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Mythen der New Economy  
  Die Euphorie über den Boom der Informations- und Kommunikationstechnologien ist nach den dramatischen Kurseinbrüchen an den Technologiebörsen längst erschüttert. Der Wissenschaftler Joachim Bischoff analysiert nun in seinem neuen Buch die Mythen der New Economy.  
Die bisherigen Monographien zur New Economy, so hat sich gezeigt, sind nicht nur zahlreich, sondern ebenso kurzlebig. Die hochgespannten Erwartungen sind einer gespannten bis misstrauischen Aufmerksamkeit gewichen. Es sieht so aus, als sollte von der New Economy lediglich der Begriff des Cash burn in schlechter Erinnerung bleiben.
Wissen zu Gold spinnen?

Trotzdem scheint der Übergang zu einer wissensbasierten Ökonomie und damit auch "Wissensgesellschaft" zumindest für die Karriereseiten und die Feuilletons der Zeitungen eine ausgemachte Sache zu sein.

Als Ursache, Motor und erster Beweger dieser Transformation gilt im öffentlichen Diskurs wie auch in Teilen der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften die technologische Innovation der Informations- und Kommunikationsmedien.
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Die neuen Technologien werden dem stagnierenden Wirtschaftswachstum wieder auf die Beine helfen, eine neue "Lange Welle" der Prosperität (Kondratieff-Zyklen) einleiten und damit auch gleich die drängenden sozialen Probleme der Ersten Welt (Arbeitslosigkeit, soziale Spaltung, Armut, Umweltverschmutzung) lösen. In der New Economy, so die weitverbreitete Hoffnung, ließe sich Wissen durch die IuK-Technologien zu Gold machen.
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Stimmt das? fragt Joachim Bischoff, ist nicht vielmehr bereits die Idee, am Beginn eines neuen Wirtschaftszyklus stünde eine technische Innovation bereits ein Mythos?

Das Theorem der "Langen Wellen" verweist für den (renitenten) Anhänger der Regulationsschule sogleich auf den Ursprungsmythos, der den Hype der Neuen Ökonomie begleitet hat. Bischoff will das möglicherweise Neue an der Neuen Ökonomie vielmehr im Kontext unterschiedlicher, mitunter auch widersprüchlicher Entwicklungen analysiert wissen.
Mythos 1: Kapital statt Arbeit
Da ist zum einen die Deregulation der Finanzmärkte, die den Aktienboom der Neunzigerjahre mitausgelöst und durch die Freisetzung großer Kapitalmengen die Neugründung von Unternehmen vorzugsweise in der IuK-Branche ermöglicht hat.

Zwar wurden durch diesen Prozess viele Menschen mehr oder weniger glückliche Aktienbesitzer, zu einem Anstieg gesellschaftlichen Reichtums hat es aber nicht gereicht. Im Gegenteil hat sich der Börsenboom als spekulative Finanzblase entpuppt und die erhofften Gewinne fielen aus.
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Wie Bischoff am Beispiel der USA und Deutschlands aufzeigt, war die Zunahme an Eigentumstiteln teuer erkauft und zeitigt Folgen über den aktuellen "Crash auf Raten" hinaus: Durch die Betonung der zu erwartenden Gewinne anstelle einer tatsächlich ausgeschütteten Dividende wird die Tendenz der Shareholder (Aktienbesitzer) zum "sharehopping" verstärkt.

Gewinn lässt sich nur als sogenannter "capital gain" auf den Finanzmärkten selbst realisieren, d.h. durch den (rechtzeitigen) Verkauf einer Aktie, nicht durch die Beteiligung an den Gewinnen eines Unternehmens. Die auf den Finanzmärkten gehandelten Werte haben damit keine Entsprechung in realwirtschaftlichen Werten.
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Enttäuschte Wohlstandshoffnungen
Diesen prekären Wohlstandshoffnungen zum Trotz verändern sich die Einkommensstrukturen zu Lasten der Arbeitseinkommen, dies auch eine Folge der Rücknahme sozialstaatlicher Sicherungen zugunsten der privaten Vorsorge und der immer häufiger werdenden Entlohnung durch Aktienoptionen und Gewinnbeteiligungen (Kapitaleinkommen).

