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80. Geburtstag des Kunsthistorikers Werner Hofmann  
  "Die westeuropäische Kunst neu zu vermessen" - so lautet das ehrgeizige Projekt von Werner Hofmann. Der international renommierte Kunsthistoriker und Ausstellungskurator hat es verstanden, diese Intention mit einer langjährigen, erfolgreichen Museumspraxis zu verbinden. Am 8. August feiert Hofmann seinen 80. Geburtstag.  
Direktor in Wien und Hamburg
Der 1928 in Wien geborene Werner Hofmann studierte Kunstgeschichte in Wien und Paris, nach einem Zwischenspiel an der Albertina leitete er von 1960 bis 1969 das Museum des 20. Jahrhunderts in Wien.

Danach fungierte er als Direktor der Kunsthalle in Hamburg, wo er bis 1990 blieb und die mittlerweile legendären Ausstellungen zur "Kunst um 1800" (Caspar David Friedrich, Otto Philipp Runge, William Blake, William Turner oder Francisco Goya) gestaltete.
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Zitat
"Seit ich mich mit Kunstwerken beschäftige, leitet mich das ästhetisch-intellektuelle Bedürfnis, aus den Fakten die Spannungen herauszuholen, die sie als produktive Widersprüche in sich tragen".
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Bilden statt abbilden
"Als Autor und Ausstellungsmacher faszinieren mich Normenverletzungen wie der Manierismus, die Subversion, die in den Trivialkünsten steckt, die den Museumskünsten anhaftende Ambivalenz aus Befreiung und Entmündigung, die Kunstmittel der Verfremdung, das 'entzweite Jahrhundert' (die Kunst von 1750 bis 1830) und die Moderne als Schauplatz 'der Gegensätze und Widersprüche'".

In der programmatischen Erklärung beschreibt Hofmann die Faktoren der Kunstgeschichte, mit denen er sich hauptsächlich auseinandersetzt. Diese Komponenten haben zu der entscheidenden Neuformulierung eines Kunstbegriffes beigetragen, wie er seit der Renaissance üblich war.

Kunst wird von Hofmann nicht mehr als gelungenes Abbilden der Wirklichkeit verstanden, sondern als ursprünglich bildende, schöpferische Tätigkeit des Künstlers.
Monofokales, einansichtiges Bild ...
Die moderne Kunst birgt ein "Verunsicherungspotenzial". Verunsichert wird die seit der Renaissance herrschende Vorstellung, dass Kunst darin besteht, die Wirklichkeit von einem einzigen Blickpunkt zu präsentieren.

Hofmann nennt diese Darstellungsweise, die auf der Zentralperspektive beruht, "monofokales" oder "einansichtiges" Bild. Im Gemälde sollte sich alles auf einmal übersehen lassen und inhaltlich und formal stimmig sein.
... vs. polyfokales, mehransichtiges Bild
Dagegen stellt Hofmann das "polyfokale, mehransichtige Bild". Hier wird die illusionäre Einheit des Bildes durch verschiedene Perspektiven aufgebrochen, wie es exemplarisch im Kubismus erfolgt.

Das Kunstwerk ist nicht länger das exakt konstruierte Abbild der Wirklichkeit, sondern das Dokument künstlerischer Kreativität. Das polyfokale Bild kann verschiedene Realitätsebenen verbinden; es richtet sich nicht mehr nach dem Ideal des Harmonischen aus.
Umwertung der Werte
Das polyfokale Kunstwerk ist laut Hofmann das Signum der Kunst im 20. Jahrhundert. Ihre entscheidende Neuerung liegt nicht so sehr in der Abstraktion, sondern drückt sich in der Maxime aus, die Wassily Kandinsky formulierte: "Der Künstler darf jede Form zum Ausdruck bringen".

Die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts weist genügend Beispiele dafür auf: Von der Deformierung von Gegenständen im Kubismus über die Schaffung künstlicher Welten aus Abfall, die Kurt Schwitters im labyrinthischen Merzbau realisierte, bis zu den Happenings von Wolf Vostell oder Allan Kaprow.
Ursprung der Moderne im Mittelalter
Die Moderne ist für Hofmann keineswegs etwas radikal Neues. Sie weist eine Gemeinsamkeit mit der Kunst des Mittelalters auf, die in der Ablehnung des monofokalen, einansichtigen Kunstwerks besteht.

