News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft .  Medizin und Gesundheit 
 
Zum Terroristen wird man nicht geboren  
  Psychologen sind sich einig: Zum Terroristen wird man nicht geboren, sondern man wird dazu gemacht. Sie hatten prägende Erlebnisse in der Kindheit, wurden in der Pubertät "fehlgeleitet" und leben in einer Gesellschaft mit starken Konflikten.  
Psyche eines Terroristen

Für den Leiter des Psychiatrisch-Psychologischen Dienstes der Justizdirektion von Zürich, Frank Urbaniok haben fanatisierte Täter eigene Legitimitätskonzepte. Ihr Handeln ist innerhalb ihres Weltbildes logisch und richtig. Ihre Wahrnehmung der Außenwelt ist gefiltert durch einen langen Ausbildungsprozess und damit einhergehenden Sozialisation.

Das macht diesen Menschen auch möglich, jahrelang ein bis zur Perfektion unauffälliges, angepasstes Leben im Land ihres Todfeindes zu führen. Bis sie schließlich zuschlagen.
Prägung in der Kindheit
Der Grundstein für ihre Terroristen-Karriere ist in der frühen Kindheit gelegt. Sie haben vielleicht miterlebt wie ihre Eltern ermordet wurden. So ein Erlebnis hat eine normale emotionale Entwicklung verhindert. Jetzt warten sie kaltblütig auf den Tag X.

Diese Menschen haben, so der Experte Günther Amesberger von der Universität Wien, ein Identitätsdefizit. Sie haben keine Liebe erfahren, wurden nicht als individuelle, wichtige Person wahrgenommen. Dieses Identitätsloch aufzufüllen gelingt aber über die Identifikation mit einer großen Idee.
...
Prof. Amesberger: "Und dafür braucht es natürlich auch das passende Gegenüber. Jemanden, der eine große Vision anbietet, eine Befreiung, eine Bedeutung, die über die einzelne Person hinausgeht. Hier kann so ein Mensch dann einsteigen, um sich endlich geborgen zu fühlen."
...
Drill auf ein Ziel
Kinder suchen Halt und Anerkennung. Bei Guerillaorganisationen wie zum Beispiel der Hisbollah im Libanon finden sie in der Gruppe Geborgenheit, die Familie und Freunde nicht bieten konnten. So wird ihr Selbstbewusstsein gestärkt.

Mit brutaler Ausbildung werden die Kinder auf ein einziges Ziel gedrillt: Den Kampf für eine bessere Welt, mit allen Mitteln. Für ihre charismatischen Führer sind sie sogar bereit, den Märtyrertod zu sterben.
...
"Die einschneidenden Maßnahmen finden üblicherweise zwischen dem 10. und dem 14. Lebensjahr statt. Das ist die Zeit der Pubertät und Identitätsfindung, in der der Jugendliche seine Grenzen findet, wo er sehr viel imitiert. Und wo, wenn das richtige Vorbild mit auch der richtigen Motivation kommt, sehr viel fehlgeleitet werden kann," erklärt Eva Resinger von der Forensischen Ambulanz am AKH Wien.
->   Universitätsklinik für Psychiatrie, AKH Wien
...
Nährboden für Terrorismus

Das psychische Grundmuster ist immer das gleiche, auch wenn die Ziele austauschbar sind: Kein emotionaler Halt in der Kindheit, Fehlleitung in der Pubertät, gesellschaftliche Konflikte. Das ist der Nährboden für Terrorismus.

Die Geschichte zeigt, dass Menschen schon immer die verletzliche Psyche der Jugend ausgenützt haben, um ihre politischen Ziele zu erreichen. Auch im Nationalsozialismus hat man das spielerische Aggressionspotential Heranwachsender instrumentalisiert und für ideologische Zwecke missbraucht. Psychologen sprechen von Fehlleitung und Verführung, die das ganze Leben prägen kann.
...
Dr. Eva Resinger: "Es ist so, dass Prägungen, die zum richtigen Zeitpunkt der Entwicklung stattfinden, nie restlos gelöscht werden können. Das sehen wir zum Beispiel bei Menschen, die heute 76 oder 78 Jahre alt sind und in der Hitlerjugend waren. Für sie gibt es bleibende Prägungen - was auch immer das für sie bedeutet, das war positiv, bei allem Grauen bleibt ein Rest."
...
Operation go!
Der Tag X ist das einzige Ziel. Absolute Konzentration und das Ausschalten jeder emotionalen Regung sind der Weg dorthin.

Die Ausbildung, vermuten Experten, bezieht sich sowohl auf physische Fitness als auch auf die psychische. Auch Drogen können hier ein wesentliche Rolle spielen.
Gefühllosigkeit trainieren
Aber auch durch permanentes mentales Training, durch ständiges Wiederholen der geplanten Operation werden Emotionen sukzessive wegtrainiert. Dazu werden Störfaktoren eingesetzt: Schreiende Menschen, Kinder, Kampf im Inneren des Flugzeuges. Ähnliche Szenen wie sie jetzt über die letzten Minuten in den Todesflugzeugen bekannt werden.

Mit Methoden wie dem Biofeedback kann die körperliche Reaktion auf Stressfaktoren nachvollzogen werden. Ziel des Mental-Trainings ist es, jede Gefühlsregung zu unterbinden.
...
Menschliche Waffen
Bei den Terroranschlägen in New York und Washington stürzten ein paar Selbstmordattentäter sich und einige tausend Menschen in den Tod. Wie wird ein Mensch zum Kamikaze? Der aus dem Japanischen stammende Begriff bedeutet eigentlich ''göttlicher Wind''.
->   Mehr dazu in: Kamikaze - Menschen als Waffen
...
Terroristen-Biographie
Nicht jeder mit dieser Biographie wird zum Terroristen, aber jeder Selbstmordattentäter hat eine vergleichbare Biographie, die ihn fähig macht, das scheinbar Unvorstellbare zu tun: in vollem Bewusstsein eine Operation wie diese kaltblütig durchzuführen, zu sterben und dabei Tausende mit in den Tod zu reißen.

Martina Schmidt, Sylvia Unterdorfer, Modern Times; red
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft .  Medizin und Gesundheit 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010