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Die Rolle der Schweiz im zweiten Weltkrieg  
  Die Schweizer Bergier-Kommission, die sich mit der Rolle des Landes im Zweiten Weltkrieg befasst, hat die ersten acht ihrer insgesamt 25 Berichte vorgelegt. Die Studien zeigen die enge Zusammenarbeit der Schweizer Wirtschaft mit Nazideutschland auf.  
Industrie, Handel, Stromunternehmen und Bahnen der Schweiz leisteten einen Beitrag an die Kriegswirtschaft der Achsenmächte.

Diese Kooperation war aber nicht bedingungs- oder grenzenlos, wie aus den Forschungsarbeiten hervorgeht. Die politischen und wirtschaftlichen Akteure hatten in erster Linie das Wohl der eigenen Unternehmen respektive der Schweizer Landesversorgung im Auge.
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Die Bergier-Kommission
Die Unabhängige Expertenkommission (UEK) des Wirtschaftshistorikers Jean-Francois Bergier untersucht seit 1997 die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg. Sie legte bisher zwei Zwischenberichte über die Gold- und die Flüchtlingspolitik vor. Ende 2001 wird die Bergier-Kommission ihren Schlussbericht dem Bundesrat vorlegen. Dessen Veröffentlichung wird im Frühjahr 2002 erwartet.
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Traditionell gute Beziehungen
Die meisten Maschinen-, Chemie- und Elektrounternehmen bauten ihre traditionell guten Beziehungen zu Deutschland zur Nazizeit aus. Sie trugen damit zur Erholung der deutschen Wirtschaft bei und stützten das Nazi-System, heißt es in der Studie über die Industrieunternehmen.
Keine Beunruhigung gegenüber Nazi-Rassenpolitik
Über die Beschäftigung von Zwangsarbeitern in deutschen Filialen zeigten sich die Direktionen wenig beunruhigt. Die Unternehmen folgten der Nazi-Rassenpolitik, indem sie die jüdischen Entscheidungsträger in deutschen Filialen durch ''Arier'' ersetzten.

Allerdings gab es in der Politik der einzelnen Unternehmen durchaus Nuancen, wie die Studie über die Chemieunternehmen festhält.
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Sonderfall: Finanzholding IG Chemie
Eine besondere Stellung nahm die Finanzholding IG Chemie, später Interhandel, ein, eine einstige Tochter des deutschen Chemieriesen IG Farben und seit 1967 Teil der UBS. Die Interhandel-Studie fand zwar viele Hinweise auf eine enge Beziehung zwischen der Firma und dem Nazi-Konzern bis in die Kriegsjahre hinein, aber keine Beweise dafür, dass die Interhandel nach der offiziellen Trennung von IG Farben 1940 von dieser weiterhin kontrolliert und als Tarnfirma eingesetzt worden wäre
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Strom gegen Kohle
Stromlieferungen waren wichtige Leistungen der Schweiz ans Dritte Reich. Sie trugen dazu bei, dass Deutschland von einem Wirtschaftskrieg gegen die Schweiz absah.

Im Krieg lieferte die Schweiz jährlich rund eine Milliarde Kilowattstunden Strom an Deutschland - als Gegenleistung für deutsche Kohlelieferungen. Allerdings weigerte sie sich, das Exportvolumen trotz wachsender deutscher Nachfrage zu erhöhen. Es wäre verfehlt, von einem ''Energie-Anschluss'' zu sprechen, urteilt die Studie über die Stromwirtschaft.
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Kleiner aber wichtiger Beitrag
Zwar deckten die Schweizer Lieferungen nur 1 bis 1,5 Prozent des gesamten deutschen Stromverbrauches, für die Industrien in Süddeutschland waren sie aber äußerst wichtig - besonders für die dortigen Aluminiumwerke.
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Lieferungenen unter Druck beendet
Die Stromlieferungen gingen erst gegen Ende des Krieges, auf massiven Alliierten Druck hin, zurück und wurden Ende Februar 1945 ganz eingestellt.
Bahntransit: Wichtige Nord-Süd Route
Auch der Bahntransit war eine wichtige Dienstleistung der Schweiz für das Dritte Reich. Allerdings fuhren während des Krieges keine Züge mit Deportierten aus den Nazi-kontrollierten Gebieten durch die Schweiz, hält die Beriger-Kommission fest
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Kontrolle der Waffenlieferungen mangelhaft
Entsprechend den Haager Konventionen verbot die neutrale Schweiz den Transit von Waffen für Truppen in Nordafrika respektive Italien, ließ aber den Transit von Waffen zwischen privaten Unternehmen von Fall zu Fall durch.
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Geldgeschäfte: Für beide Seiten ein Gewinn
Der Grossteil des bilateralen Warenverkehrs zwischen der Schweiz und den Achsenmächten wurde über ein staatlich reguliertes Verrechnungsverfahren, das so genannte Clearing-System, abgewickelt.
Neutralitätspolitisch fragwürdig
Dabei gewährte die Schweiz Deutschland im Kriege Clearing-Kredite von 1,3 Mrd. Franken. Die Kredite waren zum Ankauf von militärischen und zivilen Gütern bestimmt.

