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Eine Reise durch die Geschichte der Zeit  
  Die Beobachtung natürlicher Vorgänge wie Herzschlag, Tag- und Nachtwechsel, Mondphasen und Jahreszeiten hat sich in der Menschheitsgeschichte zu einem abstrakten Zeitbegriff weiterentwickelt. Atomzeit und Relativitätstheorie haben neue Zeitskalen erschlossen. Mit der "Gleichzeitigkeit" wurde auch die Universalität der Zeit in Frage gestellt. In seinem Gastbeitrag für science.ORF.at lässt der Astronom Franz Kerschbaum die Geschichte der Zeit Revue passieren.  
Zeit - Menschliches Maß und naturwissenschaftliche Quantifizierbarkeit
Von Franz Kerschbaum

Vorgänge des täglichen Lebens liefern die Basis für kurze Zeitintervalle. So ist die heutige Sekunde nicht zufällig in der Größenordnung der Herzschlagfrequenz. In den frühen 80er Jahren fand Ernst Pöppel (Uni München) einen universellen, menschlichen Zeittakt im Bereich 0.63 Sekunden für Wahrnehmung, Erleben und Verhalten.

Tag/Nacht - Wechsel (Erdrotation), Mondphasen (Mondlauf) und Jahreszeiten (Erdlauf) lieferten schon in der Frühzeit "astronomisch" genaue Vorgänge und bildeten so die Grundlage für alle daraus abgeleiteten langen Zeiteinheiten.
Zeit als Messlatte
Bei bekannten Fortbewegungsgeschwindigkeiten kann der zur Überbrückung einer bestimmten Weglänge benötigte Zeitraum als Längenmaß Verwendung finden.

Gehminuten, Tagesmärsche, heute oft Flugstunden oder das Lichtjahr sind für die jeweilige Lebenssituation oft praktischer als die physikalischen Längeneinheiten Meter, Meile oder die astronomische Parallaxensekunde.
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Frühe Zeit
Kurze Zeiten konnten schon in der Antike mit Wasser, Sand und Kerzenuhren mit für den Alltag ausreichender Genauigkeit gemessen werden. Für eine längerfristige Zeiterfassung standen aber bis vor wenigen hundert Jahren keine verlässlichen Uhren zur Verfügung. Alle langen Zeitskalen beruhten auf der Beobachtung astronomischer Vorgänge.

Als frühe astronomische Observatorien kann man Kultstätten wie etwa Stonehenge (1500 v. Chr.) ansehen. Während die Menschen von Stonehenge keine schriftlichen Aufzeichnungen hinterließen, steht uns eine Vielzahl von Berichten aus dem ägyptischen bzw. mesopotamischen Raum zur Verfügung.
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Zwölf Stunden
Auf babylonischen Ursprung geht die Zwölfteilung des Tag und Nachtweges der Sonne zurück. Nur zu den Tagundnachtgleichen war eine Tagstunde so lange wie eine Nachtstunde. Solche Temporalstunden waren bis ins 14. Jahrhundert gebräuchlich und bedeuteten in unseren Breiten, dass eine Junitagesstunde doppelt so lange wie eine im Dezember war!

Um 605 verfügte Papst Sabinianus das Anbringen von Sonnenuhren an allen Kirchen. Aber auch die im Koran vorgeschriebenen 5 Gebetszeiten förderten die weitere Verbreitung von Sonnenuhren.
Räderuhren
Ausgehend von Mailand (1336) werden erste mechanische Räderuhren öffentlich in Europa aufgestellt. Obwohl bald weit verbreitet, wiesen die Räderuhren eine sehr geringe Genauigkeit auf. Erst Huygens entwickelt 1673 die Verbindung von Uhr und Pendel. Eine Hemmung stößt dabei durch Abrollen eines Gewichtes das Pendel immer wieder an und stellt die Verbindung mit einer konventionellen Räderuhr her.

Spätere Chronometer nutzten hingegen die Schwingung einer federgetriebenen Unruhe. So entstanden erstmals transportable Geräte auch für den Gebrauch auf See. Bis ins letzte Jahrhundert stellten verbesserte Pendeluhren und Chronographen die genauesten Zeitmesser dar; erst dann wurden sie von Quarz bzw. Atomuhren abgelöst.
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Kalender
Die nicht ganzzahligen Verhältnisse zwischen Tag und Mondlauf, Tag und Jahr beziehungsweise Mondlauf und Jahr führten zu verschiedenen Kalendersystemen. Beispiele sind dabei das jüdische Lunisolarjahr mit Schaltmonaten und unser "fast reines" Solarjahr mit Schalttagen; fast, wegen der für den Kalender so wichtigen christlichen Festtagsrechnung (Osterdatum).

Auch die Jahreslänge bedurfte einer Anpassung an die astronomischen Gegebenheiten. In unserem auf den Julianischen Kalender zurückgehenden Kalender wurden erst durch die Gregorianische Reform ein langfristiger Einklang zwischen Datum und Jahreszeiten garantiert.
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Orts- und Zonenzeit
Schon in der Antike war klar, dass an verschiedenen Orten der Erde zu gleichen "universellen" Zeitpunkten unterschiedliche Ortszeiten festzustellen waren. Zur Synchronisierung örtlicher Zeiten dienten zuerst die schlecht zu beobachtenden Mondfinsternisse und erst ab der teleskopischen Zeit die viel besser geeigneten Jupitermondfinsternisse und SternMond Positionen.

