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Wie der Wolf zum Hund wurde  
  Vor mindestens 14.000 Jahren tauschten ein paar Wölfe ihr Leben in freier Wildbahn gegen ein Dasein auf steinzeitlichen Müllhalden ein. Neben nie versiegenden Essensabfällen handelten sie sich aber auch ein kleineres Gehirn, Besitzer und geradezu frivole Körperformen ein. Aus evolutionärer Sicht trotzdem ein unschlagbarer Deal.  
400 Millionen Hunde, 70 Mio. Kilo Trümmerln
Bild: Photodisc
Die hündische Erfolgsstory begann irgendwann während der letzten Eiszeit, vermutlich in Mitteleuropa. Ein paar unerschrockene Wölfe ließen von Menschen erstmals ihr Fell kraulen, und dann ging es Schlag auf Schlag. Heute existiert wohl keine einzige menschliche Siedlung, die nicht auch von Hunden bewohnt wird.

Sich auf die erfolgreiche Spezies Homo sapiens als nie versiegende Nahrungsquelle zu verlassen stellte sich rückblickend als Garantie für ein wahres Hundeleben heraus: Im Moment teilen wir unseren Planeten mit geschätzten 400 Millionen Hunden, vom Chihuahua bis zum Rottweiler, die es uns dafür täglich mit 70 Millionen Kilo Hundstrümmerln danken.
Wie wurde der Wolf zum Hund?
Das macht rund 1.000 Mal mehr Hunde als Wölfe, ihre wilden Stammväter, die in stark geschrumpften Restpopulationen ums Überleben kämpfen.

Wie aber die ersten Urhunde nicht nur unsere Herzen, sondern auch unsere Häuser erobert haben, darüber diskutieren Verhaltensforscher, Biologen und Domestikationsexperten nach wie vor. Wie wurde aus Canis lupus, dem Wolf, Canis lupus familiaris, der domestizierte Hund?
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Hinweise auf Hunde vor 14.000 Jahren
Der älteste wissenschaftlich anerkannte Fund eines Hundes ist ein Stück Unterkiefer, der zusammen mit den Skeletten einer Frau und eines Mannes im Siebengebirge im heutigen Deutschland zufällig entdeckt wurde. Archäologen ordneten die menschlichen Überreste Cromagnonmenschen zu, die vor etwa 14.000 Jahren in dieser Gegend lebten.

Die übrigen Knochen-, Kiefer- und Zahnteile wurden als Überreste von verschiedenen Tierarten, unter anderem von einem Wolf, identifiziert. Erst 70 Jahre später stellte sich heraus, dass die vermeintlichen Wolfszähne von einem Hund stammen mussten. Die Reißzähne waren viel zu klein und der Unterkiefer viel zu schwach ausgeprägt, als dass es sich um einen Wolf hätte handeln können.
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Steinzeitmenschen: Grundlose Domestizierer?
Eine Antwort ist, dass Steinzeitmenschen von sich aus Energien in die Domestizierung von Wölfen investiert haben. Und dafür hat es auch keinen speziellen Grund gegeben, behauptet der Verhaltensforscher und Wolfexperte Erik Zimen, der sich seit vielen Jahren jedes Frühjahr Wolfswelpen auf seinen Bauernhof im Bayrischen Wald holt, um zu untersuchen, wie sie sich an den Menschen gewöhnen.

"Im Gegensatz zu anderen Haustieren, abgesehen von der Katze, haben wir von Hunden erst einmal gar keinen wirtschaftlichen, sondern nur einen sozialen Nutzen", ist Zimen überzeugt.
Beseitigung von Essensresten ...
Seiner Theorie zufolge lungerten Wölfe in der Nähe von Siedlungen herum, denn wo sich permanent Menschen aufhalten, wird auch ständig Abfall produziert. Aber nur die neugierigsten, zutraulichsten Tiere wagten sich nahe genug heran, um die ersten Mülldeponien der Menschheitsgeschichte nach Essbarem durchwühlen zu können.
... wirkte wie Müllabfuhr
Die Bewohner tolerierten diese Campwölfe vermutlich, weil sie als eiszeitliche Müllabfuhr mit Brutstätten für Krankheitserreger aufräumten. Diese unrühmliche Vergangenheit könnte eine mögliche Erklärung für die unangenehme Vorliebe mancher Haushunde sein, Exkremente zu verzehren.
Steinzeitliches Adoptivkind: Sache der Frauen?
Von diesen halbwilden Unratvertilgern war es laut Zimen nur noch ein kleiner Schritt bis zu den ersten handzahmen Tieren. "Eines Tages nahm sich dann eine Frau oder eine Familie ein Wolfsjunges aus Mitleid, zärtlichen oder mütterlichen Gefühlen heraus ins Haus und zog es auf. Und von diesen früh von ihrer Mutter getrennten Welpen waren vielleicht ein paar wenige als
Hunde prädisponiert", glaubt er.

