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Hörschäden bei Orchestermusikern  
  Beethovens Altersgehörlosigkeit ist bekannt, sein Spätwerk umso mehr bewundert. Unbeachtet blieb jedoch bisher, wie massiv das Gehör seiner "Protagonisten", der Musiker im Orchestergraben berufsbedingt und berufsgefährdend beeinträchtigt wird. Nun wurde ein hochsensibles Gerät entwickelt, dass selbst gehörgeschädigten Musikern helfen soll.  
Hochofenarbeiter und Fluglotsen helfen sich mit schalldichten Gehörkapseln. Wie aber schützen sich Orchestermusiker gegen den "Lärm", den sie selbst produzieren?

Denn eine temperamentvoll gespielte Ouvertüre im Orchestergraben ist für das Publikum ein Ohrenschmaus - für den Orchestermusiker jedoch gehörschädigend.
Lösung: Schalldämpfende Filter
Bild: Modern Times
Ein Modell des Gehörschutz-Filters
Die Lösung haben österreichische Akustikexperten entwickelt. Ein winziger Kunstoff-"Knopf" wird in den Gehörgang gesetzt - Gehörschützer, ausgestattet mit speziellen manuell verstellbaren Filtern. Der Schall wird so gedämpft.

Diese eigens entwickelten Gehörschützer sollen geplagten Musikerohren in Zukunft Lärm ersparen. Die Filter sollen den Ton bis zu 25 Dezibel gleichmäßig in allen Frequenzbereichen absenken. Musiker hören ihr Spiel dann gedämpft, aber trotzdem Ton für Ton und klar.
Ungelöstes Problem: "Körperschall"
Nicht gelöst ist allerdings das Problem des Körperschalls. Besonders Bläser leiden unter dem Körperschall, erklärt Hansgeorg Schmeiser, Flötist im Orchester der Wiener Volksoper.

Denn man hört nur zum Teil über das Ohr, zu einem anderen Teil jedoch direkt über die Knochen, wie der Musiker erläutert. Und bei den Bläsern liegen die Instrumente am Kiefer an.

"Die Knochen leiten die Töne weiter. Was man über die Knochen hört, kommt gedämpft, über eine andere Frequenz. Wenn ich jetzt das Ohr wegschalte, das den Klang aus dem Raum rezipiert, dann habe ich das Problem dass der Klang, der über die Knochen kommt, überhand nimmt. Das Hören wird dann deutlich gestört und gemindert", so der Musiker.
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Das Ohr, ein hochsensibles Organ
Das Ohr ist ein hochsensibles Organ. Wird es strapaziert, kann es sich bei ausreichender Erholung regenerieren. Ist das Gehör allerdings häufig oder dauerhaft Lärm ausgesetzt, ist die Schwerhörigkeit geradezu vorprogrammiert.

Gesundheitsschädigend ist Lärm ab 85 Dezibel. Die Schmerzgrenze liegt bei 120 Dezibel. Wenn das Gehör durch Lärm geschädigt wurde, dann ist der Schaden medizinisch irreparabel. Der Schall gelangt in Wellen zum Trommelfell. Und von dort um ein Vielfaches verstärkt, in Richtung Innenohr. Die unzähligen feinen Haarzellen in der Gehörschnecke werden durch den zu starken Schalldruck einfach abgerissen. Die Folge: Taubheit in einem bestimmten Frequenzbereich. Das gilt besonders für Musikerohren.
->   Mehr zu Funktionsweise und Aufbau des Ohrs
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Ohren hören immer
Ein einziger Trompetenstoß aus 50 Zentimeter Entfernung entspricht vier Stunden Höchstbelastung. Es ist also zu laut im Orchestergraben.

Der Kunstgenuss geht hier vor allem für Musiker an die Schmerzgrenze. Der Lärmpegel entspricht dem eines startenden Flugzeugs. Die Ohren aber hören immer, sie können nicht abschalten.

