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Lektoren kritisieren neuen Unikollektivvertrag  
  Vergangene Woche war es soweit: Nach dem Dachverband der Universitäten stimmte auch die Gewerkschaft dem Kollektivvertrag für die rund 30.000 Angestellten an Österreichs Universitäten zu. Während sich die Verhandler und die meisten Politiker zufrieden zeigten, regt sich bei den Unilektoren nun Widerstand.  
Auch wenn es aufgrund jährlicher Schwankungen keine genauen Daten gibt, ist ihre Zahl nicht unerheblich: Rund ein Drittel des wissenschaftlichen Personals an heimischen Unis dürfte sich aus Lektoren rekrutieren.

Warum sie mit dem neuen Vertrag wenig glücklich sind, erklären die Historikerin Annemarie Steidl und der Politikwissenschaftler Thomas Schmidinger von der "IG Externe LektorInnen" in einem Interview.

Hauptkritikpunkt: In Zukunft soll es weniger Lektoren geben, die dann zwar von ihrer Tätigkeit leben, aber neben der Lehre keine Forschung mehr betreiben können.
science.ORF.at: Wie viel verdient man als externer Lektor in Österreich?

Schmidinger: Das variiert von Uni zu Uni sehr stark. Für eine Semesterwochenstunde - real 15 Unterrichtsstunden plus Vorbereitungszeit - gibt es ein Bruttogehalt zwischen 900 und knapp 1.300 Euro. Die meisten Lehrveranstaltungen bestehen aus zwei Semesterwochenstunden, entsprechend verdoppelt sich auch das Gehalt.

Das sind 1.800 bis 2.600 Euro. Somit bräuchte man fünf bis sechs Lehraufträge, um davon leben zu können ...

Schmidinger: Was aber nur sehr selten der Fall ist. Die meisten haben nur einen Lehrauftrag. Wobei es verschiedene Arten von Lektoren gibt: solche, die das nebenberuflich machen, andere, die damit etwa versuchen ihr Dissertationsstudium zu finanzieren oder neben einem Forschungsprojekt zusätzlich lehren. Aber davon alleine leben kann natürlich niemand.

Steidl: Positiv ist: Die Uni Wien zahlt soviel, dass man genau über der Geringfügigkeitsgrenze, damit also versichert ist.

Schmidinger: Auf der Universität Innsbruck ist man nicht einmal versichert.
Wie viele Lektoren und Lektorinnen gibt es in Österreich?

Steidl: 6.000 waren es laut einem Forschungsprojekt im Jahr 2000. Österreichweite Zahlen für heute sind schwierig, an der Uni Wien sind es um die 2.000, in Graz und Innsbruck jeweils an die 900, an der Angewandten in Wien an die 200.

In welchen Bereichen sind es besonders viele?

Schmidinger: An der Uni Wien auf der Politikwissenschaft, wo mehr als die Hälfte der Lehre von Lektoren gemacht, auf der Internationalen Entwicklung sind es gar 90 Prozent, dazu noch auf der Kultur- und Sozialanthropologie. In anderen Fächern und Unis herrschen völlig andere Situationen. Wenn ein Rechtsanwalt auf der Uni lehrt oder ein Arzt den Titel "Univ-Doz." vor seinen Namen sehen will, ist das weniger ein Problem, als ein Hobby, das sie betreiben.
Was haben die betroffenen Fächer gemeinsam?

Schmidinger: Sie sind personell unterbesetzt, die Lektoren füllen die Lücken. Die entsprechenden Institute sind unterfinanziert, haben wenig Platz. Externe sind natürlich das Billigste für sie, weil sie keinen eigenen Arbeitsplatz haben.

Steidl: Und es sind Studienrichtungen, die bei Studierenden gerade sehr modern sind - wie die Kultur- und Sozialanthropologie, wo es über 100 externe Lektoren gibt.

Ihre Interessensvertretung heißt nach wie vor "IG Externe Lektoren" - aber gibt es die überhaupt noch?

