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Die unterschätzten Sinne: Schmecken und Riechen  
  Ein Prozent der europäischen Bevölkerung leidet am vollständigen Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns. Der Verlust dieser Sinne hat weitreichendere Konsequenzen als allgemein angenommen. Denn Geruch und Geschmack zeigen nicht nur die Qualität unserer Nahrung an, sondern erfüllen auch, wie z.B. im Falle eines Brandes, wesentliche Warnfunktionen. Meistens wird der Wert dieser Sinneswerkzeuge aber erst dann erkannt, wenn sie verloren gegangen sind.  
Der Verlust des Geruchssinns kann etwa zu erheblichen sozialen Schwierigkeiten führen, da der eigene Körpergeruch nicht mehr wahrgenommen werden kann. Das führt in manchen Fällen zu übertriebener Reinlichkeit.

Außerdem ist auch die unbewusste Wahrnehmung von Pheromonen gestört. Diese Duftstoffe spielen eine wesentliche Rolle in der nonverbalen sozialen Kommunikation.

"Die Betroffenen selbst bezeichnen allerdings als schlimmsten Verlust, dass sie ihre Familie, ihre Kinder nicht mehr riechen können", so Christian Quint von der Abteilung für Hals-, Nasen- und Ohrenerkrankungen am Krankenhaus Lainz gegenüber dem ORF-Radio.
Erst der Geruch eröffnet geschmackliche Vielfalt
Die Geruchs- und Geschmacksverarbeitung zeichnet sich durch eine Besonderheit aus: Das Gehirn wertet gleichzeitig verschiedene Informationen aus, die aus den unterschiedlichen Nervenleitsystemen stammen. Daher kann ein Betroffener häufig nicht unterscheiden, welcher seiner Sinne tatsächlich gestört ist.

"Die meisten Menschen, die zu uns in die Ambulanz kommen und den Verlust des Geschmackssinns beklagen, leiden in Wirklichkeit an einer Störung des Geruchssinns. Denn der Geschmackssinn kann nur zwischen süß, sauer, salzig und bitter unterscheiden, alles andere riecht man", erklärt Quint.
Süß, sauer, salzig, bitter und - umami
Umami ist japanisch, bedeutet "wohlschmeckend" und bezeichnet einen Geschmack, der dem von Fleischextrakt ähnelt. Hervorgerufen wird er beispielsweise durch die Aminosäure Glutamat, die als Geschmacksverstärker eingesetzt wird.

Die Existenz von Rezeptoren für umami ist schon seit einiger Zeit bekannt, jetzt konnten Wissenschaftler erstmals einen Umami-Rezeptor auch identifizieren.

"Da Aminosäuren essenzielle Bestandteile von biologisch wichtigen Molekülen sind, macht es aus Sicht der Evolution Sinn, dass es einen Geschmackssinn für Aminosäuren geben sollte", erklärt Charles Zuker von der University of California. Er und sein Team entdeckten den Geschmacksrezeptor.
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Der Umami-Rezeptor
Der Umami-Rezeptor besteht aus zwei Proteinen namens T1R1+3 und spricht auf fast alle natürlich vorkommenden Aminosäuren an. Auf die seltenen D-Aminosäuren, die Spiegelbilder der in allen Lebewesen vorkommenden L-Aminosäuren, oder auf künstliche Süßstoffe reagiert er dagegen nicht. Interessanterweise spricht der neu entdeckte Rezeptor auf fast alle L-Aminosäuren an, obwohl diese unterschiedliche Geschmacksqualitäten aufweisen. Die Möglichkeiten reichen von süß über neutral bis abstoßend.
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Ursachen der Geschmacks- und Geruchsstörungen
Störungen des Geschmackssinnes werden hauptsächlich durch Schädel-Hirn-Traumen, Infektionen der oberen Nasenhöhlen, Kontakt zu toxischen Substanzen, zahnärztliche Behandlungen, Bestrahlungen und Medikamente ausgelöst.

