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Kladovo Transport: Missglückte Flucht vor den Nazis  
  Im November 1939 verließ ein Transport mit rund 1.200 jüdischen Flüchtlingen Wien in Richtung Palästina. Doch nur etwa 200 Jugendlichen gelang die Flucht tatsächlich. Der Rest wurde nach einer schrecklichen Odyssee von eineinhalb Jahren in Serbien von den Nazis eingeholt und zu Opfern ihrer Vernichtungspolitik.  
Fluchtziel Palästina
Das britische Mandatsgebiet Palästina war im Herbst 1939, als die meisten Länder keine jüdischen Flüchtlinge mehr aufnahmen, eines der letzten verbliebenen Fluchtziele.

Doch auch die Briten hatten die Einwanderung bereits auf ein Minimum reduziert und versuchten, Flüchtlingsschiffe an der Landung zu hindern. Der illegale Transport, der später als Kladovo-Transport in die Geschichte eingehen sollte, ging also ein großes Risiko ein.

Für die Organisation zeichnete der "Mossad le Alija Bet" verantwortlich, eine in Palästina gegründete Organisation zur Rettung europäischer Juden.
Irrfahrt am Balkan

Das Flüchtlingsschiff "Car Dusan" in Kladovo.
In Bratislava wurden die Flüchtlinge auf drei jugoslawische Ausflugsschiffe aufgeteilt. Zu Jahresende 1939 wurden die Schiffe im Dreiländereck Rumänien - Jugoslawien - Bulgarien erstmals gestoppt. Im kleinen Donauhafen Kladovo sollte die Eisschmelze abgewartet werden.

Doch aus dem kurzen Aufenthalt wurden Monate des Wartens. Im September 1940 ging die Fahrt endlich weiter. Doch sehr zu ihrem Entsetzen wurden die Flüchtlinge stromaufwärts, also zurück geschickt, bis ins kleine serbische Städtchen Sabac nahe Belgrad. Auch in Sabac hieß es wieder warten.
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Die Ausstellung "Kladovo - eine Flucht nach Palästina" ist noch bis zum 4. November im jüdischen Museum in Wien zu sehen.
->   Jüdisches Museum
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Lebensbedingungen
Chaim Schatzker, einer der Überlebenden, erinnert sich mit Bitterkeit an psychisch und physisch unvorstellbare Zustände auf dem Schiff. Als Nicht-zionist wurde er von den zionistischen Jugendlichen geschnitten, dazu kamen die Kälte, der Schmutz, Krankheiten.
Rettung in letzter Sekunde
Im März 1941, sozusagen in letzter Sekunde vor dem Einmarsch der Deutschen, gelang es rund 200 Jugendlichen, sich via Griechenland, Istanbul, Aleppo und Beirut doch noch nach Palästina zu retten. Alle anderen Erwachsenen und über 17-Jährigen blieben in Sabac zurück.
In der tödlichen Falle
Im April 1941 marschierte die Wehrmacht in Jugoslawien ein. Die Kladovo-Flüchtlinge saßen in der Falle. Rund ein Jahr später waren alle ermordet: die Männer Opfer der "Partisanenbekämpfung", die Frauen vergast.
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Buchtipp
Das Buch "Gescheiterte Flucht. Der "Kladovo-Transport" auf dem Weg nach Palästina 1939 - 1942" von Gabriele Anderl und Walter Manoschek ist 2001 im Verlag Mandelbaum erschienen.
->   Gescheiterte Flucht
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Vernichtungspolitik der Wehrmacht
Die Wehrmacht habe sich zunächst auf eine ruhige Besatzungsherrschaft am Balkan eingestellt, sagt der Historiker Walter Manoschek. Doch die Partisanen leisteten bewaffneten Widerstand.

Ein Österreicher, General Franz Böhme, ließ so genannte Sühnemaßnahmen durchführen: für jeden verwundeten deutschen Soldaten mussten 50, für jeden gefallenen Soldaten 100 Zivilisten erschossen werden.

Anfang Oktober 1941 wurden alle Männer des Kladovo Transports in einer derartigen "Sühneaktion" von einer Einheit der Wehrmacht erschossen.
"Spezialfahrzeug" zum "Einschläfern" von Juden
Bald danach wurden die Frauen des Kladovo-Transports ins KZ Sajmiste in einem Vorort von Belgrad gebracht. KZ Kommandant war Herbert Andorfer, ein Österreicher.

Er wurde vermutlich im März 1942 darüber informiert, dass demnächst ein "Spezialfahrzeug" aus Berlin eintreffen werde, in dem die Juden "eingeschläfert" würden.

Zwischen März und Mai 1942 holten jeden Tag zwei LKWs 50 bis 80 Menschen in Sajmiste ab. Auf der Fahrt durch Belgrad wurde Gas eingeleitet. Am Ziel hatte ein Häftlingskommando bereits die Gruben ausgehoben.
Wer trägt die Verantwortung?
Vor allem in Israel wird heute heftig über die Verantwortung des Mossad und der zionistischen Organisationen am Scheitern des Transports gestellt. Das sei legitim, meinen österreichische Historiker.

Doch darüber dürfe nicht vergessen werden, wer an der Tragödie eigentlich schuld sei: die Vertreibungs- und Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten.

Ein Beitrag von Judith Brandner für die Ö 1-Dimensionen: Mittwoch, 8. 8. um 19 Uhr auf Radio Österreich 1.
->   Radio Österreich 1
 
 
 
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01.01.2010