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Voodoo im Cyberspace  
  Immer öfter stellen die Angehörigen von Religionen oder bedrohten Kulturen selbst Informationen ins Netz, um gegen Vorurteile anzukämpfen oder auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen.  
Voodoo ist einer der begehrtesten Begriffe im Cyberspace. Er ist von so vielen Klischeebildern belegt - von Nadelstichen in Puppen, von Hühnerköpfen und wilden Tänzen- dabei ist Voodoo eine Religion mit 60 Millionen Anhängern weltweit. Viele Voodoo-Priester organisieren sich im Internet, bieten Rituale an und informieren ihre Anhänger.

"So wird erstmals eine bis dato mündliche Religion in ein schriftliches Medium übergeführt und einer Weltbevölkerung zugänglich gemacht", sagt Manfred Kremser vom Institut für Ethnologie der Universität Wien.
->   Artikel Kremser zu CyberAnthropology
->   Buch Kremser zu afro-karibischen Religionen
Virtuelle Enteignung des Voodoo
Das verändert die Religion natürlich. "Die afrikanischen Religionen wurden ein erstes Mal transformiert, als sie im Zuge des Sklavenhandels in die neue Welt kamen und jetzt verändern sie sich wieder, weil sie einen neuen Kontinent besiedeln ¿ und zwar den sechsten Kontinent, den Cyberspace".

Kremser hat diese Veränderung "transforming the transformed" genannt, zugleich Titel eines Vortrages, den er auf dem vierten Kongress der Gesellschaft für Karibikforschung in Wien präsentiert. Im Voodoo wurde das Wissen durch Initiation weitergegeben. Das Wissen war nur für spezielle Insider reserviert. Durch den weltweiten Zugriff im Internet kommt es zu einer Enteignung der Religion.
->   Transforming the transformed
->   Kongress Karibikforschung
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Voodoo-Ausweis verlangt
"Es gibt schon so etwas wie eine Internetpolizei in Sachen Religion. Alle, die im Internet Voodoo anbieten, müssen sich durch eine Initiationslinie ausweisen", sagt Kremser. Die Priester müssen sich im Internet legitimieren, um sich von Scharlatanen abzusetzen. Aber es sind nicht zuletzt gerade diese Scharlatane, die dem Voodoo derzeit zu einem Boom verhelfen. Es entsteht die interessante Situation, dass wir einen doppelten Boom erfahren, sagt der Cyber-Ethnologe Kremser.
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Der Boom von zwei Möglichkeiten des geistigen Reisens ¿ durch eine Technologie in virtuelle Welten oder durch Trance in spirituelle Ebenen. "Das Internet ist überhaupt von seiner Genese her und sogar vom Terminus mit den spirituellen Ebenen des Voodoo sehr verwandt".

Kremser spricht damit den Roman "Neuromancer" von William Gibson an, der als das Kultbuch der Internetgesellschaft gilt und Voodoo und Cyberspace eng verknüpft.
->   Buch Gibson
->   ORF ON: Kulturvermittlung auf Hollywood-Niveau
Bedenkenlose Preisgabe
Das Gute am Internet ist zugleich das Schlechte daran, meint auch Nils Zurawski, Autor des Buches "Virtuelle Ethnizität". Jeder kann für eine Gruppe sprechen und eine Homepage machen. Zurawski sieht das Internet als einen ethnischen Ort, der gegen Folklorisierung, Stereotypisierung und Preisgabe von Ritualen allerdings machtlos ist, meint Zurawski.

"Das Problem gab es bei den Native Americans und bei den Maoris, dass ihre kulturellen Praktiken und Geheimnisse dem Internet preisgegeben wurden. Das verändert natürlich auch die Machtstrukturen innerhalb einer Gruppe".
->   Buch "Virtuelle Ethnizität"
->   Zurawski
Bedrohte Sprache retten
Das Internet hat auch einen Einfluss auf die Konstituierung von Identitäten. Durch das Internet entstehen Identitäten oder Ethnien. "Vor dem Hintergrund der Globalisierung und einer vermeintlichen Gleichmacherei wenden sich viele Menschen einer Eigenidentität zu. Sie entdecken ihre Sprache oder ihre Kultur wieder."

"Das Internet bietet die hervorragende Möglichkeit, sich schnell, billig und überall auf der Welt einer Kultur anzuschließen ¿ sei es, dass Emigranten ihre Wurzeln suchen oder mit Gleichgesinnten kommunizieren wollen.¿ Bedrohte Sprachen können durch die Internettechnologie wiederbelebt, archiviert oder bekannt gemacht werden. Wie ein Beispiel auf Hawaii zeigt, konnte eine aussterbende Sprache sogar durch virtuelle Sprachkurse revitalisiert werden (in Beth E. Kolkos Buch "Race in Cyberspace" nachzulesen).
->   Buch "Race in Cyberspace"
->   Gesellschaft für bedrohte Sprachen
Soweit der optimistische Ansatz. Auf der anderen Seite halten nämlich viele Maori das Internet für ungeeignet ihre Kultur zu repräsentieren, weil es das breite Spektrum ihrer Sprache nicht wiedergeben kann. Die Darstellung von Schriftzeichen ist dabei ein wesentliches Problem, eine andere sind die Dialekte.
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Einfluss dank Präsenz
Im Internet geht es aber letztendlich darum, Ansprüche zu formulieren. Es wird immer wichtiger sich darzustellen - denn nur wenn man wahrgenommen wird, kann man auch politischen Einfluss ausüben. Das haben die Guerilla-Netze sehr früh erkannt. Die Zappatista Bewegung formulierte zum Beispiel von Anfang an ihre Anliegen im Internet. Indigene Völker nutzen das Internet, um auf die Diskriminierung der Ureinwohner aufmerksam zu machen und um Allianzen gegen Raubbau zu bilden. In Dutzenden Mailing-Listen oder Diskussionsforen werden die Probleme ständig aktualisiert. Dennoch sind die meisten Inhalte von Amerika her dominiert. Rund 80 Prozent aller Webseiten sind auf Englisch. Ist doch auch die Technologie in Amerika am meisten verbreitet
->   Indigene Völker
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Beispiel Afrika
In Afrika gibt es rund 2 Millionen Internetnutzer. Die Situation ist nicht einheitlich. Die überwiegende Mehrheit, 90 Prozent der Nutzer in Afrika, sind in der Republik Südafrika zu Hause. In Afrika gibt es mehrere Hindernisse für die Internetversorgung: Die Stromversorgung ist oft ein unüberwindbares Problem.

