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Tarnen und Täuschen: Eine Geschichte aus dem Regenwald
von Brigitte Helfert, Universität für Bodenkultur
 
  Südthailand, im immerfeuchten Regenwald. Ein harmloses Insekt vergrault nicht nur tierische Räuber sondern düpiert auch Forscher durch ein raffiniertes Täuschmanöver.  
Nicht jede Ameise ist eine Ameise
Auf den ersten Blick fällt die Vielzahl von Ameisen auf, einzeln, in Gruppen oder in geschlossener Formation. Man findet sie als dominierende Insektengruppe in diesem Lebensraum überall. Ihre giftigen Stiche oder Bisse lähmen, durch kollektive Attacken überwältigen sie auch sehr große Beutetiere.

Abgesehen von wenigen Spezialisten, wie z. B. manchen Flugdrachen, vergreift sich daher kein Räuber an einer Ameise. Zu den Ausnahmen zählen auch Insektenforscher, die sie gezielt für wissenschaftliche Zwecke jagen und sammeln. Doch nicht jede gefangene Ameise stellt sich bei näherer Betrachtung als eine solche heraus.
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Mimikry
Es gibt Insekten, die eine Ameise so gekonnt nachahmen, dass sie nicht nur der Räuber verschmäht, sondern auch der Entomologe düpiert wird. Dieses Nachahmen wehrhafter Vorbilder, die Mimikry, ist eine probate Strategie gegen Gefressenwerden. Das wohl bekanntestes Beispiel ist die Wespenmimikry: Beide, sowohl die giftigen Vorbilder (Wespen) als auch die harmlosen Nachahmer (Fliegen, Käfer) haben eine plakative schwarz-gelbe Zeichnung, die "Gefahr" signalisiert.
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Ameisen sind hingegen einheitlich gefärbt und wirken unscheinbar. Dafür verrät sie ihr Körperbau, vor allem der rundliche Kopf mit den kurzen, meist geknickt scheinenden Fühlern und die enge Taille. Mit schnellen, ruckartigen Bewegungen laufen sie am Boden umher und suchen nach Beute.
Vorher
 


Die Ameise als Heuschrecke
Auf einen Blick die Ameise erkennend, greift der Forscher in Thailand rasch zum Fanggefäß und wähnt sich im Besitz einer vielleicht noch unbekannten Spezies. Eine solche Annahme ist in Regenwäldern mit vielen Millionen noch zu entdeckender Insektenarten nicht von der Hand zu weisen.

Unter der Lupe entpuppt sich allerdings eine 6 mm große, schwarze Ameise zur Freude über die Spielarten der Natur, aber auch zum leichten Entsetzen über die eigene Fehlbarkeit, als frisch geschlüpfte Heuschrecke! Genauer gesagt als Laub- oder Langfühlerschrecke.

Namensgebend sind für diese Insektengruppe u. a. die langen, fadenförmigen Fühler. Aber die erschienen doch auf den ersten Blick kurz? Und die verdickten Oberschenkel der Sprungbeine von Heuschrecken wirkten dünn, wie die Laufbeine von Ameisen? Die deutliche Einschnürung in der Körpermitte war ebenfalls deutlich erkennbar?

Alle diese morphologischen Täuschungen stellen sich als Ergebnis einer raffinierten Körperfärbung heraus: Die langen, schwarzen Fühler werden durch einen breiten, hellen Abschnitt unterbrochen und dadurch optisch verkürzt. Weißliche Streifen lassen die dicken Schenkel des dritten Beinpaares schlank erscheinen und die Taille ist in Wirklichkeit auch gar nicht so verjüngt.

Helle, V-förmige Linien, an der richtigen Stelle platziert, verstärken den Eindruck der Einschnürung. Die Täuschung ist allerdings erst in Kombination mit dem Verhalten perfekt: Gleich Ameisen laufen die jungen Heuschrecken auf dem Boden und den Unterwuchspflanzen kreuz und quer, die Fühler in ständiger Bewegung.
Nachher
 


Wer springt, ist seine Tarnung los
Organische Partikel, die von den oberen Vegetationsschichten ständig nach unten rieseln, werden von den Blättern aufgenommen, aber nicht gleich an Ort und Stelle gefressen, sondern vielmehr weggetragen - eine Ameise eben, die mit Nahrung auf dem Weg zu ihrem Bau ist. Die Krümel werden an einer versteckten Stelle, meist unter einem Blatt verzehrt.

Begegnen sich zwei Artgenossen, so betasten sie sich intensiv mit ihren Fühlern, ein Verhalten, das von Ameisen wohl bekannt ist. Von ihrem Sprungvermögen machen die jungen Heuschrecken nur in starker Bedrängnis Gebrauch, denn das Springen lässt ihre Tarnung sehr schnell auffliegen.

Der Ameisenmimikry sind indessen Grenzen gesetzt: Ab dem dritten Larvenstadium haben die Tiere eine Größe erreicht, dass sie als Ameise nicht mehr "durchgehen". Das ist auch der Zeitpunkt, ab dem sie wie typische Heuschrecken aussehen und auch ihr Verhalten gänzlich ändern. Der Kopf verliert seine rundliche Form und wird länglich, die einst perfekt gestaltsändernden Zeichnungen werden verwaschen.
Letzter optischer Gag
Im Gegensatz zu den tagaktiven, ameisen-imitierenden, frei laufenden Stadien verbergen sich die älteren, nun eher unattraktiv bräunlichen Tiere unter Tags in der Laubstreu und gehen nur im Schutz der Dunkelheit auf Nahrungssuche. Anstelle von organischen Bröseln fressen sie nun Blätter.

Die Art verblüfft den Forscher noch ein letztes Mal mit einem optischen Gag: Die braunen Larven verlieren mit der letzten Häutung zum erwachsenen, geflügelten Tier ihre Tarnfarbe und präsentieren sich als wohl farbenprächtigste Heuschrecke Thailands: Körper tief schwarz, Kopf strahlend rot, Flügel intensiv gelb, Beine oben schwarz, unten weiß, Legebohrer der Weibchen orange.

Im Gegensatz zu ihren früheren Lebensabschnitten, in denen sie zunächst als Ameisenimitator kaum erkenntlich oder später optimal im Laub getarnt ist, könnte sie ein Heuschreckenspezialist jetzt wohl kaum übersehen. Nur schlägt sie ihm ein Schnippchen und lebt ab nun hoch in den Bäumen.

Mit einer Annahme hatte der Forscher wenigstens recht: Das Tier war bisher wirklich unbekannt und heißt nun "Macroxiphus sumatranus siamensis".
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Helfert, B. & Sänger, K. (1995): Macroxiphus siamensis sp. n., eine neue Laubheuschrecke aus Thailand (Orthoptera: Ensifera). Entomol. NB. 2, 7 - 10.

Helfert, B. & Sänger, K. (1995): Ameisenmimikry bei Larven von Macroxiphus siamensis (Orthoptera: Ensifera). Z. AG. Öst. Entomol. 47, 156 - 162.

Helfert, B. & Sänger, K. (1996): The male of Macroxiphus siamensis (Helfert & Sänger 1995) (Orthoptera: Ensifera). Z. AG. Öst. Entomol. 48, 13 - 16.
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->   Homepage von Brigitte Helfert
 
 
 
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01.01.2010