Und fügt hinzu: "Ursprünglich waren Hunde eher die Tiere der Frauen als der Männer. Erst sehr viel später wurden sie zu Jagdgehilfen, Wächtern und Beschützern."
Selbstdomestikation als andere These
"Ein gezähmter Wolf ist noch immer ein Wolf und kein Hund", wendet die Hundeexpertin Lorna Coppinger ein, die soeben ein Buch veröffentlicht hat, in dem sie ihre Theorie darlegt: "Ich glaube nicht im Entferntesten, dass Menschen wilde Wölfe zähmten, trainierten und in Hunde verwandelten. Ich bin davon überzeugt, dass sich zumindest eine Population von Wölfen, wenn nicht mehrere, selbst domestizierten", schreibt sie.

Zur Untermauerung zitiert Coppinger ein bemerkenswertes Experiment, das 1958 vom Genetiker Dmitry Belyaev am Institut für Zytologie und Genetik in Nowosibirsk gestartet wurde.
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Experiment mit Silberfüchsen
Der russische Wissenschaftler wollte in einem Versuch normalerweise scheue und nervöse Silberfüchse domestizieren, um leichter zu handhabende Tiere für die Pelzindustrie zu züchten.

Der Plan war einfach: 20 Generationen lang wählte der Genetiker nur die freundlichsten Füchse und paarte sie. Wie zu erwarten war, hatte er schon bald einen ganzen Stall voll handzahmer, zutraulicher Füchse.

Aber Belyaev erhielt auch all die anderen Eigenschaften, die Hunde auszeichnen - sozusagen als Draufgabe: geschecktes Fell, Schlappohren, Gekläffe und wedelnde Schwänze.
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Weniger Stress, mehr Glück ...
Was, so fragte sich Belyaev, hat ein schwarz-weißes Fell mit Zutraulichkeit zu tun?

Am aufschlussreichsten sind biochemische Veränderungen in gezähmten Tieren: Die Menge an produzierten Corticosteroiden, die eine Rolle bei Angst- und Stressreaktionen spielen, sinkt. Die Menge an Serotonin, ein "Glücksbotenstoff" im Gehirn, steigt im Vergleich zu Tieren in freier Wildbahn.
... und ein geflecktes Fell
Melanin, ein Haut- und Fellpigment, wird aus demselben Vorläufermolekül produziert wie eine Reihe von Gehirnbotenstoffen. Wenn man nun auf ein verändertes Verhalten selektiert und dadurch die Menge an Botenstoffen im Gehirn verändert, könnte man damit gleichzeitig die
Melaninproduktion durcheinander bringen. Und plötzlich hatte man beim Experiment Belyaevs statt einheitlicher Silberfüchse eine Reihe unterschiedlich gefleckter Tiere.
Auch das Verhalten änderte sich
Hormone und Neurotransmitter haben aber nicht nur einen Einfluss auf das Verhalten, sondern spielen auch eine Rolle während der Entwicklung. Belyaev und Coppinger schlossen daraus, dass sie durch die Veränderung des biochemischen Profils Schaltergene, die zu kritischen Entwicklungszeitpunkten ein- oder abgeschaltet werden, beeinflusst hatten.
Erwachsene Tiere benahmen sich wie Welpen
Ein genau orchestriertes Programm war durcheinander gekommen, und plötzlich behielten erwachsene Tiere typische Welpeneigenschaften bei - zutraulich, um Aufmerksamkeit heischend und verspielt.

Coppinger ist überzeugt: Dieselbe Verwandlung machten Wölfe durch, die sich auf steinzeitlichen Müllhalden herumtrieben.
Auch Schädel und Gehirn schrumpften
Als Anpassung an ihre neue Lebensweise als Aasfresser veränderte sich aber auch ihre Körperform: Sie wurden kleiner, und die Schädelgröße verringerte sich sogar überproportional, bis gerade genug Platz für ein um rund ein Drittel kleineres Gehirn war.

Nach vielen Generationen wurden schließlich die einst furchtsam gespitzten Ohren schlapp und das Fell bunt. Die Zeit für gefleckte, schlappohrige Hinterhofköter war gekommen, schwanzwedelnd Menschen hinterherzulaufen.

Gina Kirchweger, Universum Magazin
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Mehr zur Domestikation lesen Sie in der Februar-Ausgabe des Universum Magazins:
->   Universum Magazin
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01.01.2010