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Partnerwahl: Die Pille polt die Nase um  
  Studien zufolge können Frauen am Körperduft erkennen, welche Männer genetisch besonders gut zu ihnen passen. Eine aktuelle Untersuchung zeigt nun: Die Anti-Baby-Pille polt diese Tendenz offenbar um. Entsprechend verhütende Frauen finden den Geruch von Männern attraktiv, die in Sachen evolutionärer Fitness eher wenig Erfolg versprechen.  
Versuche mit Achselduft
Liebe geht durch die Nase. So könnte man eine Studie zusammenfassen, die japanische Forscher von der Universität Tokyo in den 70er Jahren veröffentlicht haben. Darin berichteten sie, dass Mäuse ihre Partner nach dem Körpergeruch auswählen. Und zwar deswegen, weil der Geruch etwas über bestimmte Immunproteine aussagt, deren individuelle Komposition im Erbgut festgeschrieben ist.

20 Jahre später fand Claus Wedekind von der Universität Lausanne heraus, dass das im Wesentlichen auch für den Menschen gilt. Er ließ Frauen an von Männern über Nacht getragenen T-Shirts schnuppern und notierte ihre Reaktionen auf das jeweilige Achsel-Bouquet.

Das Ergebnis: Die Frauen bevorzugten zum Zeitpunkt des Eisprungs solche Männer (bzw. deren Körperdüfte), deren MHC-Proteine sich stark von ihren eigenen unterschieden. Dabei handelt es sich um Eiweißstoffe, die beispielswiese für die Abstoßung von fremden Organen (mit-)verantwortlich sind und auch sonst eine wichtige Rolle im Immunsystem spielen.
Gesucht: Passende Immunproteine
Dieser Befund wird in der Regel mit Hilfe soziobiologischer Logik erklärt: Eltern sollten demzufolge danach trachten, ihren Kindern eine möglichst große Vielfalt an Immunproteinen zu vererben, weil das die Resistenz gegenüber Infektionen - und mittelbar auch die Fitness - erhöht. Evolutionär gesehen sind also jene Frauen im Vorteil, die passende MHC-Proteine erriechen können.

Da sie laut Studien dazu tatsächlich imstande sind, stellt sich die Frage: Wie? Was hat der Schweiß mit dem Immunsystem zu tun? Das Bindeglied sind jene Bakterien, die unsere Haut besiedeln und für den charakteristischen Duft von Achselhöhlen, Füßen und anderen Körperregionen sorgen. Denn offenbar entscheiden die MHC-Proteine auch darüber, wie sich die Bakterienflora auf der Haut zusammensetzt.

Der Zusammenhang lautet daher in Kurzform: Erbfaktoren legen das Set an Immunproteinen fest, diese beeinflussen die bakterielle Vielfalt, diese prägt das Schweißbouquet - und dessen Wohlgeruch liegt in der Nase der Betrachterin (bzw. wiederum in deren Genen).
Pille verdreht das Geruchsempfinden
S. Craig Roberts von der University of Liverpool ist nun der Frage nachgegangen, ob die Anti-Baby-Pille einen Einfluss auf diese Kausalkette hat. Seine Antwort fällt klar aus. Ja, die Pille verändere nicht nur die Wahrnehmung der Körperdüfte, schreibt Roberts in den "Proceedings of the Royal Society B" (doi: 10.1098/rspb.2008.0825), sie richte auch die Partnerpräferenzen der Frauen neu aus.

Seinen Versuchen zufolge bevorzugen entsprechend verhütende Frauen nämlich eher Männer mit ähnlichen MCH-Proteinen, also just solche, die eher wenig Punkte am evolutionären Fitnesskonto bringen dürften.

Nach Craig Roberts könnte das durchaus Einfluss auf den Beziehungsalltag haben: "Die MHC-Ähnlichkeit von Paaren führt zu Problemen bei der Befruchtung und zu einem erhöhten Risiko von Fehlgeburten. Sie könnte auch für das Ende von Beziehung verantwortlich sein, wenn Frauen die Pille absetzen."
Lesen für die Fitness
Zu einem ähnlichen Ergebnis kam übrigens auch Claus Wedekind in den 90ern, er vermutete damals, dass die Pillen-Hormone zu einer Umpolung der Wahrnehmung führen, weil Frauen während und nach der Schwangerschaft den Körperduft nahe Verwandter bevorzugen sollten. Der Grund: Die Verwandten (mit nach Adam Riese ganz ähnlichen MHC-Proteinen) könnten bei der Aufzucht des Nachwuchses behilflich sein.

Nicht so gut ins Konzept passt indes folgender Befund: Roberts Kontrollgruppe ließ nämlich gar keine olfaktorischen Präferenzen erkennen, was dem Standardargument der Fitnessmaximierung eigentlich widerspricht. Er vermutet, dass das eventuell an Feinheiten in der Methodik liegt.

Nicht unkurios ist jedenfalls folgendes Detail: Claus Wedekind erhöhte anno 1995 die geruchliche Sensibilität seiner Probandinnen durch einen Nasenspray sowie durch entsprechende Lektüre - die Teilnehmerinnen mussten vor Beginn der Studie "Das Parfum" von Patrick Süskind lesen.

Craig Roberts hat auf derlei Hilfsmittel verzichtet, kann sich aber durchaus vorstellen, dass die Kontrollgruppe mit literarischer Unterstützung doch im Sinne der Soziobiologie geschnuppert hätte.

[science.ORF.at, 13.8.08]
->   Claus Wedekind
->   Craig Roberts
->   MHC - Wikipedia
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01.01.2010