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Stiefkind der Sinne: Die Nase  
  Die Nase gehört zwar zu den auffälligsten Organen, bislang hat man die Bedeutung des Geruchssinns aber unterschätzt. Wiener Wissenschaftler nehmen sich nun verstärkt des Rätsels des verkannten Sinnesorganes an. Die Neurologen, Biologen und Psychologen erforschen die Wahrnehmung von Gerüchen und deren Verarbeitung im Gehirn, den Zusammenhang von Geruch und Partnerwahl ebenso wie die Verbindung von Geruchsverlust mit Alzheimer. Und kommen dabei auf erstaunliche Ergebnisse.  
Der Neurobiologe Peter Walla widmet sich der Gehirnphysiologie bei Gedächtnisprozessen in Verbindung mit dem olfaktorischen Sinn.

Sein Kollege, der Neuropsychologe Johannes Lehrner, erörtert die Wechselwirkungen zwischen dem Riechorgan und den damit gekoppelten Emotionen.

Zudem analysiert er gemeinsam mit dem Neurologen Peter Dal Bianco die Korrelationen zwischen Geruchsproblemen und neuropathologischen Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson.
Geruchsverlust und unangenehme Emotionen
Was ist nun das Geheimnis der Nase und des Geruchssinns? Am besten erklärt sich deren Bedeutung an den Auswirkungen bei deren Verlust. "Das Fehlen des Geruchssinns, Anosmie genannt, kann zu schweren emotionalen Verstimmungen führen", erklärt der Psychologe Lehrner.

Der Betroffene kann seine Umwelt im wahrsten Sinne des Wortes "nicht mehr riechen". "Ohne Riechsinn ist man der Umwelt schutzlos ausgeliefert", so Lehrner. "Man kann keinen Rauch oder entweichendes Gas mehr wahrnehmen, man erkennt auch keine verdorbenen Speisen mehr."
Wie der Geruchssinn arbeitet
"Die Riechzellen in der Nasenschleimhaut wandeln chemische Informationen, das sind letztendlich Gerüche, in elektrische Signale um", erläutert der Neurobiologe Walla den Vorgang des Riechens.

"Dort werden sie durch die Geruchsnerven in die
Schädelhöhle geschickt, wo die Informationen im Riechkolben (Bulbus Olfactorius) primär verarbeitet werden. Die Information gelangt dann direkt in einen der ältesten Bereiche des Gehirns: in das limbische System, genauer gesagt in die Mandelkerne und in den Hippocampus, wo die sekundäre Verarbeitung stattfindet. Als emotionale und soziale Entscheidungszentrale hat dieses entwicklungsgeschichtlich alte System die Aufgabe, die Gerüche je nach Wertigkeit an die passende "Schublade" im Gehirn weiterzuleiten.
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Frühwarnsystem Nase
Die Riechsinneszellen sind bei allen Wirbeltieren erstaunlich ähnlich. Die Zahl der Zellen variiert von Art zu Art: Der Mensch besitzt z.B. mehr als sechs Millionen Zellen. Am Fortsatz der Riechzellen hängen feine Härchen, genannt Zilien.

Wissenschaftler gehen davon aus, dass Zilien Geruchsmoleküle binden und deren chemische Signale in elektrische umwandeln. Der Riechnerv ist allerdings nicht die einzige Informationsquelle für Gerüche. Der Trigeminus-Nerv durchzieht den gesamten Gesichtsbereich inklusive der Schleimhäute in der Nase.

Er ist eine Art Frühwarnsystem, das uns vor schädlichen Gerüchen und den damit verbundenen Gefahren schützt und lässt uns sofort mit Abwehr reagieren, indem wir die Nase rümpfen und uns wegdrehen. Dieses Warnsystem, ein evolutionäres Rudiment, weist auf die Entwicklungsgeschichte der Nase hin.
->   Mehr zur Anatomie der Nase
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Geruchssinn und Partnerwahl
Ganz andere Reaktionen rufen von den Hautdrüsen abgesonderte Hormone hervor, vor allem die Sexuallockstoffe, so genannte Pheromone. "Die Partnersuche läuft stark geruchsorientiert ab", bestätigt Neuropsychologe Lehrner.

"Der Konnex mit dem Geruchssinn ist simpel: Pheromone werden in jenem Gehirnteil primär verarbeitet, in dem auch die Steuerung des Sexualverhaltens passiert, nämlich in Teilen des limbischen Systems."

Dieses Areal ist das emotionale und soziale Entscheidungssystem darüber, welche Erlebnisse abgespeichert werden und welche Emotionen damit verbunden sind.
Angenehm und Unangenehm
Dabei werden auch die Duftstoffe eines anderen Individuums auf "angenehm" und "unangenehm" abgecheckt. Pheromone liefern nämlich den "genetische Fingerabdruck" der Person mit, der dann auf seine Kompatibilität geprüft wird.

