ihre Fahne in den Boden des Mondes gerammt haben.
->   Ron Haviv: Blood and Honey
Vom Mond kennen wir die Fernsehbilder, kennt man von dem Foto die Hintergrundgeschichte und ist sie überhaupt relevant?

Für mich nicht. Aus politischer Sicht lässt sich natürlich argumentieren, dass es auf die Einzelheiten ankommt. Ich bin aber kein Politikwissenschaftler. Wenn jeder den politischen Jargon in der Wissenschaft benutzt, verlieren wir wichtige Zugangsebenen.

Für Ron Haviv war das Bild eines aus einer Serie mit klassischen Kriegsmotiven: Leid, Militär, Tod. Mich interessiert nicht so sehr das Offensichtliche des Kriegs, womit er sich als Fotojournalist befassen musste, sondern die angeblichen Nebenschauplätze, wo der Krieg vielleicht noch deutlicher wird als beim Blutvergießen.
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Vortrag am IFK
Zoran Terzic hält am Montag, den 14. Jänner 2008 um 18.00 c.t. am IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften einen Vortrag mit dem Titel "Triumph des Zeigens. Zur politischen Phänomenologie von Sieg und Niederlage".
Ort: IFK, Reichsratsstraße 17, 1010 Wien
->   Mehr zu der Veranstaltung
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Sind diese Nebenschauplätze die eigentlichen Hauptschauplätze?

Ja und Nein. Ich betrachte das wie ein Filmbild mit Nebendarstellern im Hintergrund. Bei Stanley Kubricks "Shining" gibt es eine Szene, in der Jack Nicholson im Vordergrund ein Gespräch führt, im Hintergrund füllt sich währenddessen ein Saal mit Menschen.

Der Regisseur gab den Darstellern die Anweisung, beim Reden nicht künstlich die Köpfe zu bewegen, sondern sich einfach und natürlich zu unterhalten. Sie sollten nicht schauspielern. Das ist wichtig, denn das wird im Film auch wahrgenommen. Wenn man darauf nicht achtgibt, ändert sich das Gesamtbild. Und das würde ich auch für den Krieg so sehen: Wenn man hier nicht auf die vermeintlichen Nebenschauplätze schaut, verändert sich das Gesamtbild.
Das Verhältnis von Vordergrund und Hintergrund ist auch wichtig für die Repräsentation von Sieg und Niederlage, die sie als "Triumph des Zeigens" bezeichnen.

Michel Foucault hat gezeigt, wie der historische Diskurs ein Diskurs ist, der den Vordergrund zusammen mit dem Hintergrund festlegt. Er nennt das die Historie römischen Typs. Der Imperator braucht immer einen Geschichtsschreiber, der die Taten und Begründungen, die vergangene und gegenwärtige Herrschaft sowie die Sicherung dieser Herrschaft in der Zukunft darstellt - das ist der Vordergrund der Geschichte, wie wir sie auch in der Schule lernen.

Nebenschauplätze wie Oral History sind ein sehr junges Phänomen. Foucault hat darauf hingewiesen, dass es diese "Historie des Vordergrundes" gibt.
->   Audio: Zoran Terzic über die "Regisseure" von Kriegen (wma-Datei)
Gab und gibt es in Analogie zu Kubrick auch beim Balkankonflikt einen Regisseur?

Es gibt die angesprochene Vorstellung, wonach die großen Vordergrundindividuen - die Führer -die Geschichte gestalten. Das ist zugleich richtig und falsch, weil sie ja selbst auch gestaltet werden. Nur: Wie passiert denn das Gestalten? Dadurch, dass eine Differenz gesetzt wird, eine bestimmte Eignung von Charakteren entsteht und es eine große Gefolgschaft gibt.

Es entwickelt sich auch eine Art vorauseilende Gefolgschaft, die so überzeugt von den Qualitäten des jeweiligen Führers ist - denken wir etwa an die Intellektuellen von Milosevic -, dass sie den eigentlichen Führer sogar überflügelt.

Um wieder auf Kubrick zu kommen: Er wusste, dass seine Schauspieler mehr leisten mussten, als er erwartet. Er hat viele seiner Szenen bis zum Überdruss wiederholen lassen, so lange, bis die Schauspieler gut genug waren und seinen Vorstellungen entsprochen haben. Hier kommt es zu einer Umdrehung von Führern und Geführten. Vielleicht könnte man in Umkehrung eines bekannten Satzes sagen: Führer, folge uns!
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Buch-Hinweis
Zoran Terzic: Kunst des Nationalismus, Kulturverlag Kadmos, Berlin 2007
->   Das Buch im Verlag Kadmos
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Auch im vergleichsweise friedlichen Österreich 2008 gibt es permanent Sieger und Besiegte. Gleichgültig ob in der Politik, im Sport oder anderswo werden dabei immer bestimmte Zeichen verwendet, etwa das Victory-Zeichen. Woher stammen sie?

