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Symmetrien: Ordnungsmuster in der Natur  
  Effekte der Relativitätstheorie, wie Uhren, die plötzlich langsamer gehen, gehören zum "täglich Brot" der Hochenergiephysiker. Je tiefer man aber in die Elementarteilchenphysik eindringt, desto seltsamer wirken manche Phänomene. Im scheinbaren Chaos der Natur erweisen sich Symmetrien als tragende Ordnungen, wie der Physiker Laurenz Widhalm (ÖAW) in der Reihe "Young Science" feststellt.  
Symmetrien - die manchmal auch verborgene Ordnung in der Natur
Von Laurenz Widhalm, ÖAW

Die Vielfalt von Teilchen und ihren Wechselwirkungen ist überraschend - von deren Auswirkungen bekommt man in der alltäglichen Welt aber allenfalls die "Spitze des Eisbergs" zu sehen. Und dennoch - gäbe es sie nicht, unsere Welt wäre ganz anders, unser Universum würde vielleicht längst nicht mehr existieren.

Um sich in der Fülle der neu entdeckten Teilchen zurechtzufinden, die noch dazu in einer so unvertrauten Quantenwelt leben, blieb den Physikern nichts anderes übrig als nach Strukturen im scheinbaren Chaos zu suchen.
Weitreichende Vorhersagen
Als fruchtbarstes Prinzip hat sich die Suche nach Symmetrien erwiesen. Symmetrien erlauben nicht nur eine Einordnung der beobachteten Teilchen in ein Schema, sie ermöglichen auch die Vorhersage bisher unentdeckter Teilchen.

Die Bedeutung der Symmetrien in der modernen Physik liegt nun darin begründet, dass sich mit verhältnismäßig wenigen von ihnen sehr weitreichende Vorhersagen machen lassen.
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Naturgesetze und tiefere Gründe
Aber was genau ist nun eigentlich eine Symmetrie, und wie kann man aus ihr eine physikalische Aussage gewinnen? Eine Gegenfrage: Jeder lernt in der Schule, dass Energie immer erhalten bleibt. Und dass deswegen jeder Versuch, ein Perpetuum Mobile zu konstruieren, unweigerlich scheitern muss. Aber wieso eigentlich bleibt Energie erhalten? Gibt es dafür einen tieferen Grund, oder ist das einfach ein Naturgesetz, das man nur akzeptieren, aber nicht hinterfragen kann?
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Symmetrien in der Zeit - Symmetrien im Raum
Das Faszinierende nun ist: es gibt diesen tieferen Grund, und er liegt in einer Symmetrie, die so selbstverständlich erscheint, dass eigentlich niemand sie ernsthaft in Frage stellen möchte: die Symmetrie der physikalischen Gesetze in der Zeit. In anderen Worten: ein physikalisches Gesetz, das heute gefunden wird, gilt auch noch morgen.

Wenn das nicht so wäre, bräuchte man Wissenschaft gar nicht mehr betreiben; mehr noch: wir könnten uns auf nichts mehr verlassen, unsere Fernseher würden vielleicht morgen nicht mehr funktionieren, ja wir könnten uns nicht einmal sicher sein, dass morgen die Sonne wieder aufgeht.

 


Eine Verletzung der Zeit-Symmetrie wäre gleichbedeutend mit physikalischen Gesetzen, die sich von Tag zu Tag ändern können. Da das offensichtlich nicht so ist, kann man die Erhaltung der Energie folgern.
Symmetrie und Energie
Man muss kein Wissenschaftler sein, um zu erkennen, dass es sehr wohl Regelmäßigkeiten gibt, und dass unsere Erfahrungen aus der Vergangenheit auch auf die Zukunft anwendbar sind. Abstrakt formuliert ist diese Alltagserkenntnis nun einfach eine Symmetrie in der Zeit.

