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Holocaust: Pro und kontra "Bilderverbot"  
  Steven Spielbergs Spielfilm "Schindlers Liste" hat versucht, die Schrecken des Holocausts exemplarisch an einer Fallgeschichte zu zeigen. Claude Lanzmann hat in seiner bahnbrechenden Dokumentation "Shoah" hingegen stundenlang Überlebende erzählen lassen. In der Kulturwissenschaft wird eifrig darüber diskutiert, wie und ob der Holocaust überhaupt visuell darstellbar ist.  
Eine Veranstaltung in Wien geht einem aktuellen Anlass dieser Debatte nach: Ein französischer Kunsthistoriker hat vier Bilder veröffentlicht, die u.a. das Sterben im KZ Auschwitz dokumentieren.

Damit stellte er herrschende kulturwissenschaftliche Annahmen in Frage, meint der Fotohistoriker Anton Holzer in einem Gastbeitrag.
Du sollst Dir ein Bild machen!
Von Anton Holzer

Im Sommer 1944 gelang es dem polnischen Widerstand, einen Fotoapparat in das KZ Auschwitz einzuschmuggeln. Dieser geriet schließlich in die Hände der Mitglieder eines sogenannten "Sonderkommandos", das waren jene Mannschaften, die von der SS aus dem Kreis der Häftlinge zusammengestellt wurden, um die Gaskammern zu "bedienen".

Vier der Bilder, die mit diesem Apparat entstanden, sind erhalten. An welchem Tag genau die Fotos entstanden, die das Gelände um das Krematorium V zeigen, ist nicht bekannt. Überliefert ist lediglich, dass ein griechischer Jude namens Alex die Kamera bediente und dass ein weiterer Häftling namens David Szmulewski sowie weitere Häftlinge bei der überaus gewagten Aktion mithalfen.

Das belichtete Stück Film wurde in das zentrale Lager zurückgebracht und schließlich von Helena Datón, einer Angestellten der SS-Kantine, in einer Zahnpastatube versteckt, aus dem Lager Auschwitz herausgebracht. Am 4. September 1944 erreichten die Fotos den polnischen Widerstand.
Die Bilder
 
Bild: Georges Didi-Huberman

Verbrennung von Getöteten, KZ Auschwitz, August 1944, Fotos angefertigt von einem Mitglied des Sonderkommandos (aus: Georges Didi-Huberman: Bilder trotz allem, München, Paderborn: Wilhelm Fink Verlag, 2007).
Frage nach der Darstellbarkeit der Shoah
Georges Didi-Huberman beschäftigt sich in seinem neuesten Buch mit diesen vier Fotografien aus Auschwitz. Er nennt sie "Bilder, trotz allem".

Der Autor rekonstruiert minutiös die Wege und die Überlieferung der vier Fotografien, aber es geht ihm eigentlich nicht darum, der Geschichte des Holocaust noch eine weitere Facette, jene der Fotos aus Auschwitz, hinzuzufügen.

Sein Anliegen reicht viel weiter: Sein Buch ist eine faszinierende, weil überaus differenzierte Auseinandersetzung mit der - philosophischen, ästhetischen und historischen - Frage nach der visuellen Darstellbarkeit der Shoah.
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Veranstaltungshinweis
Am 23. Jänner 2008 findet ab 15.00 Uhr am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften (IFK) der Workshop "Bilder trotz allem? Georges Didi-Huberman und die Kontroverse um die Bilder aus Auschwitz" statt.
Ort: IFK, Reichsratsstraße 17, 1010 Wien
->   Programm des Workshops
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Heftige Debatte in Frankreich
Der erste Teil des Bandes geht auf einen Beitrag zurück, den Didi-Huberman im Jahr 2000 als Beitrag für den von Clément Chéroux herausgegebenen Ausstellungskatalog "Mémoires des camps. Photographies des camps de concentration et dèxtermination nazis 1933-1999" (die Ausstellung wurde u.a. in Paris, München und Winterthur gezeigt) verfasst hatte.

Der zweite Teil ist die Antwort auf eine heftige Debatte, die dieser Beitrag - und die ganze Ausstellung - in Frankreich hervorgerufen haben.
Vorwurf von "Schulmeisterei" ...
Im deutschsprachigen Raum wurde verhältnismäßig wenig über diese Debatte berichtet. Und so wird der Kern dieser Auseinandersetzung erst im Laufe des Buches deutlich. Worum geht es? Die Diskussion um die Ausstellung "Mémoires des camps" und vor allem um den Katalogtext Didi-Hubermans, der sich mit den vier Fotos aus Auschwitz beschäftigte, drehte sich um die Frage, ob der Holocaust in fotografischen (und filmischen) Bildern darstellbar sei.

Am 19. Jänner 2001 attackierte der Filmemacher Claude Lanzmann in einem Interview mit der Tagezeitung Le Monde "die unerträgliche interpretatorische Schulmeisterei", die Didi-Hubermans Katalogbeitrag kennzeichne.
... und "Voyeurismus"
Einige Monate später erschienen in der (von Claude Lanzmann herausgegebenen) Zeitschrift "Les temps modernes" zwei überaus polemische Texte, der eine stammte vom Psychologen Gérard Wajcman, der andere von der Psychoanalytikerin Élisabeth Pagnoux. Beide griffen Didi-Huberman frontal an. "Es gibt", so beginnt der Text von Wajcman, "keine Bilder der Shoah."