Es gibt eindeutige Insignien des Triumphes: das unbewusste Hochreißen der Arme etwa oder die geballte Faust. Die Möglichkeit dazu ist oft angeboren, Babys können etwa den Stinkefinger zeigen, was mit der Konstitution der Hand zu tun hat. Auch die Hörnergeste ist angeboren, wo der Zeigefinger und der kleine Finger gespreizt werden.

In der Sozialisation werden diese Dispositionen zu einem symbolischen Vokabular ausgearbeitet. Es ist in der Kulturgeschichte des Menschen ganz logisch: Je weniger äußere Instrumente er hat, desto mehr ist er auf Körpergesten verwiesen. Der Mensch ist nach Flusser eine kommunikologische Existenz, es ist für ihn notwendig, seine Absichten zu äußern.

Studien über das gestische Vokabular des Körpers zeigen etwa die Herkunftsgeschichte der Hörnergeste. In ihr vermischen sich verschiedene Überlieferungen: Zeus, der oft als Stier dargestellt wird, in Form eines Horns; Moses, der oft durch einen Strahlenkranz charakterisiert wird.

Das ganze gipfelt in der Krone, corna und corona sind im Lateinischen auch sprachverwandt. Viel später steht das Hochreißen der Arme in dieser Tradition, was auch einen Horncharakter hat - ebenso wie das Victory-Zeichen.
Im Italienischen steht die Horngeste eher für das Gehörnt- bzw. Betrogenwerden. Wie kam es zum Übergang vom Triumph zum Betrug?

Man kann horizontale von vertikalen Gesten unterscheiden. Die horizontale Horngeste, die es ja auch bei Rappern gibt, entspricht dem Sinn des Gehörntseins, die Hörner werden in das Hinterteil gespießt sozusagen, sie stacheln einen an. Das ist eine Verschiebung vom Zeichen des Sieges zu einer Geste der Vertreibung. Wenn man die Geste nach oben richtet, gibt es niemanden, der einem im Weg ist, alles was nach oben zeigt, ist eine Art metaphysische Befreiung.

Die Arme nach vorne zu reißen ist vielleicht Zeichen einer Bootsfahrt oder eines Yogakurses, aber keine Befreiung, wie wenn man sie nach oben reißt. Für mich sind auch Triumphbogen umgekehrte Hörnergesten, bei denen die Hörner sozusagen in den Boden gerammt werden.
Der Ursprung all dieser Gesten ist Ihrer These zufolge der Krieg.

Ja, wobei ich darunter den Tatbestand von Sieg oder Niederlage, den Urkampf um Ressourcen verstehe. Auch hier wieder Kubrick: Die Darstellung der Uraffen zu Beginn seines Films Odyssee 2001 im Weltraum zeigt, wie die Bewusstwerdung des Menschen, die Menschwerdung funktioniert.

Ein Affe spielt mit einem Knochen und entdeckt ihn als Werkzeug. Später wird daraus ein tödliches Werkzeug und der Konflikt um die Ressource einer Wasserpfütze geht blutig aus. Bevor es zu dem Schnitt in den Weltraum kommt, wirft der Affe den Knochen in die Luft - und das ist für mich eine Urgeste der Macht, ein Zeichen des Triumphes.
Von diesem Urkrieg zu den heutigen, welche Konsequenzen sehen Sie?

Der Sieg alleine reicht nicht, man will, dass sich der Sieg auch symbolisch fortsetzt in der Zeit. So entsteht die Vorstellung einer Zukunft und eines zukünftigen Reiches. Im 20. Jahrhundert ist die Vorstellung der Tausendjährigkeit sehr prominent, und zwar nicht nur im Dritten Reich.

Viele Diplomaten sprechen heute noch von der tausendjährigen Kultur ihres Landes, eine Zeitspanne, auf die man national stolz ist. Rückblickend ist das politisch korrekt. Wenn aber jemand sagt, die nächsten 1000 Jahre gehören uns, denkt jeder sofort an Hitler, obwohl das genauso konstruiert ist wie der Blick zurück.

Die Urpunkte der Kulturen sind meistens Schlachten: die Kosovoschlacht, die Hermannsschlacht etc. Tausend Jahre hat Schmiss und symbolischen Wert. Die Nationalstaaten, die im 19. Jahrhundert gegründet wurden, haben ein parasitäres Verhältnis zur Geschichte, weil sie sie vorverlagern: Martin Luther wird als Begründer der deutschen Sprache und Nation gefeiert. Dabei weiß man, dass sich Sprachen weiterentwickeln und uns Luther heute gar nicht verstehen würde.

Was früher bei den Imperatoren plumpe Eroberungen und plumpe Symbole waren, ist heute die Kultur, die Geschichte der Kulturen und ein gewisses Alter, das sich historisch erarbeitet hat.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 14.1.08
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Zoran Terzic wurde 1969 in Banja Luka geboren, ist in den 70er-Jahren nach Deutschland gekommen und besitzt einen deutschen Pass. Er bezeichnet sich als Antinationalist. Terzic ist derzeit Research Fellow am IFK Wien.
->   Zoran Terzic, IFK Wien
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01.01.2010