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Warum es schwule Tiere gibt  
  Homosexualität ist im Tierreich weit verbreitet. Sie findet sich etwa bei Primaten, Vögeln, Fröschen, ja sogar bei Würmern, berichten zwei US-Biologen. Sie behaupten: Auch das Schwulsein könne die Darwin'sche Fitness durchaus erhöhen.  
Homophile Tiere
"Eines ist klar: Homosexuelles Verhalten ist im Tierreich viel weiter verbreitet, als es die klassischen Beispiele aus der Literatur vermuten lassen, etwa die Bonobos, Pinguine und Fruchtfliegen", sagt Nathan Bailey von der University of California in Riverside.

Er hat soeben mit seiner Kollegin Marlene Zuk eine Überblicksarbeit zum Thema Homosexualität im Tierreich veröffentlicht, die zeigt: Selbst wenn man vom Sein auf das Sollen schließen könnte (was, wie Ethiker wissen, ohnehin nicht der Fall ist), wäre die Behauptung, die Homosexualität sei wider die Natur, spätestens jetzt faktisch widerlegt.

Wie Bailey und Zuk im Fachblatt "Trends in Ecology & Evolution" berichten, befindet sich Homo sapiens in illustrer Gesellschaft, denn schwules Verhalten gibt es in so gut wie allen Tiergruppen.
Affen, Fliegen und Kröten tun es
Einige Beispiele: Bonobo-Weibchen, um mit einem Klassiker zu beginnen, reiben gerne ihre Geschlechtsteile aneinander und bringen einander auf diese Weise mitunter sogar zum sexuellen Höhepunkt. In geringerem Umfang gibt es bei den Zwergschimpansen, wie Ethologen berichten, auch Küsse, Fellatio, Genitalmassagen.

Etwas weniger spektakulär fällt die Angelegenheit bei Fruchtfliegen aus. Männchen mit einer Mutation im Gen - nomen est omen - "genderblind" fühlen sich aufgrund veränderter Signalübertragungen im Hirn von ihren männlichen Artgenossen angezogen - und machen diesen den Hof.

Bei Erdkröten indes hat Homosexualität im engeren Sinn nichts mit Genetik zu tun, sondern mit der Unfähigkeit, Männchen und Weibchen zu unterscheiden. Sie umklammern einfach alle Artgenossen, lassen von Männchen allerdings in der Regel wieder bald ab, sobald diese quaken.
Ein Begriff, viele Verhaltensweisen
 
Bild: Eric VanderWerf

Zwei Albatrosweibchen in trauter Zweisamkeit.

Angesichts dieser Vielfalt stellt sich die Frage: Sprechen wir in all diesen Fällen überhaupt von demselben Phänomen? Eher nicht, meint Bailey. Er jedenfalls findet den Begriff "Same-Sex Behaviour", wie er in der Biologie üblich ist, zu ungenau:

"Mutierte Fruchtfliegen sind doch etwas ganz anderes als Delphine, die mit Hilfe gleichgeschlechtlicher Paare die Gruppenbindung erhöhen. Und es ist auch etwas anderes als das Verhalten weiblicher Laysan-Albatrosse, die gemeinsam brüten und manchmal ihr Leben lang mit ihren Partnerinnen zusammen bleiben."
Wozu?
Doch abgesehen von terminologischen Feinheiten steht die biologische Homosexualitätsforschung vor einem großen Rätsel: Wie kann ein Verhalten, das keine Nachkommen erzeugt, derart verbreitet sein? Das gelte streng genommen auch für andere Verhaltensweisen, die nicht direkt mit der Fortpflanzung verbunden sind - Aggression und Altruismus beispielsweise, antwortet Bailey.

"Aber es stimmt schon: Was Homosexualität für die Evolution bedeutet, wurde bis jetzt viel zu wenig beachtet. Bei Heuschrecken ist es etwa so, dass die Kopulation dem 'bestiegenen' Männchen Nachteile bringt. Das erhöht wiederum den Selektionsdruck, Abwehrsubstanzen herzustellen."

In diesem Fall wäre Homosexualität also eine Art Selektionsverstärker. Aber das ist beileibe nicht die einzige Rolle, die ihr von Evolutionsbiologen zugedacht wird.
Sippenselektion und sozialer Kleber
Eine Theorie, die vor allem beim Menschen ins Treffen geführt wurde, lautet: Homosexuelle mögen zwar keine leiblichen Kinder kriegen. Aber gerade dadurch werden Ressourcen frei, von denen die Verwandtschaft profitiert. Wenn etwa der schwule Onkel Hans seiner Schwester Inge bei der Kinderbetreuung hilft, nützt das indirekt auch seinem "Fortpflanzungserfolg", weil er mit ihr 50 Prozent der Gene teilt. Im Gegensatz zum Argument der "Verwandtenselektion" erklärt das Konzept der "antagonistischen Selektion" das Schwulsein indirekt.

Demnach wäre es möglich, dass ein Gen die Fitness heterosexueller Frauen fördert (und sich daher in der Population ausbreitet), bei Männern aber schwule Tendenzen auslöst - umgekehrte Fälle sind natürlich ebenfalls denkbar.

Eine weitere Kostprobe aus dem Theorienarsenal der Biologen: Männliche Fliegen, so wird vermutet, könnten einander in der Jugendzeit quasi zu Übungszwecken umwerben, um dann für den späteren "Ernstfall" gerüstet zu sein.

Und dann gibt es noch die "Social-Glue"-Theorie, die besagt, dass Homosexualität Aggressionen hemmt bzw. den Zusammenhalt der Gruppe fördert. Sie gilt als Erklärungsansatz Nummer eins bei Bonobos, Delfinen und Spechten. Im Prinzip würde sie auch für Homo sapiens passen: Zumindest gilt die Schwulenszene als relativ friedlich. Schlägereien dürften eher eine Domäne der Heteros sein.

Robert Czepel, science.ORF.at, 17.6.09
->   Nathan Bailey
->   Marlene Zuk
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01.01.2010