Und wie man mathematisch zeigen kann, folgt alleine aus dieser Symmetrie, dass es eine physikalische Größe gibt, die sich mit der Zeit nicht ändert. Und diese Größe nennt man - Energie! So wurde also aus dem Energieerhaltungssatz, den man ansonsten nur glauben konnte, etwas, was man auf eine tieferliegende Symmetrie zurückführen kann.
Physikalische Gesetze im Universum
Die Symmetrie in der Zeit ist jedoch nicht die einzige Symmetrie in der Natur. Eine weitere ist, dass die physikalischen Gesetze überall im Universum dieselben sind. Aus dieser Symmetrie im Raum folgt die Erhaltung des Impulses - wichtig nicht nur für Billardspieler, sondern für viele Vorgänge des Alltags.

Die nächste wichtige Symmetrie, die wir auch noch aus dem täglichen Leben kennen, ist das, was als Relativitätsprinzip bekannt ist. Im Flugzeug, das fast mit Schallgeschwindigkeit über den Atlantik fliegt, gelten dieselben physikalischen Gesetze wie in einem Flugzeug, das am Flughafen steht. Unser Laptop, mit all seiner komplizierten Elektronik, funktioniert also auch dort.
Äquivalenzprinzip
 


Das Äquivalenzprinzip sagt aus, dass die physikalischen Gesetze auch in bewegten Bezugssystemen dieselben sind. Nur aufgrund dieser Symmetrie können wir uns darauf verlassen, dass unser Laptop auch im Flugzeug funktioniert.
Lichtgeschwindigkeit als Konstante
Bei dieser Symmetrie tritt erstmals das Phänomen auf, dass unsere Alltagserfahrung nicht den vollen Umfang der Symmetrie enthüllt. Erst das genaue Studium des Elektromagnetismus - zusammen mit Einsteins genialer Idee - erklärt, dass das Wesen dieser Symmetrie darin besteht, dass die Lichtgeschwindigkeit eine Konstante ist - unabhängig davon, ob man in einem schnell fliegenden Flugzeug sitzt oder ruht.

Diese Symmetrie stellt eine wesentliche Einschränkung dafür dar, welche physikalischen Theorien überhaupt möglich sind - erlaubt sind nämlich nur jene, die in allen denkbaren Bezugssystemen genau dieselben physikalischen Gesetze ergeben.
Verborgene Symmetrien
Es gibt aber noch einiges mehr an Symmetrien in der Natur. Und nicht immer zeigen sich diese Symmetrien so offensichtlich, wie in den genannten Beispielen.

Manchmal ist eine Symmetrie auch nicht ganz perfekt, manchmal sogar ganz verborgen. Diese Symmetrien trotzdem zu finden und auch zu verstehen, wieso sie verborgen sind, ist eine der Hauptaufgaben der modernen Physik.
Die Spiegelsymmetrie

Ein Beispiel für eine Symmetrie, die man aus unseren Alltagserfahrungen ableiten könnte, die sich aber bei genauen Experimenten als nicht absolut gültig herausgestellt hat, ist die Spiegelsymmetrie. Anschaulich heißt diese Symmetrie, das alles, was sich in einem Spiegelbild abspielt, auch nach den üblichen Naturgesetzen in der wirklichen Welt passieren könnte.

Tatsächlich gibt es aber Prozesse in der Natur, deren Spiegelbild absolut unmöglich ist - es würde also nichts helfen, einfach alles beim Experiment spiegelverkehrt aufzubauen, das Ergebnis würde dann ganz anders aussehen. Warum merken wir davon aber nichts?
Schwerkraft und Elektromagnetismus
Der Grund dafür ist, dass praktisch alles in unserer Alltagswelt nur von zwei fundamentalen Wechselwirkungen zwischen Teilchen abhängt - der Schwerkraft, und dem Elektromagnetismus. Und diese beiden Wechselwirkungen folgen der Spiegelsymmetrie. Die so genannte schwache Wechselwirkung aber verletzt diese Symmetrie.
Spiegelsymmetrie - gelten im gespiegelten Universum dieselben Gesetze?
Man könnte nun meinen, dass diese schwache Kraft, von der man so gar nichts spürt, auch keine große Bedeutung für uns hätte - aber das genaue Gegenteil ist der Fall:

