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Jacques Lacan - umstrittener Intellektueller  
  Der französische Psychoanalytiker Jacques Lacan gilt als einer der umstrittensten Intellektuellen des 20. Jahrhunderts. Den einen galt er als radikaler Interpret Sigmund Freuds, den anderen als "eleganter Hochstapler".  
Schuld daran ist vor allem seine dunkle, schwierige Sprache, die zahlreiche Anspielungen auf Philosophie, Anthropologie und vor allem Linguistik enthält.

Ein Symposion am Institut Francais in Wien befasste sich mit diesem vielschichtigen Denker und kam zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen.
Radikalisierung des Freudianismus
"Lacan suchte die Pest, die Subversion und die Unordnung ins Innerste jenes gezähmten Freudianismus einzuführen, an dem die Gewalt seiner Ursprünge nicht mehr erkennbar war."

So charakterisierte Elisabeth Roudinesco, die Autorin einer grundlegenden Darstellung des französischen Psychoanalytikers, Lacans Lebenswerk.
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Elisabeth Roudinesco über Jacques Lacan
Elisabeth Roudinesco
"Jacques Lacan. Bericht über ein Leben, Geschichte eines Denksystems."
Erschienen 1999 bei Fischer Taschenbuch in der Reihe Forum Wissenschaft, Figuren des Wissens.
831 Seiten
ISBN: 3-596-13843-4,
218.00 ATS (15,84 Euro)
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Persönliche Arroganz ...
Er vertrat auch eine eigenwillige Interpretation der Lehranalyse, die er nach Belieben gestaltete und mutwillig abbrach. Bekannt war Lacan zudem wegen seiner persönlichen Arroganz.
... als
Als Therapeut habe er das Recht - so lautete seine Überzeugung - "meinen Orakelspruch zu formulieren - als alleiniger Herr an Bord meines Schiffes neben Gott".
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Biographie Jacques Lacan
Jacques Lacan, der 19o1 in einer bürgerlichen Familie geboren wurde, begann als Psychiater und wandte sich bald der Psychoanalyse zu. Gleichzeitig setzte er sich mit der Philosophie auseinander - vornehmlich mit Spinoza und Hegel, später mit Husserl und Heidegger. Befreundet war er vor allem mit Künstlern wie Salvador Dali, Michel Leiris oder Georges Bataille und mit den Philosophen Jean-Paul Sartre und Maurice Merleau-Ponty.
Lacans Eintritt in die Szene der internationalen Psychoanalyse begann mit einem Skandal. Bei einem Kongress in Marienbad im Jahre 1936 wurde ihm vom vorsitzenden Präsidenten Ernest Jones bereits nach 10 Minuten das Wort entzogen. Es war dies der Beginn einer subversiven Haltung Lacans gegenüber psychoanalytischen Institutionen, die ihn Zeit seines Lebens begleitete. Am 9. September 1981 starb Lacan in Paris.
->   Umfassende Link-Sammlung zu Lacan
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Das Denken des Psychoanalytikers
Grundsätzlich gibt es im Schaffen von Lacan drei Phasen, so der Philosoph Walter Seitter, der an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien tätig ist.
PHASE 1: Das Spiegelstadium

Jacques Lacan
In die erste Phase fällt seine Überlegungen zum Spiegelstadium, das von der Hilflosigkeit des menschlichen Säuglings ausgeht. Der Säugling - körperlich noch hilflos - identifiziert sich mit seinem Spiegelbild und nimmt eine imaginäre Identifikation mit diesem Spiegelbild vor.

Das führt zur Erfahrung einer vermeintlichen Einheit seines Körpers und wird als beglückendes Erlebnis empfunden.