Sie erleichterten den Schweizer Unternehmen die Ausfuhren, dienten aber auch der Kriegsfinanzierung der Achsenmächte - ein neutralitätspolitisch fragwürdiges Unterfangen, wie die Clearing-Studie urteilt.
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Ohne Austausch von Devisen
Die Schweiz hatte 1934/35 mit Deutschland und Italien Clearingabkommen geschlossen, die den bilateralen Warenverkehr nahezu ohne Austausch von Devisen sicherstellten.
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Außerhalb der demokratischen Kontrolle
80 Prozent der deutschen Zahlungen an die Schweiz während der Kriegsjahre erfolgten über das Clearingsystem. Dieses entzog sich weitgehend der demokratischen Kontrolle und brachte eine starke Bürokratisierung der Außenwirtschaft.
Fluchtgut statt Raubgut
Die Schweiz war zur Nazizeit auch Umschlagplatz für den Handel mit Kulturgütern aus dem Nazi-Herrschaftsbereich. Die Studie stellt dabei fest, dass mehr Fluchtgut in die Schweiz gelangte als Raubgut.
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Gerettet und gestohlen
Die Bezeichnung ''Fluchtgut'' führte die Bergier-Kommission ein. Sie bezeichnet Kulturgüter, die von ihren rechtmäßigen Besitzern vor den Nazis ins Ausland gerettet wurden. Bei ''Raubgut'' handelt es sich um Kulturgüter, die die Nazis ihren rechtmäßigen Besitzern weggenommen hatten.
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Wo blieb was?
Fluchtgut wurde, so die Studie, von Museen wie von Privatpersonen in der Schweiz erworben. Raubgut hingegen gelangte vorwiegend in den Besitz von Privatpersonen.

Vielfach mussten die rechtmäßigen Besitzer ihre geretteten Güter weit unter ihrem Wert verkaufen. Was den Transithandel in Drittländer angeht, so fungierte die Schweiz hauptsächlich als Drehscheibe für Fluchtgut, während Raubgut meist in der Schweiz seinen endgültigen Absatz fand.
Landesinteressen im Vordergrund des Handelns
In seiner Einführung unterstrich Kommissionspräsident Jean- Francois Bergier, dass die damaligen Akteure nur in den seltensten Fällen aus Bosheit oder ideologischer Verblendung heraus handelten, sondern aufrichtig den Landesinteressen dienen wollten.

Sie standen nicht vor dem Dilemma ''Anpassung oder Widerstand'', sondern vor der Frage, wie weit man mit Anpassung Widerstand leisten und die Unabhängigkeit der Schweiz wahren konnte.

(APA/sda/red)
->   Unabhängige Expertenkommission (UEK) - Bergier-Kommission
->   Das Schweizer Parlament
->   Neue Zürcher Zeitung
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Schweiz: Gemischte Reaktionen auf Bergier-Bericht
Für die Einen eine Unschuldsbestätigung, für die Anderen Anklageschriften gegen die Schweiz: Die Studien der Bergier-Kommission zur Untersuchung der Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg wurden unterschiedlich aufgenommen
->   Erste Reaktionen auf Bergier-Bericht
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01.01.2010