Prozesse, die die Autonomisierung der Finanzmärkte und ihren Einfluss auf nationale und Unternehmenspolitiken weiter verstärken. Eine depressive Entwicklung ähnlich wie in Japan hält Bischoff deshalb für denkbar.
Mythos 2: Mehr Waren, mehr Konsum
Ähnlich pessimistisch bewertet Bischoff die erwarteten Produktivitätssteigerungen durch die IuK-Technologien und die daran geknüpften Hoffnungen auf eine Überwindung der chronischen Überakkumulation, die zur gegenwärtigen Krise geführt hat.

Abgesehen davon, dass Produktivitätssteigerungen durch den Einsatz der neuen Technologien in den Unternehmen der Old Economy empirisch nicht ausreichend belegt sind, führt die Modernisierung, so Bischoff, zu einem weiteren Anwachsen der Überakkumulation.
Neue Krisensymptome
Zwar ermögliche das Internet zum Beispiel tatsächlich die vielgepriesene Markttransparenz für den Kunden und zwinge damit die Unternehmen ihre Produkte individuell auf die Kundenwünsche abstimmen, die grundlegenderen Probleme sind damit allerdings nicht gelöst:

"Die Optimierung der Steuerung in Produktion und Zirkulation hebt die massiven Krisensymptome in Folge von Verteilungsunterschieden, Sättigungsprozessen und chronischer Überakkumulation nicht auf. Die Verfechter der These vom Übergang in eine 'Neue Ökonomie' überschätzen die wirtschaftliche Dynamik von Informations- und Kommunikationstechnologien erheblich."
Mythos 3: Soziale Gerechtigkeit
Weit entfernt davon, die für kapitalistische Gesellschaften charakteristischen Verteilungskämpfe zu befrieden oder gar aufzuheben, geht Joachim Bischoff von einer weiteren Verschärfung der Konflikte aus.

Nicht nur wird sich unter dem Druck der flexiblen Wechselkurse und der Finanzmärkte die Kluft zwischen den Ländern der "Ersten" und der "Dritten Welt" verschärfen, auch innerhalb der westlichen Ökonomien zeigten sich immer deutlicher Spaltungen zwischen arm und reich.

Die überdurchschnittlich hohe Wachstumsquote der USA im letzten Jahrzehnt, so Bischoff, hatte den Rückgang der Sparquote und eine höhere Verschuldung der privaten Haushalte, die Schädigung der öffentlichen Infrastruktur, die nahezu vollständige Rücknahme sozialstaatlicher Leistungen bei gleichzeitiger Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse (working poor) nicht zur Folge, sondern zur Vorraussetzung.
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Vom Wirtschaftsboom profitierten also nicht alle US-Amerikaner gleichermaßen: "(...) während der Zuwachs der oberen 20% von 1977 bis 1997 43% (Einkommenssteigerung) beträgt, konnten die 2,4 Mio. Spitzenverdiener (1% der Bevölkerung) sogar eine Steigerung ihrer Einkommen nach Steuern um 115% einfahren."
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Soziale Ausgrenzung
Ähnliche Entwicklungstendenzen wie in den USA zeigten sich, so Bischoff, auch in Deutschland, auch wenn dort die Börsenkapitalisierung der Unternehmen, der Abbau sozialstaatlicher Leistungen und das Konsumniveau bisher keine den USA vergleichbaren Ausmaße angenommen hätten.

Jedoch sei da wie dort ein Anwachsen sozialer Ausgrenzung zu beobachten. Daneben macht Bischoff aufmerksam auf die neugewonnen Popularität autoritärer Sozial- und Politikformen und meint damit nicht nur den Rechtsextremismus und die Fremdenfeindlichkeit in der deutschen Gesellschaft, sondern auch die Sozialpolitik selbst, die zunehmend zu einer Instanz sozialer Kontrolle werde: Das Leitbild auch sozialer Sicherung sei "der 'aktivierende Staat' und damit die Etablierung eines unter dem Fordismus nicht gekannten Zwangs."

Cathren Müller
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Das Buch von Joachim Bischoff "Mythen der New Economy. Zur politischen Ökonomie der Wissensgesellschaft" ist im VSA Verlag erschienen, hat 172 Seiten und kostet 181 Schilling.
->   Das Buch im VSA Verlag
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01.01.2010