Die mittelalterliche Kunst konzentriert sich nicht auf die Abbildung der Wirklichkeit, sondern auf Sinnzusammenhänge, die sich auf die christliche Religion beziehen.

Auch das für die Renaissance typische Staffelbild ist nur ein Element in den polyfokalen Werken der christlichen Kunstpraxis. Vorherrschend sind Ikonen, Schreine, Altartafeln, Kruzifixe und Flügelaltäre.
Dreitakt Mittelalter - Renaissance - Moderne
So gesehen hat die Moderne viele Gemeinsamkeiten mit der Kunst des Mittelalters. Die Renaissance - die üblicherweise als Hauptstrang der europäischen Kunst gefeiert wird, - ist dann laut Hofmann nur eine Epoche unter vielen.

Das bedeutet aber keine Abwertung der Moderne, wie sie Hofmann von Kritikern vorgeworfen wurde, sondern eine Neubewertung einer Epoche, die von "Gegensätzen und Widersprüchen" geprägt ist.
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Ausstellung am MUMOK
Das Museum des 20. Jahrhunderts, dessen Gründungsdirektor Hofmann war, ist Vorläufer des MUMOK in Wien. Eine aktuelle Ausstellung zeigt eine umfangreiche Auswahl seiner Ankäufe und stellt sie in Bezug zu Hofmanns kunsttheoretischen Schriften.
->   Die Ausstellung "Mehransichtigkeiten" (MUMOK)
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Beispiel Francisco Goya
Gegensätze und Widersprüche finden sich speziell im Werk des spanischen Malers Francisco Goya, der von 1746 bis 1828 lebte.

Einerseits war Goya als Hofmaler spanischer Könige ein Beobachter der adeligen Salons, andererseits schilderte er eingehend die Nachtseiten der menschlichen Existenz wie Kriegsgräuel, Gewalttätigkeit, Wahnsinn und religiösen Fanatismus.

In seiner umfangreichen Goya-Monografie beschreibt Hofmann die alptraumhafte Bildwelt des Künstlers, der mit seinen Schilderungen des Phantastischen das Ideal der harmonischen Abbildung der Wirklichkeit radikal in Frage stellte.
->   Caprichos (Wikipedia)
->   Desastres de la Guerra (Wikipedia)
Heilen durch Bewusstmachung
 
Bild: ORF

Werner Hofmann

Die wohl bekannteste Radierung Goyas - "Der Schlaf der Vernunft/Traumes gebiert Ungeheuer" wurde häufig als Beleg dafür gedeutet, dass die von der Aufklärung verehrte Vernunft der Garant einer rationalen Lebensführung sei, die die Manifestationen des Unbewussten wie Triebe oder Lüste zügelt.

Nur wenn sie nicht aktiv ist, haben die Ungeheuer des Unbewussten die Möglichkeit, ihre negativen Energien zu entfalten. Hofmann interpretiert diese Radierung jedoch als Traum (el sueno bedeutet sowohl Schlaf und Traum) der Vernunft.

Der Künstler ist dann nicht mehr von den Gestalten der Phantasie getrennt, sondern durch seine Einbildungskraft aktiv beteiligt. Indem der Künstler sich auf die Nachtseite der menschlichen Existenz einlässt, lernt er die destruktiven Kräfte kennen und versucht, sie im Kunstwerk zu bannen.

Ähnlich wie ein Psychotherapeut schafft der Künstler damit einen Denkraum der Besonnenheit: "Der Künstler heilt, indem er bewusst macht".

Nikolaus Halmer, Ö1 Wissenschaft, 7.8.08
->   Der Schlaf der Vernunft/Traumes gebiert Ungeheuer
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Bücher von Werner Hofmann
Die Moderne im Rückspiegel. Hauptwege der Kunstgeschichte, C.H. Beck
Das entzweite Jahrhundert. Aufsätze zur Kunst, C.H .Beck
Grundlagen der modernen Kunst, Kröner Verlag
Goya. Vom Himmel durch die Welt zur Hölle, C.H. Beck
Caspar David Friedrich. Naturwirklichkeit und Kunstwahrheit, C.H. Beck
Degas und sein Jahrhundert, C.H. Beck
->   Hofmann im Beck-Verlag
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01.01.2010