In der Stadt stehen Stromausfälle auf der Tagesordnung und am Land haben 70 Prozent der Bevölkerung überhaupt keinen Stromanschluss. Genauso unlösbar das zweite Problem: der Telefonanschluß. 75 Prozent der Weltbevölkerung besitzen keinen, sagt Uwe Afemann von der Universität Osnabrück. Die Alternative - eine Internetleitung über Satelliten herzustellen - ist extrem teuer.
->   Aufsätze
Gemeinsame Nutzung
Fanz Nahrada vom Verein GIVE hat sich die Situation in Kamerun angesehen. In Afrika setzt sich deshalb eine Tradition fort: die Mehrfachnutzung von Medien. Ganz so wie ein Radiogerät von vielen genutzt wird, wird auch der Computer zum gemeinsamen Gut.

Internetanschlüsse gibt es in Cybercafes und Telezentren. "Es ist fast unmöglich zu telefonieren, man erfährt nichts, ein Brief dauert ein bis zwei Monate. Das schnellste Medium ist das E-Mail, das sehr teuer ist und das man sich ausdrucken lassen muss. Die Wartezeiten betragen meist eine Woche, bevor man einen E-Mail-Termin bekommt".
Computer für Kamerun
Nahrada hat deshalb mit dem Verein zur Unterstützung von Menschen ein Hilfsprojekt auf die Beine gestellt, 10 Computer für Bamenda in Kamerun aufgetrieben und einen Computerfachmann zur Installation nach Afrika geschickt. Zuvor wurde eine eigenes Software-System entwickelt. Der Technologieoptimist Nahrada ist davon überzeugt, dass das Internet auf lange Sicht nicht nur dazu dient, billige Telearbeitskräfte auch in Afrika zu lukrieren.

Im Gegenteil. Es soll den Entwicklungsländern helfen, ihre eigenen Stärken zu entdecken. Wissen über Permakultur, über Konservierung - all das sollte regional übers Internet verbreitet werden. "Wissensaustausch der Dörfer" nennt Nahrada sein nächstes Projekt. Möglich wird das aber nur, wenn es die Technik dafür gibt.
Bilderflut: Voodoo auf dem Waschmittel
In Afrika ist der plötzliche Einbruch der Internetkultur besonders deutlich, sagt Lydia Haustein von der Kunsthochschule Berlin-Weissensee. In Afrika gibt es keine Tradition, auf die der Umgang mit dem Medium aufbauen könnte. Gemeinsam mit afrikanischen Wissenschaftern will die Kunsthistorikerin und Ethnologin die Rolle der Bilder untersuchen.

Sie konzentriert sich in ihrer Studie "Ikonen des globalen Bildverkehrs" auf die neue Bildsprache in Afrika. Sie beobachtet in ihrer von der Volkswagenstiftung mit 7 Millionen Schilling ausgestatteten Studie Das Wandern der Bilder: wie zum Beispiel Voodoo-Zeichen auf eine Waschmittel-Box kommen können.
->   Volkswagenstifung
Bilder sprechen nicht
Das Internet verstärkt die Tendenz der Globalisierung dadurch, dass die Bilder schnell und einfach verfügbar sind. "Bilder werden eine immer stärkere Rolle spielen. Das hängt mit dem Vorurteil zusammen, dass Bilder ¿ anders als Sprachen ¿ universell verständlich seien. Meine Theorie ist, dass das überhaupt nicht stimmt. Man braucht auch für Bilder kulturelle Übersetzungshilfen, um sie wirklich richtig verstehen zu können", sagt Haustein.
Kultur ohne Einfluss auf Nutzung
Haustein hat für ihre Studien zuvor die Situation in Lateinamerika und in Asien intensiv recherchiert. Wolfgang Hofkirchner vom Institut für Gestaltungs- und Wirkungsforschung von der TU Wien arbeitet gerade an einer Studie über die Internetnutzung in Vietnam und Malaysia. Ihn interessiert besonders, wie der kulturelle Hintergrund die Internetnutzung beeinflusst.

"Kulturelle Faktoren beeinflussen sehr wenig, wie die Technik aufgenommen wird. Selbst in Vietnam sind es die einkommensstärksten, die gebildeten Schichten und Männer, die das Internet als erste annehmen."
Aus entwicklungspolitischer Sicht würde das Internet also die Stärkung der Eliten und Einzementierung der bestehenden Ungleichheiten bedeuten. Die Optimisten hoffen auf eine Demokratisierung dank Internet. Die einheimische Bevölkerung soll gestärkt werden und
so dem Kulturimperialismus paroli bieten können.

Ein Beitrag von Ulrike Schmitzer, Ö1-Wissenschaft,
für die Ö1-Dimensionen.
->   Interasia
 
 
 
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01.01.2010