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Wenn die Liebe zum Wahn wird  
  "Liebe macht blind", so eine weit verbreitete Redensart. Doch Liebe kann tatsächlich auch dauerhaft zum Wahn werden. Mediziner sprechen dann von einer Paranoia erotica, einer ernst zu nehmenden und therapiebedürftigen psychischen Störung.  
Dies berichtet das Wissenschaftsmagazin "Der Nervenarzt". Die Paranoia erotica äußert sich in einer idealisierten romantischen Liebe zu einer eigentlich unerreichbaren Person, die sich von dieser Vergötterung zumeist eher belästigt als geschmeichelt fühlt.
Sexistische Psychiater?
Noch in den fünfziger Jahren waren viele Psychiater dem Bericht zufolge davon überzeugt, dass der Liebeswahn "eine Wahnbildung sexuell unbefriedigter weiblicher Wesen" sei.

Doch mittlerweile sei bekannt, dass die Erotomanie nicht einfach eine Mannstollheit sei, betonen Hans-Jörg Assion und Patrick Debbelt vom Zentrum für Psychiatrie der Ruhr-Universität Bochum.
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Erotomanie...
...der Zwang, sich nahezu pausenlos mit Liebe, Erotik und Sexualität auseinander zu setzen. Dieser Zwang kann sich so sehr steigern, dass der Betroffene an nichts anderes mehr denkt. Der Sexualforscher Iwan Bloch definierte die Erotomanie als eine übermäßige Sehnsucht nach Liebe. Dabei werden selbst alltägliche Dinge mit sexuellen Motiven interpretiert. Dieser Zwang führt zu unaufhörlicher Suche nach immer neuen Reizen und Sexualimpulsen.
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Fixierung auf ein Liebesobjekt
Vielmehr fixiere sich die erkrankte Person auf ein Liebesobjekt in herausragender Position - vom Chefarzt über einen Popstar bis hin zu Königen oder Prinzessinnen. 1987 klassifizierte die Amerikanische Psychiatrische Vereinigung die Paranoia erotica als Subtyp der wahnhaften Störung.

Die Psychologen unterscheiden grob zwei Formen der so genannten Erotomanie. Die erste Variante tritt vorwiegend bei allein stehenden Frauen zwischen dem 40. und 60. Lebensjahr auf. Ihr Liebeswahn bezieht sich meist auf ältere Männer, die sozial höher oder finanziell besser gestellt sind.

Auch Männer sind von der Störung betroffen. Als sekundäre Erotomanie bezeichnet die Wissenschaft einen Liebeswahn, der mit einer weiteren psychischen Störung einhergeht, vor allem der paranoiden Psychose sowie affektiven Störungen oder organischen Erkrankungen.
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Paranoia und Psychose
Geistesstörung, die durch die Ausbildung eines in sich geordneten Wahnsystems gekennzeichnet ist; typische Ausprägungen sind Verfolgungswahn, Eifersuchtswahn oder Größenwahn. Psychosen sind psychische Erkrankungen, die durch Störungen im Bezug zur Umwelt gekennzeichnet sind. Zu den Symptomen zählen Wahnvorstellungen, Halluzinationen, Ichstörungen, Angstzustände, Depression und Manie. Oft fehlt dem Betroffenen die Einsicht in seinen krankhaften Zustand. Als exogene, symptomatische oder organische Psychose werden die Formen bezeichnet, die durch nachvollziehbare körperliche Schäden wie z. B. Tumoren, Infektionen, Verletzungen, Stoffwechselstörungen, Alkohol- oder Drogenmißbrauch hervorgerufen werden. Eine endogene oder funktionelle Psychose ist durch keine organische Schädigung begründbar. Hierzu gehören als häufigste Formen die Schizophrenie und die manisch-depressive Erkrankung.
->   Mehr zu Psychosen
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Wahnhafte Täuschung
Typisch für die Paranoia erotica ist nach Angaben der Psychologen, dass der Patient sich wahnhaft sicher ist, dass die Liebe auf Gegenseitigkeit beruht. Blicke, Gesten und jegliche Informationen werden demnach mit pathologischem Ichbezug als Beweis dafür gewertet.

Ziel der Patienten sei es, mit der geliebten Person mit Hilfe von Telefonanrufen, Briefen, Geschenken oder Besuchen in Kontrakt zu treten. Auch vor Überwachen, Auflauern und Eindringen in Wohnungen schrecke der Kranke nicht zurück.
Therapie nach Grundleiden
Ursachen und Heilungschancen der psychischen Erkrankung sind bis heute nicht endgültig geklärt. Assion und Debbelt verweisen auf neuropsychologische Untersuchungen, denen zufolge bei Patienten
Störungen in bestimmten Hirnregionen festgestellt wurden.

Die Therapie sollte sich nach dem Grundleiden richten. In jüngster Zeit wird nach Angaben der Psychiater eine medikamentöse Behandlung vor allem mit neueren so genannten Neuroleptika empfohlen.

Die meisten Experten gehen dem Bericht zufolge aber davon aus, dass der Liebeswahn ein chronisches Leiden ist, das sich kaum komplett heilen lässt.
->   Zentrum für Psychatrie der Universität Bochum
->   Artikel in 'Der Nervenarzt' (kostenpflichtig)
 
 
 
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01.01.2010