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Polit-Streit um EU-Biopatentrichtlinie  
  Im März 2002 empfahl die österreichische Bioethik-Kommission, die EU-Biopatentrichtlinie auch in Österreich umzusetzen. Die Bundesregierung hat sie Anfang April im Ministerrat behandelt, nun muss sich das Parlament mit der Frage auseinander setzen. Das entsprechende Gesetzeswerk liegt hierzulande seit zwei Jahren auf Eis, jetzt ist die politische Diskussion neu entbrannt.  
"Kein Patent auf Leben" - diesem Grundsatz fühlen sich im Prinzip alle politischen Parteien des Landes verpflichtet. Umstritten allerdings ist die Auffassung, ob solche Patente mit der EU-Biopatentrichtlinie möglich wären oder nicht.
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Biopatentrichtlinie
Die EU-Biopatentrichtlinie, eigentlich "Richtlinie 98/44/EG des Parlaments und des Rates vom 6. Juli 1998 über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen" (CelexNr 31998 L 044), ist ein über ein Jahrzehnt heftig diskutiertes Dokument, das Patentierungen im Bereich der Biotechnologie regelt. Im Rahmen der österreichischen Patentrechtsnovelle hätte im Sommer 2000 diese Richtlinie in das nationale Patengesetz übernommen werden sollen.
->   Richtlinie des Europäischen Parlaments über den Schutz biotechnologischer Erfindungen
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Opposition ablehnend
Die Opposition lehnt die EU-Vorlage ab. Zu viele Widersprüchlichkeiten und Schlupflöcher befinden sich in dem Regelwerk, meinen sowohl SPÖ-Umweltsprecherin Ulli Sima als auch Grünen-Umweltsprecherin Eva Glawischnig. Ein deutliches Beispiel dafür wäre die Patentierbarkeit des menschlichen Körpers oder einzelner seiner Teile.
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Patentierbarkeit des menschlichen Körpers
In den laut EU-Richtlinie vorgeschlagenen Änderungen des österreichischen Patentgesetzes heißt es zwar in Artikel 1 §1 Abs.3 "... als Erfindungen werden insbesondere nicht angesehen ... der menschliche Körper in den einzelnen Phasen seiner Entstehung und Entwicklung sowie die bloße Entdeckung eines seiner Bestandteile, einschließlich der Sequenz oder Teilsequenz eines Gens". Aber nur einen Absatz früher ist zu lesen: "... zu diesen patentierbaren Erfindungen zählen auch ... ein isolierter Bestandteil des menschlichen Körpers oder ein auf andere Weise durch ein technisches Verfahren gewonnener Bestandteil, selbst wenn der Aufbau dieses Bestandteils mit dem Aufbau eines natürlichen Bestandteils identisch ist."
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Fadenscheinige Unterscheidung
Die Unterscheidung zwischen "Teilen des Körpers im Körper" und "aus dem Körper isoliert" (siehe Infobox) sei fadenscheinig, so die Kritiker. Eine menschliche Gensequenz zum Beispiel lässt sich nur im Labor als "aus dem Körper isolierter Bestandteil" untersuchen - und gälte damit auf jeden Fall als patentierbare Erfindung.

Mit einer Umsetzung der Richtlinie wäre somit ein ethischer Damm gebrochen, der die Patentierung von Leben theoretisch möglich mache. Die Opposition fordert Neuverhandlungen des Richtlinien-Textes.
FPÖ gegen ursprünglichen Text
Eigentlich hätte die EU-Richtlinie schon seit Sommer 2000 in allen EU-Staaten gelten sollen. Vor allem auch die FPÖ hatte sich damals vehement gewehrt und bewirkt, dass die Besprechung der Umsetzung von der Tagesordnung des zuständigen Wirtschaftsausschusses gestrichen wurde.

Zur aktuellen Diskussion meint FPÖ-Generalsekretär Karl Schweitzer, dass die Position seiner Partei unverändert ablehnend sei, wenn sich am ursprünglichen Text der Richtlinie nichts geändert habe.

Zudem hätte sich der zuständige Technologie-Minister Matthias Reichhold schon Mitte März beim EU-Ministerrat für eine Neuverhandlung der strittigen Punkte auf EU-Ebene ausgesprochen.
Beauftragung der Bioethik-Kommission
Noch unter der aus dem Amt geschiedenen Ministerin Monika Forstinger wurde allerdings im Oktober 2001 die Bioethik-Kommission beauftragt, sich mit der Frage zu beschäftigen. Die Empfehlung der Kommission lautete, die Richtlinie umzusetzen und eventuell strittige Punkte dann später zu diskutieren.
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Empfehlung der Bioethik-Kommission
"Die innerstaatliche Umsetzung der Biotechnologie-Richtlinie in Österreich ist auch aus ethischer Sicht wichtig", schreibt die Kommission in einer Stellungnahme nach ihrer Sitzung vom 7.3.2002, da sie "u.a. der Konkretisierung, Ergänzung und (klärenden) Auslegung der (jetzt geltenden) Bestimmungen, aber auch einer ethisch begründeten Einschränkung der Patentierbarkeit dienen." Die Umsetzung sei als "erster Schritt" zu sehen, sie würde zwar keineswegs alle offenen Fragen klären, aber "die Diskussion und Weiterentwicklung zu Fragen der Patentierbarkeit biologischen Materials auf europäischer und internationaler Ebene fördern."
->   Stellungnahme der Bioethik-Kommission
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Wirklichkeitsfremde Kommission?
Aus Sicht der Kommission nimmt die Richtlinie über das geltende Patentrecht hinausgehend Erfindungen von der Patentierbarkeit aus, die "gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten" verstoßen.

Damit verschließe man sich der Wirklichkeit, argumentieren jedoch die Kritiker, da es bereits jetzt jährlich tausende Patentanträge auf menschliche Gene gäbe.
Wirtschaftsausschuss für Umsetzung
Der Vorsitzende des für Patente zuständigen Wirtschaftausschusses, Reinhold Mitterlehner von der ÖVP, sieht nach der Stellungnahme der Bioethik-Kommission keinen Grund, in der Diskussion zurück an den Start zu gehen.

Schließlich werde mit der Richtlinie viel mehr geregelt als nur das Patent auf Leben, sie sollte daher nicht pauschal abgelehnt, sondern, auch auf Basis der Bioethik-Kommissions-Empfehlungen, detailliert diskutiert werden.
Richtlinie auch international umstritten
Heftig umstritten bleibt die EU-Biopatentrichtlinie aber auch auf europäischer Ebene. Erst fünf Staaten haben sie tatsächlich umgesetzt, nämlich Dänemark, Irland, Finnland, Großbritannien und Griechenland. Luxemburg forderte vor wenigen Wochen offiziell eine Neuverhandlung.

Im Gegensatz zu Österreich haben Bioethik-Kommissionen in Luxemburg, Frankreich, Deutschland, der Schweiz und Dänemark von einer Umsetzung der Biopatent-Richtlinie abgeraten.

Der internationale Bioethik-Ausschuss der UNESCO hat am 14. September 2001 einstimmig die Ansicht geäußert, dass es starke ethische Gründe für einen Ausschluss des menschlichen Genoms von der Patentierbarkeit gibt.

Österreich, so die Kritiker, stehe mit der Umsetzung also unter keinerlei Zugzwang.

Birgit Dalheimer, Ö1-Wissenschaft
Mehr dazu in science.ORF.at:
->   Patente auf Leben?
->   Verbot von Gen-Patenten gefordert
 
 
 
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01.01.2010