Steidl: Ja und nein. Nein, weil Lektoren seit 2004 Angestellte der Unis sind. "Intern" sind wir aber nach wie vor nicht. Die meisten haben keine eigenen Arbeitsplätze an den Unis. Wir hangeln uns mit befristeten Verträgen von Semester zu Semester, nach maximal acht Jahren muss man aus arbeitsrechtlichen Gründen mindestens ein Jahr pausieren.

Schmidinger: Das ist kurios: Das Arbeitsrecht sollte die Situation eigentlich verbessern. Seine Umgehung durch die Uni zwingt die Leute aber dazu, sich für ein Jahr einen anderen Job suchen zu müssen oder ins Ausland zu gehen.
Zum Kollektivvertrag: Worin besteht Ihre Kritik?

Schmidinger: Wir sind gegen die Übergangsregelungen, die sich die Universitäten ausbedungen haben und die wieder nur die Lektoren treffen: Gehaltsvorrückungen sind bei ihnen erst zwei Jahren nach Inkrafttreten des KV vorgesehen.

Es geht aber um das Problem der Prekarisierung generell, das nicht nur Lektoren betrifft, sondern auch Wissenschaftler in Ausbildung ("Säule 1, S1") und die Drittmittelangestellten. Wenn die künftigen S1 Stellen zwar mehr verdienen, aber in ihrer Arbeitszeit nicht mehr ihre Dissertation schreiben dürfen, ist das objektiv eine Verschlechterung. Denn das wird de facto dazu führen, dass sie nur halbe Stellen bekommen und ihre Dissertation wieder in der Freizeit schreiben müssen.
Die Reaktion auf den Kollektivvertrag waren aber doch sehr positiv, auch die Gewerkschaft hat sich über die größere Planungssicherheit von Forscherkarrieren gefreut ...

Steidl: (lacht) Jaja. Die Gewerkschaft möchte möglichst viele 40-Stunden-Arbeitsverhältnisse von einer überschaubaren Klientel haben, die man dann gewerkschaftlich verwalten kann. Im KV sind Lektoren v.a. von einem Arbeitsverhältnis betroffen, den sogenannten Senior Lecturers. Für sie hat sich die Gewerkschaft stark engagiert. Es handelt sich um Fixanstellungen von 40 Stunden mit 13 bis 16 Stunden Lehrverpflichtung pro Woche. Der Pulk von 2.000 Lektoren an der Uni Wien soll zu einer kleineren Gruppe von Senior Lecturers reduziert werden, die ausschließlich lehren - richtige Lehrer.

Schmidinger: Uni-Wien-Rektor Georg Winckler hat das explizit auch so gesagt. Er hält Lektoren für eine Fehlentwicklung, die durch die Senior Lecturers ersetzt werden sollen.
Was spricht dagegen?

Steidl: Wir halten die Einheit von Forschung und Lehre für sehr wichtig, das unterscheidet eine Uni auch von einer Schule.

Schmidinger: Lektoren tragen heute viel Wissen von außen in ein Institut hinein. Dadurch entsteht ein breiteres Lehrangebot, als es durch fix Angestellte angeboten werden kann. An der Politikwissenschaft werden etwa alle Lehrveranstaltungen zum Nahen und Mittleren Osten von Externen gehalten. Senior Lecturers würden diese Breite verringern. Wenn jemand nicht mehr forscht, gibt es auch keine inhaltliche Weiterentwicklung.

Steidl: Im Mittelbau ist die Stundenanzahl für Lehre mit acht Semesterwochenstunden gedeckelt, warum nicht auch für uns?

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 30.4.09
->   IG Externe LektorInnen
->   Gewerkschaft Öffentlicher Dienst
->   Dachverband der Universitäten
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->   Gewerkschaft akzeptiert Uni-Kollektivvertrag (24.4.09)
->   Rektoren stimmen Uni-Kollektivvertrag zu (30.3.09)
 
 
 
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01.01.2010