"Dem Ohr ist es völlig egal, ob Beethoven oder Presslufthammer. Wenn es laut genug ist und lang genug andauert, dann kommt es zu einer Hörschädigung. Daher haben durchaus nicht nur Rockmusiker, sondern auch Symphonieorchestermusiker ihre oft sehr spezifische Lärmschädigung des Gehörs", erklärt Bruno Welleschik, HNO-Arzt an der Rudolfstiftung Wien, der an der Entwicklung der Filter mitgearbeitet hat.
Orchestermusiker besonders belastet
Bild: Modern Times
Flötist Schmeiser berichtet von rund zehn Prozent Orchestermusikern mit schweren Beeinträchtigungen des Gehörs nach einer bestimmten Anzahl von Dienstjahren.

"Für Musiker ist das ein heikles Thema. Schließlich arbeiten sie mit ihrem Gehör. Nach einem Musicalabend im Dauerbombardement von 105 Dezibel im Graben gibt es schwere Beeinträchtigungen von Ohrensausen bis zu Kopfweh. Tägliches Proben, Üben, und das über Jahre, führt letztlich zu Gehörschäden", so der Musiker.
Worst case = worst place
Wie sehr ein Musiker durch zu laute Töne belastet ist, hängt vor allem von seiner Position im Orchester ab. In wessen Nachbarschaft befindet sich der Musiker? Aber auch die Belastung durch das eigene Instrument darf nicht unterschätzt werden.

Der Orchestergraben ist für das gesunde Ohr ein ungünstiger Ort zum Musizieren: enger, tiefliegender Raum, enge Sitzplatzanordnung. Die Lautstärke eines bestimmten Instruments wird von denjenigen, die es selbst spielen häufig anders empfunden als von ihren Musikerkollegen.
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Instrumente im Vergleich mit Alltagsgeräuschen
Aus einer Studie der AUVA. OrchestermusikerInnen wurden befragt mit welchen Alltagsgeräuschen sie ihr Instrument hinsichtlich der Lautstärkenentwicklung vergleichen würden. Die Ergebnisse:

Cello, Klarinette, Klavier - Staubsauger, Waschmaschine
Viola - Zahnarztbohrer
Posaune - Autofahrt bei offenem Fenster auf der Autobahn
Querflöte - Glasschneider, Mixer
Schlagwerk - Baustelle, Bohrmaschine, Presslufthammer
Tuba - Brummen eines stehenden LKWs
->   AUVA
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Beispiel: Wagners Meistersinger
Ein Beispiel: Richard Wagners Meistersinger im Orchestergraben. 70 Musiker spielen mit rund 100 Dezibel und manchmal darüber. Am meisten "Lärm" machen Blechbläser und Schlagwerker.

Die aufgestellten Schallschutzwände sind nicht optimal. Zwar werden die vor der Pauke sitzenden Geiger gegen allzu heftige Schläge abgedeckt, aber der Paukist selbst steht wie selbstverständlich im Wirbelklang seiner Schlägel.
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Akzeptanz als Berufskrankheit
Bereits junge Musiker müssen sich mit möglichen Spätfolgen auseinandersetzen. Mediziner plädieren für eine entsprechende Vorsorge durch das Tragen von Gehörschützern. Arbeitgeber sind seit kurzem gesetzlich verpflichtet allen Mitarbeitern, die ständig bei einem Lärmpegel ab 85 Dezibel arbeiten, Gehörschützer zur Verfügung zu stellen. Ein neues Thema für Orchestermusiker und Theaterleiter - und ein Thema für Sozialversicherung und Krankenkassen. Denn ein Gehörschaden durch den Arbeitsplatz Orchestergraben wird nicht als Berufskrankheit anerkannt.
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Zukunftsmusik Digitalisierung
Die Zukunft in der Akustikforschung - nicht nur für geplagte Musiker - liegt in der Digitalisierung. Bald wird jeder Ton über supersensible Mikrochips individuell gestaltbar sein, ob verstärkt, gefiltert oder gedämpft. Die Zukunft ist eine Art vorprogrammiertes Mischpult direkt im Ohr. Daran wird gearbeitet.

Ziel sind "Winzlinge" fürs Ohr mit Kommunikationstalent, die rechtzeitig einschätzen können wie sie den aufgenommenen Schall ins Innere des Gehörs weiterleiten sollen.

Martina Schmidt, Modern Times
->   Modern Times
 
 
 
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01.01.2010