Die Autoren warfen Didi-Huberman "Voyeurismus" und "Vergnügen am Entsetzen" vor, sie sahen in seiner Argumentation eine unzulässige religiöse Fetischisierung des fotografischen Bildes und sie kritisierten den in ihren Augen unzulässigen Versuch, die Unvorstellbarkeit der Shoah durch die Fokussierung auf die vier Fotografien zu leugnen.

Schließlich warfen sie ihm implizit auch vor, Antisemitismus und Revisionismus zu fördern.
Antwort: Bilder haben gar nicht so viel Macht
Didi-Hubermans Buch ist über weite Strecken eine Auseinandersetzung mit der von beiden Autoren vorgebrachten Position. Es ist der Versuch, den Boden der Polemik zu verlassen und das Thema - die ästhetischen Möglichkeiten der Darstellung des Holocaust - in grundsätzlicher Hinsicht zu beleuchten.

Im Mittelpunkt seines Interesses stehen fotografische Bilder und filmische Beiträge. Er kritisiert die ikonoklastische Haltung, die rabiate "Abwehr gegen das Bild", die die Haltung seiner Kritiker kennzeichne.

Der Ikonoklast, so argumentiert er, hasst die Bilder nur deshalb so sehr, "weil er ihnen im Grunde eine viel größere Macht zugesteht als es selbst der überzeugendste Bilderfreund je tun würde."
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Literatur-Hinweis
Georges Didi-Huberman: Bilder trotz allem - Aus dem Französischen von Peter Geimer - Reihe Bild und Text, hg. von Gottfried Boehm, Gabriele Brandstetter und Karlheinz Stierle - München, Paderborn: Wilhelm Fink Verlag, 2007.
->   Das Buch im Wilhelm Fink Verlag
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Gegen Dogma der Bilderlosigkeit
Didi-Huberman erhebt vehement Einspruch gegen die angebliche Undarstellbarkeit des Holocaust in Bildern, für die als ästhetische und moralische Kronzeugen immer wieder Claude Lanzmann und sein Filmprojekt "Shoah" ins Treffen geführt wurden.

Zu Recht, meint er, hätte Lanzmann die Rekonstruktion von Auschwitz, wie sie Steven Spielberg betrieben hat, kritisiert. Aber diese Kritik dürfe nicht, wie Lanzmann dies tue, zum Dogma der Bilderlosigkeit, zur absoluten Kritik an Archivbildern, ausgedehnt werden.
Formulierung einer Mittelposition
Am produktivsten und spannendsten ist das Buch dort, wo der Autor eine ausgesprochen präzise Kritik fotografischer Bilder als historischer Quellen formuliert. Der Autor wehrt sich dagegen, Archivbildern die Fähigkeit, über geschichtliche Ereignisse zu berichten, grundsätzlich abzusprechen.

Aber er schlägt auch nicht blind den gegenteiligen Weg ein, nämlich Bilder als eindeutige Pfade zur Vergangenheit zu sehen. Vielmehr schlägt er einen Mittelweg vor zwischen der radikalen Skepsis einerseits, wie sie etwa postmoderne Autoren (etwa Hayden White oder Jean-François Lyotard) gegen die Positionen der positivistischen Historiker vorgebracht haben, und einer allzu naiven Rehabilitation der Indexalität von Bildern andererseits.
Gegen Bilderlosigkeit und bedenkenlose Bebilderung
Er erinnert daran, dass eine historische "Quelle" niemals ein "reiner" Ursprungsort sei, "sondern immer bereits eine geschichtete und komplexe Zeitlichkeit besitzt". Natürlich bezieht sich das auch auf Bilder.

Der Autor fordert, unter wörtlicher Berufung auf den Historiker Carlo Ginzburg, in den Quellen weder "offene Fenster" zu sehen, "wie die Positivisten glauben, noch Mauern, die den Blick verstellen, wie die Skeptiker meinen".

Mit diesem differenzierten Begriff der Zeugenschaft wendet sich Didi-Huberman gegen das Bilderverbot, aber auch gegen die bedenkenlose Bebilderung des Holocaust a la Hollywood.

[22.1.08]
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Über den Autor
Anton Holzer, geb.1964, Studium der Geschichte, Politikwissenschaft und Philosophie in Innsbruck und Wien, Dr. phil., seit 2001 Herausgeber der Zeitschrift Fotogeschichte, Publikationen zur Fotografie- und Kulturgeschichte, freiberuflicher Publizist und Ausstellungskurator, lebt in Wien. Zuletzt erschien sein Band "Die andere Front. Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg", Darmstadt, Primus Verlag, 2007.
->   Anton Holzer
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Bei dem Beitrag handelt es sich um eine gekürzte Fassung eines Textes, der in der Zeitschrift "Fotogeschichte" (Heft 106, Winter 2007) erschienen ist.
->   Fotogeschichte
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01.01.2010