"Laut einiger Studien suchen sich Testpersonen bevorzugt jene Partner aus, deren genetische Erbsubstanz komplett anders ist", so Lehrner. "Der Grund ist klar: Je unterschiedlicher die genetische Basis, desto größer die Chance, eine "fitte Nachkommenschaft" zu haben.
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Vomeronasalorgan
Wissenschaftler vermuten, dass das Vomeronasalorgan, auch "Jacobson-Organ" genannt, für das Erkennen der Pheromone zuständig ist. Das winzige Organ, das man bei Tieren bereits seit langem kennt, ist erst vor wenigen Jahren beim erwachsenen Menschen entdeckt worden: Es befindet sich oberhalb des Pflugscharbeins in einer Vertiefung auf beiden Seiten der Nasenscheidewand. Dessen Funktionsweise und Verbindung zum Gehirn konnte bislang aber noch nicht ausreichend entschlüsselt werden.
->   Mehr zum Vomeronasalorgan
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Duft gegen die Angst
Wie stehen Duftstoffe mit unseren Gefühlen in Verbindung? Mit dieser Frage hat sich Johannes Lehrner auseinander gesetzt und eine Versuchsreihe gestartet, um den Einfluss von Zitrusdüften auf die Physiologie von Zahnarzt-Patienten zu überprüfen.

Dazu wurde in einer Zahnarztpraxis mit Hilfe eines versteckten Duftzerstäubers für Patienten Orangenduft verbreitet, eine Kontrollgruppe blieb ohne Geruchserlebnis. Die Versuchspersonen wurden während der Wartezeit über ihre Befindlichkeit befragt. Das verblüffende Ergebnis: "Die Patienten mit Orangenduft waren weitaus weniger ängstlich.
Kein Placebo-Effekt
Zudem ist keiner der Versuchspersonen mit Duft die Veränderung im Raum aufgefallen. Der Placebo-Effekt kann damit ausgeschlossen werden", führt Lehrner aus. "Die Gruppe ohne Duft hingegen fühlte sich so wie immer."

Frauen reagieren zudem stärker auf den Einfluss des Duftstoffes. "Es ist bereits anerkannt, dass Frauen die feineren Nasen haben als Männer", so der Psychologe.

In einer Folgestudie will Lehrner nun abklären, ob verschiedene Düfte auch unterschiedliche Auswirkungen auf die Physiologie haben.
Geruchssinn und Alzheimer
Ein weiterer Forschungsschwerpunkt des Psychologen sind die Zusammenhänge zwischen dem Verlust des Geruchssinns (Anosmie) und schweren neuronalen Erkrankungen wie Alzheimer und Parkinson.

Gemeinsam mit dem Neurologen Peter Dal Bianco konnte der Wissenschaftler bereits feststellen, dass es signifikante Parallelen zwischen den beiden Faktoren gibt.
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Alzheimer
Degenerative Erkrankung des Gehirns, beginnend zwischen dem 40. und 90. Lebensjahr. Am Anfang stehen Gedächtnisstörungen. Später kommen Orientierungsstörungen, Unruhe, Sprachstörung, Störung von Handlungs- und Bewegungsabläufen hinzu. Am Ende der Alzheimer Krankheit steht der völlige Verfall der Persönlichkeit und absolute Pflegebedürftigkeit. Die Ursache von Alzheimer ist unklar. Diskutiert werden erbliche Disposition, Umwelteinflüsse oder Stoffwechselstörungen im Gehirn. Bekannt ist, dass sich im Gehirn Betroffener zahlreiche Ablagerungen eines Eiweißfragments finden, die die Kontakte zwischen den Nervenzellen blockieren, worauf diese absterben.
->   Mehr zu Alzheimer
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Geruchsverlust eines der ersten Symptome
"Alzheimer-Patienten haben durchwegs eine Anosmie. Meist ist der Verlust des Geruchs auch eines der ersten Symptome der Betroffenen", so Lehrner.

"Der Grund dafür ist einfach zu erklären: Die neuropathologischen Veränderungen bei dieser Krankheit passieren als Erstes im Hippocampus, dem Mandelkern und dem so genannten olfaktorischen Kortex , jenen Bereichen also, wo die primäre Verarbeitung von Gerüchen stattfindet."

Lehrner und Dal Bianco arbeiten derzeit an der Erstellung eines einfachen Geruchstests, der eine frühzeitige Diagnose von Alzheimer ermöglichen soll. Der Biologe Peter Walla möchte dazu die Physiologie des Riechsystems bei solchen Erkrankungen untersuchen.
Olfaktorische Kindheitserinnerungen
Wahrnehmungen, die an Emotionen gekoppelt sind, werden schneller als Information im Langzeitgedächtnis abgespeichert. Dementsprechend gut ist auch die Erinnerung an Erfahrungen, die mit signifikanten Düften gekoppelt sind.

"Wir werden eigentlich schon vor der Geburt auf die olfaktorischen Vorlieben und Abneigungen geschult und geprägt, weil uns der Geruch als Sinn bereits im Mutterleib zur Verfügung steht", meint Lehrner.

"Wir erwerben unser Geruchsgedächtnis im Endeffekt
durch unsere Erfahrungen. Vertraute Gerüche können uns völlig unerwartet in die früheste Kindheit zurückführen.

Mehr zum verkannten Sinnesorgan Nase lesen Sie in der Februar-Ausgabe des Universum Magazins.

Eva-Maria Gruber, Universum Magazin
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Buchtipp zum Sinnlichsten aller Sinne
"Der Duft der Verführung", von Lyall Watson.
Fischer Verlag, 284 Seiten.
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->   Universum Magazin
 
 
 
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01.01.2010