Nicht nur dass diese Kraft dafür sorgt, dass unsere Sonne auch Jahrmilliarden nach ihrer Entstehung noch leuchtet. Sie ist auch der Grund dafür, warum unser Universum nicht von viel mehr der seltsamen Teilchen überschwemmt ist, die die moderne Elementarteilchenphysik entdeckt hat. Sie sorgt nämlich dafür, dass diese Teilchen innerhalb von Bruchteilen einer Millionstel Sekunde zerfallen.
"Spiegelsymmetrieverletzung" und Quarks
 


Die Entdeckung der Spiegelsymmetrieverletzung in der Physik (1956) hat für große Aufregung gesorgt - und sie hat weitreichende Konsequenzen auf unser Bild vom Universum. Man fand noch weitere Symmetrien bei den Elementarteilchen, die schließlich auch zur Entdeckung der so genannten Quarks führten.

Wie man heute weiss, bestehen die Kernteilchen wie das Proton aus noch viel kleineren Teilchen, den Quarks. Auf die Spur kam man diesen isoliert nicht beobachtbaren Teilchen aufgrund einer Symmetrie. Schon diese zuletzt genannten Symmetrien waren schwieriger zu finden, es gibt aber sogar solche, die gänzlich verborgen ("gebrochen") sind - aber eine umso fundamentalere Bedeutung haben.
Symmetriebrechung
Dass eine prinzipiell vorhandene Symmetrie gebrochen sein kann, ist auch schon von anderen Phänomenen bekannt - so richten sich zum Beispiel die Elementarmagnete eines Ferromagneten innerhalb der so genannten Weiß' schen Bezirke spontan in eine Richtung aus, sobald eine kritische Temperatur unterschritten wird.

Der Grund dafür ist, dass diese Ausrichtung einem energetisch günstigeren Zustand entspricht, als eine zufällige Ausrichtung aller Elementarmagnete.
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Kein Naturgesetz schreibt eine Richtung vor
Ähnlich wie eine Schaukel irgendwann am tiefsten Punkt stehen bleibt, geht auch jedes physikalische System bevorzugt in den Zustand mit der niedrigsten Energie. Prinzipiell kann dabei die Ausrichtung in jede Richtung erfolgen, kleinste Effekte entscheiden darüber. Wesentlich ist aber, dass es kein Naturgesetz gibt, das eine Richtung vorschreibt - gleichzeitig gibt es unter der kritischen Temperatur immer eine Richtung, die realisiert wird. Dieses Phänomen bezeichnet man als spontane Symmetriebrechung.
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Eine Konfiguration für das Universum
Ein ähnlicher Vorgang kann nun auch in der Elementarteilchenphysik dazu führen, dass fundamentale Symmetrien unterhalb einer kritischen Temperatur verborgen werden, weil sich das Universum für eine bestimmte Konfiguration entschieden hat.

Dabei handelt es sich natürlich im Gegensatz zu obigem Beispiel nicht um Temperaturen, die man so ohne weiteres im Laboratorium erreichen könnte.
Standardmodell der Elementarteilchenphysik
Trotzdem kann man natürlich nach solchen Symmetrien suchen - denn auch wenn sie gebrochen sind, hinterlassen sie ihre Spuren.

Im so genannten Standardmodell der Elementarteilchenphysik nimmt man an, dass zunächst alle Teilchen nicht nur dieselbe Masse haben, sondern überhaupt masselos sind. Erst dadurch wird es überhaupt möglich, eine konsistente Theorie aufzustellen.
Das "Higgs-Feld"
In dieser Theorie gibt es nun auch das Higgs-Feld, das auf eine ganz besondere Weise mit sich selbst "wechselwirkt" - nämlich so, dass es weniger Energie erfordert, das ganze Universum mit diesem Feld auszufüllen, als kein Feld zu haben.

Wenn die Temperatur im Universum unter den kritischen Wert fällt, wird sich also ein solches universales Higgsfeld einstellen - wobei die genaue Ausrichtung des Feldes wieder durch die Symmetrie nicht vorhergesagt wird.