Bis zum Ende des letzten Jahrhunderts zeigten alle für das alltägliche Leben relevanten Uhren Ortszeit. Erst die Intensivierung des öffentlichen Verkehrs insbesondere durch die ersten Eisenbahnen führte zum Konzept der Zonenzeit (z.B. Mitteleuropäische Zeit).

Voreiter dieser Entwicklung war die USA mit ihren "Standard Railway Times". Erst 1884 wurde die endgültige Weltzeit und die Zeitzoneneinteilung vorgeschlagen. Die Einführung erfolgte eher zögerlich: in Japan zum Beispiel schon 1888, während die Österreichische Staatsbahn erst ab 1891 nach MEZ verkehrte.
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Zeitgleichung
Im 17. Jahrhundert zeigte Huygens, dass Sonnenuhren im Laufe des Jahres im Vergleich zu genauen Uhren periodisch um bis zu 15 Minuten vor beziehungsweise nachgehen. Ursache ist die unterschiedliche Bahngeschwindigkeit der Erde um die Sonne aufgrund der elliptischen Erdbahnform. Dies führte zur Definition einer mittleren, gleichförmig gedachten Sonnenzeit.
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Ungenaue Erdrotation
Die Schwäche der wichtigsten astronomischen Zeitbasis, der Erdrotation, wurde kurz darauf deutlich. Erstens, erfolgt eine langsame Abbremsung durch Gezeitenreibung. Dadurch nimmt die Taglänge pro Jahrhundert um 1.6 Millisekunden zu.

Das führt zu einem Fehler von 30 Sekunden pro Jahrhundert; die Gezeitenreibung führt letztlich dazu, dass Erde und Mond in ferner Zukunft einander immer die gleiche Seite zudrehen werden.
Einen zweiten störenden Effekt erzeugen irreguläre Rotationsschwankungen durch erdinterne "Turbulenzen". Die Erde kann so um bis zu 4 Millisekunden vor beziehungsweise nachgehen.

Letztlich führen auch jahreszeitliche Variationen, durch Luftdruckunterschiede, Vereisung und Vegetationswechsel, zu messbaren Erdrotationsschwankungen. Ihre Amplituden betragen etwa 1.5 Millisekunden zwischen nördlichem Frühling und Herbst.
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Neue Zeitnormale
Wegen dieser Problematik löste 1967 die Atomzeit die astronomische Sekunde als Zeitnormal ab. Damit kam letztlich ein sich jeglicher, menschlicher Erfahrung entziehender, quantenmechanischer Vorgang zum Zug:

"Die SISekunde ist die 9.192.631.770fache Periodendauer der Strahlung, die dem Übergang zwischen den beiden Hyperfeinstrukturniveaus des Grundzustandes des Nuklids 133Cs entspricht."
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Relative Zeit
Heute gibt es parallel 3 fundamentale Zeitskalen:
- die Weltzeit - sie spiegelt nach wie vor am ehesten die menschliche Alltagserfahrung, sprich Tag/Nacht - Wechsel wider;
- dynamische Zeit - die "korrekte" Zeit der allgemeinen Relativitätstheorie und schließlich
- die Atomzeit, die auf den Ergebnissen der Quantenmechanik beruht.

Aufgrund der systematischen Verlangsamung der Erdrotation triften Weltzeit und die beiden anderen "neuen" Zeiten stetig auseinander und werden deswegen durch Schaltsekunden an die astronomischen Verhältnisse angepasst.
Zeit und Raum
Während der ersten beiden Jahrzehnte unseres Jahrhunderts kam es unabhängig von obigen technischen Entwicklungen zu einer Revolution in der Sichtweise von Raum und Zeit. Die Spezielle Relativitätstheorie stellte vor allem den Begriff der Gleichzeitigkeit in Frage.

Die Allgemeine Relativitätstheorie wiederum machte klar, dass zum Beispiel ein und dieselbe Uhr an verschiedenen Orten mit unterschiedlichem Gravitationspotential unterschiedlich schnell läuft und dies nicht wegen allfälliger Ungenauigkeiten, sondern aufgrund einer mangelnden Universalität der Zeit selbst. Zeit wird damit als unabhängige, physikalische Variable aufgegeben!
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Vorträge in der Reihe "University meets Public"
Ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Franz Kerschbaum (Universität Wien, Institut für Astronomie), der Autor dieses Gastbeitrages, hält in der Reihe "University meets Public" zwei Vorträge zum Thema: "Was ist Zeit? Eine Geschichte."

Mi, 24.04.2002, 19.30-21.00 Uhr, Volkshochschule Brigittenau
Fr, 26.04.2002, 19.00-20.30 Uhr, Volksbildungshaus Urania.
->   Programm von "University meets Public"
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Franz Kerschbaum
Franz Kerschbaum, geboren 1963, studierte Astronomie und Physik in Wien. Forschungsaufenthalte unter anderem in Frankreich, Schweden, Spanien und Chile. 1997 APART-Preis der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Seit Anfang 2001 Ao.Univ. Professor am Institut für Astronomie der Universität Wien. Zentrale Forschungsgebiete: Spätstadien der Sternentwicklung, Astronomische Instrumentenentwicklung. Etwa 100 Publikationen im In- und Ausland, Ausstellungen, populäre Artikel und Vorträge, interdisziplinäre Projekte.
->   Franz Kerschbaum
->   Institut für Astronomie
 
 
 
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01.01.2010