Die häufigste Ursache für den Verlust des Geruchssinnes sind nasaler Natur, wie etwa eine akute oder chronische Entzündung der Schleimhäute der Nasennebenhöhlen, oder Polypen, also gutartige Wucherungen der Schleimhaut. Weitere Ursachen für Riechstörungen sind virale Infekte und Schädel-Hirn-Traumen.
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Die verschiedenen Formen der Geschmacksstörungen
Ageusie beschreibt einen kompletten, Hypogeusie einen teilweisen Verlust des Schmeckvermögens. Hypergeusie beschreibt ein gesteigertes Geschmacksempfinden, also eine Schmecküberempfindlichkeit. Die mit Abstand am häufigsten beklagte Schmeckstörung ist aber die Dysgeusie, sie findet sich bei etwa 34 Prozent aller Patienten. Hier werden Schmeckreize anders als gewöhnlich wahrgenommen, oft als metallisch oder bitter.

Schmeckstörungen sind allerdings selten. Nur fünf Prozent aller Patienten, die sich mit Riech- und Schmeckstörungen an spezielle Kliniken wenden, leiden tatsächlich unter Schmeckstörungen, die überwiegende Mehrheit leidet unter Riechstörungen.
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Im Alter schwinden die Sinne
Je nachdem, wo die Ursachen der Sinnesstörung liegen, ist die Behandlung einfacher oder schwieriger. "Die in Frage kommenden Therapien reichen von der medikamentösen Behandlung bis zu operativen Eingriffen", erklärt Experte Quint.

Manchmal bessert sich die Störung allerdings auch von selbst, da sich Geschmackszellen ca. alle 15 Tage erneuern und auch Riechzellen zyklisch erneuert werden.

Ab dem 65. Lebensjahr nimmt aber die Regenerationsfähigkeit der Riechzellen ab, die Geschmackswahrnehmung bildet sich ebenfalls, wenn auch in geringerem Ausmaß, zurück. Ab dem 80. Lebensjahr leiden 80 Prozent der Bevölkerung an Störungen des Geruchs- und Geschmackssinns.
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Die verschiedenen Formen der Geruchsstörungen
Anosmie beschreibt das Fehlen des Riechvermögens. Unter einer spezifischen Anosmie versteht man die Unfähigkeit, einen bestimmten Duftstoff wahrnehmen zu können. Hyposmie bedeutet ein vermindertes Riechvermögen, Hyperosmie ein verstärktes Riechvermögen.

Dysosmie bezieht sich auf eine gestörte Wahrnehmung von Duftstoffen. Hier gibt es verschiedene Möglichkeiten. Die Betroffenen haben z. B. eine falsche Duftwahrnehmung, nehmen den Geruch einer Rose z. B. als Zwiebelgeruch wahr. 90 Prozent der Patienten finden diese falsche Duftinterpretationen unangenehm. Andere Patienten wiederum nehmen Gerüche wahr, obwohl keine Duftquelle vorhanden ist. Viele der Betroffenen beklagen auch einen gleichzeitigen Verlust des Geschmackssinns.
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Sinnesstörungen als Nebenwirkungen von Krankheiten
Riech- und Schmeckstörungen können aber auch als Folge von anderen Erkrankungen auftreten. Daher ist bei der Suche nach den Ursachen der Störung ein besonderes Augenmerk auf die Differentialdiagnostik zu legen.

Besonders auf Anzeichen von Diabetes, Schilddrüsenerkrankungen, Zinkmangel, Vitamin-A- oder -B12-Mangel sollte geachtet werden. Auch der so genannte Lupus erythematodes, eine Autoimmunerkrankung, kann zu einer Störung des Geschmacks- und Geruchssinns führen.
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Lupus erythematodes
Lupus erythematodes (LE) ist eine Autoimmunkrankheit, die zum entzündlichen Rheuma und dort zu den "Kollagenosen" gehört. Es gibt zwei Hauptformen: Hautlupus und systemischer Lupus erythematodes (SLE).
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Ein Zusammenspiel zwischen Zunge, Nase und Hirnnerv
Neben den Geschmacksknospen der Zunge und den Riechzellen der Nase ist an der Geruchs- und Geschmackswahrnehmung aber auch noch der so genannte Trigeminus-Nerv beteiligt.

Dieser Hirnnerv, der sich in drei Äste aufspaltet, die sich zum Auge, Ober- und Unterkiefer erstrecken, vermittelt Empfindungen wie das Brennen von Meerrettich oder die kühlende, prickelnde Wirkung von Menthol.

Da fast alle bekannten Duftstoffe eine trigeminal vermittelte Empfindung verursachen können, ist der Trigeminus also ganz wesentlich an der Wahrnehmung von Gerüchen beteiligt.

Walter Gerischer-Landrock, Ö1-Radiodoktor
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01.01.2010