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Wie die Hirnforschung das Menschenbild verändert  
  Wenn Neurowissenschaften sich auf die Suche nach den biochemischen Grundlagen des Bewusstseins, der Erinnerung, des Lernens, der Sprachfähigkeit macht, könnten sie damit auch über die Grenzen der Biologie hinaus Neuformulierungen des menschlichen Selbstverständnisses provozieren.  
1990er: "Jahrzehnt des Gehirns"
Die neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts galten als "Jahrzehnt des Gehirns". Beim Verständnis der Kommunikation zwischen Nervenzellen und genetischen Grundlagen dazu gab es wichtige Fortschritte.

Vernetzen und Integrieren sind Schlüsselwörter zur Beschreibung dessen, was im Hirn vorgeht, geworden. Sie symbolisieren ein Gehirn, in dem Millionen von Nervenzellen durch ihre diversen Verbindungen miteinander irgendwie die notwendigen Voraussetzungen für all die unzähligen Dinge schaffen, die wir Wahrnehmung, Emotion, Bewusstsein, Lernen, Erinnerung, und so weiter nennen.
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Ende der Geist-Materie-Trennung
Die Aufhebung der Trennung von Körper und Geist ist keine Erfindung der Neurowissenschaften. Aber sie machen doch deutlich, dass man sich auch und gerade auf biologischer Ebene keine solche Trennung vorstellen könne. Es gibt nicht das Organ im Körper, das Bewusstsein generiert, das die Ich-Substanz enthält, das sozusagen als Schnittstelle zwischen Materie und Geist existieren würde, wie man es sich etwa noch unter Descartes'scher res cogitans hätte vorstellen können.
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Keine Schaltzentrale
Wie genau die Vernetzung zwischen den einzelnen Hirnregionen passiert, wie zum Beispiel visuelle und auditive Wahrnehmungen in Einklang gebracht werden können, weiß niemand so genau.

Endgültig verabschiedet hat man sich jedoch von der Idee einer Art "Schaltzentrale", die die unterschiedlichen Hirnaktivitäten überwacht und koordiniert.
Impulse für Interdisziplinarität
Grundsätzliche Fragen - wie etwa die nach dem Bewusstsein - sind zwar nach wie vor offen. Die Neurowissenschaften stellen aber, wie die Lebenswissenschaften überhaupt, die Geistes- und Humanwissenschaften vor neue Herausforderungen, versuchen sie doch ähnliche Phänomene unter ganz unterschiedlichen Prämissen zu erklären.

Biologischer Reduktionismus versus fehlendes Grundverständnis eben biologischer Vorgänge sind oft ausgetauschte Vorwürfe. Eine wirkliche Chance zu neuer Erkenntnis könnte - zumindest theoretisch - in einem integrativeren Ansatz ohne einseitige Ansprüche auf allgemein gültige Erklärungsmuster liegen.

Der Suche nach dem alles erklärenden Supersystem steht der Versuch gegenüber, die Ansätze verschiedener Theorien komplementär zu denken. Voraussetzung dafür ist die grundsätzliche Sprachfähigkeit, die das Vehikel des Austausches zwischen den Disziplinen und ihren jeweiligen Sprachspielen bietet.
Gedanken erst durch Sprache bewusst?
Die grundsätzliche Sprachfähigkeit - das Unterscheidungsmerkmal zwischen Mensch und Tier - wird von manchen auch als nötige Voraussetzung für bewusstes Denken betrachtet.

Erst wenn die "Stimme im Kopf" einem Gedanken Worte verleiht, würde er demnach bewusst, könnte verfolgt, erarbeitet und weiterentwickelt werden - Sprache also als nötige Maschinerie, Denken bewusst zu machen.

Wie es Sprache aber schafft, sich mit Gedanken oder anderen Wahrnehmungen zu verbinden, sie auszudrücken und damit bewusst zu machen, darauf kann auch die moderne Neurobiologie keine Antwort geben.

Das linguistische System ist außerdem natürlich nicht die einzige Möglichkeit, Bewusstsein zu erlangen. Neben visuellen oder auditiven Reizen, Berührungen, wurde in letzter Zeit vor allem die Rolle der Emotionen in diesem Zusammenhang diskutiert.
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Bewusstsein durch Emotionen
Emotionen sind für den amerikanischen Neurologen Antonio Damasio die Voraussetzung für Bewusstsein sind - über den Zwischenschritt von Gefühlen. Dazu führt er eine deutliche Unterscheidung von Emotionen und Gefühlen ein. Emotionen beschreibt er als die rein physiologischen Reaktionen auf irgendeinen Reiz oder Trieb - Gefühl dann als die mentale Repräsentation dieser Emotion. Furcht zum Beispiel kann die Herzfrequenz verändern. Diese veränderte Herzfrequenz wird immer die Reaktion auf einen Reiz, der Furcht auslöst, sein. Damit diese Reaktion dann aber als Furcht auch wahrgenommen wird, bedarf es des Gefühls.
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Gefühle, die mentalen Repräsentationen wären demnach so etwas wie die Vorstellung dessen, was physiologisch im Körper passiert - über den Zwischenschritt von unterschiedlich aktivierten Nervenzellen, die diese mentalen Bilder generieren. Wie sie das tun könnten, ist allerdings völlig rätselhaft.
Erlebtes erklären
Den Vorwurf des biologischen Reduktionismus wollen die Neurowissenschaften nicht gerne auf sich sitzen lassen. Wenn sie Nervenzellekommunikation beschreiben, Hirnaktivitäten messen, dann sei das ihr spezifischer Zugang zur Erklärung eines Phänomens.

Emotionen und Gefühle zu erklären beispielsweise sei aber eben etwas ganz anderes als sie zu erleben. Das sei der Unterschied zwischen der "Innensicht", die jedem einzelnen von uns möglich ist, und der "Außensicht", zu der sich die Wissenschaft verpflichtet sieht.

Ein Beitrag von Birgit Dalhaimer für das "Salzburger Nachstudio" auf Ö1, Mittwoch, 21.01.
->   Zu Gehirn und Bewusstsein
 
 
 
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01.01.2010