Ist aber nun ein solches Feld vorhanden, dann können sich all die anderen Teilchen nicht mehr unabhängig von diesem Feld bewegen. Und ähnlich wie unter Wasser die Bewegungen träger sind, weil man den Widerstand der Flüssigkeit überwinden muss, erhalten auch die Teilchen so ihre Trägheit - ihre Masse.
Symmetriebrechung
 
Bild 1


Veranschaulichung der Symmetriebrechung: bei hohen Temperaturen ist das Higgsfeld symmetrisch (Bild 1)

 
Bild 2


Kühlt das Universum jedoch unter eine kritische Schwelle ab, dann "kondensiert" das Higgsfeld in einen asymmetrischen Zustand (Bild 2) womit die Symmetrie der Theorie zwar immer noch vorhanden, allerdings nunmehr verborgen ist.
Dem Higgs-Feld auf der Spur
Obwohl man mit dem Higgs-Feld auf einen Schlag sehr viele Phänomene erklären kann (das Standardmodell gehört bei weitem zu den am besten überprüften und bestätigten Theorien der Welt), klingt dieses Postulat natürlich für manch Außenstehenden reichlich gewagt und konstruiert.

Eine der wichtigsten Bestrebungen der modernen Forschung ist es deswegen, die Existenz dieses Higgsfeldes direkt nachzuweisen.
Nachweise des Higgs-Teilchens
Nur: wie weist man etwas nach, was überall vorhanden ist? Diese paradox klingende Frage hat nach kurzem Nachdenken durchaus ihre Berechtigung. Und in der Tat kann man das Feld nur nachweisen, indem man es um seinen überall konstanten Wert in Schwingung versetzt und diese Schwingung, die quantenphysikalisch nichts anders ist als das Higgs-Teilchen, nachweist.
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Peter Higgs
Peter Higgs, heute Professor Emeritus der Edinburgh University, schlug Ende der 60er Jahre das Teilchen vor, das heute nach ihm benannt ist und erklären soll, wie alle anderen Teilchen ihre Masse erhalten. Die Grundidee dabei ist eine gebrochene, also verborgene Symmetrie.
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Das letzte Kapitel ist noch nicht geschrieben
Um das Higgs-Feld in Schwingung zu versetzen, benötigt man aber Energiedichten, die üblicherweise nur kurz nach dem Urknall vorgeherrscht haben. Trotzdem erlaubt es die heutige Technik solche Energiedichten zu erzeugen. Die für den Nachweis des Higgsteilchens erforderlichen Beschleuniger sind bereits im Bau.

In fünf bis zehn Jahren sollte daher die Frage endgültig geklärt sein, ob auch diese gleichzeitig so fundamentale und gut verborgene Symmetrie eine Symmetrie unseres Universums ist.
Das letzte Kapitel über Symmetrien ist also noch nicht geschrieben.
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YOUNG SCIENCE
"Young Science" ist eine Kooperation zwischen ÖAW und science.ORF.at. Junge Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen stellen ihre Arbeiten und Projekte in Originalbeiträgen vor.

Dipl.-Ing. Dr. techn. Laurenz Widhalm, geb. 1973 in Wien, ist Mitarbeiter am Institut für Hochenergiephysik der ÖAW.
Studium der Technischen Physik an der TU Wien, Studienaufenthalt am Forschungszentrum CERN in Genf (Mitarbeit am Experiment NA48 für das Institut für Hochenergiephysik der ÖAW), Doktoratsstudium am CERN.
E-Mail: Laurenz.Widhalm@oeaw.ac.at
->   YOUNG SCIENCE auf der Homepage der ÖAW
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Weitere Beiträge in der Reihe "YOUNG SCIENCE":
->   Rainer Kurmayer: Blaualgen und Wasserqualität
->   Angela Bergermayer: Slawische Wurzeln geographischer Namen in Österreich
->   science.ORF.at präsentiert "Young Science"
 
 
 
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01.01.2010