Durch das Spiegelstadium entsteht dann jene Vorstellung, so Lacan, "deren starre Struktur die ganze mentale Entwicklung eines Subjekts bestimmt und im Panzer einer entfremdeten Identität gipfelt."
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Skandal! - Jacques LeRider über Lacans Spiegelstadium
Die erste Phase des Spiegelstadiums ist nach der Überzeugung des in Paris lebenden Kulturtheoretikers Jacques LeRider die wichtigste Stufe in der Entwicklung Lacans: Die Akzentuierung dieser den Menschen bestimmenden, "entfremdeten Identität" ist nach LeRider der eigentliche Skandal der Lacanschen Theorie. Denn: "Für das Subjekt ist es bequemer, blind für die eigene Identität zu bleiben, als die katastrophale Wahrheit über sich selbst zu durchdringen."
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PHASE II:
In der zweiten Phase bezieht sich Lacan auf die Struktur des Unbewussten bei Freud, das er von der Sprache her deutet. Für ihn ist das Unbewusste nicht der Ausdruck eines polymorphen Triebpotentials, sondern sprachlich strukturiert.

Er lehnte somit die damals herrschende biologistische und naturalistische Interpretation des Unbewussten ab; "Das Es spricht" meint bei Lacan "Die Sprache spricht".
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Heidegger, De Saussure und Jakobson
Mit diesem Ausdruck bezog er sich ausdrücklich auf Martin Heidegger, später nahm er Anregungen der Linguisten Ferdinand de Saussure und Roman Jakobson auf und entfaltete ein Feuerwerk von höchst komplexen Gedankengängen, die seinen Ruf des dunklen, schwierigen Denkers verstärkten.
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PHASE III: Undarstellbar?
In der dritten Phase kokettierte Lacan schließlich mit seiner Rolle als Meister des Undarstellbaren. Er beschäftigt sich mit der Kunst der Knoten und des Flechtens und übernimmt den Begriff des "Mathems", das bedeutet ein Wissen, das nicht mehr gelehrt werden kann.
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Die Suche nach dem Absoluten
Roudinesco spricht in diesem Zusammenhang von der Suche nach dem Absoluten, das Lacan mit dem "Realen" gleichsetzt, von dem nicht einmal der Lacan-und Foucaultspezialist Walter Seitter weiß - wie er im Gespräch zugibt - was es genau bedeuten soll. Gleichzeitig erfreute sich Seitter daran, dass Lacan sich nicht nur mit Knoten befasste, sondern sie auch malte und so "aktiver Künstler" wurde.
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Wissenschaftlicher Dadaismus?
Lacan formulierte bei Kongressen bizarre Gedanken: "Wir glauben, mit unserem Gehirn zu denken, ich aber denke mit meinen Füßen. Ich habe genug Elektroenzephalogramme gesehen, um zu wissen, dass es keinen Schatten von einem Denken gibt."

Solche Äußerungen entsetzten Linguisten wie Noam Chomsky und führten zur Bezeichnung "eleganter Unsinn" des Physikers Alan Sokal.
Querverweise: Das Problem der Lacan-Edition
Neben den Diskussionen über das Werk Lacans berichtete Elisabeth Rodinesco auch über die Schwierigkeit, Lacan überhaupt zu edieren.

Im Gegensatz zu Freud besteht die Schwierigkeit bei Lacan darin, dass er hauptsächlich mündlich - in Form von Seminaren - tätig war und sich einige Herausgeber bemüßigt fühlten, nach verschiedenen Editionsprinzipien vorzugehen, so dass die Schriften Lacans gleichsam nur als "Hypertext" existierten.

Erst ihre eigene rund 800-seitige, mittlerweile zum Standardwerk avancierte Lacan-Studie biete eine Grundlage, meint Roudinesco - aus dem seither "alle anderen Bücher schöpfen können".

Nikolaus Halmer, Ö1-Dimensionen
->   Ö1
Mehr zu Lacan in science.orf.at:
->   Jacques Lacan vor 100 Jahren geboren
Mehr zu Lacan im WWW:
->   www.lacan.com
->   Lacan im philosophenlexikon.de
->   Lacan in www.skeptischeecke.de
 
 
 
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01.01.2010