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Fraktale Geometrie in der Krebsforschung  
  Objekte der belebten Natur können mit der Sprache der fraktalen Geometrie beschrieben werden. Kürzlich wurde nachgewiesen, dass auch das Wachstum von Tumoren auf diese Weise charakterisiert werden kann. Damit ergeben sich unter anderem neue Anwendungen für die klinische Krebsdiagnostik.  
Wie ein interdisziplinäres Forscherteam von den Abteilungen für Klinische Pathologie und Klinische Onkologie am AKH Wien gemeinsam mit dem Institut für Mathematik der Universität Wien nachweisen konnte, besteht zwischen künstlichen fraktalen Gebilden und Tumoren nicht nur eine oberflächliche Analogie.

Mittels so genannter zellulärer Automaten wurde das Tumorwachstum verschiedener Zelllinien simuliert. Es zeigte sich, dass Computermodelle und Krebsgeschwüre nach sehr ähnlichen Grundprinzipen funktionieren.
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"Short-term rhythmic proliferation"
Der Artikel "Short-term rhythmic proliferation of human breast cancer cell lines: surface effects and fractal growth patterns" wird in der nächsten Ausgabe des "Journal of Pathology" erscheinen.
->   Zum Abstract des Artikels
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Fraktale Geometrie
Bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts galten natürliche Objekte wie Bäume, Wolken oder Berge als geometrische Skurrilitäten, deren Form nicht wissenschaftlich-exakt erfasst werden konnte.

Erst der französische Mathematiker Benoit Mandelbrot entwickelte die so genannte fraktale Geometrie, mit deren Hilfe die "selbstähnlichen" Strukturen der Natur beschrieben werden können.
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Fraktale und Selbstähnlichkeit
Fraktale sind Gebilde, bei denen sich verschieden große Teilgebilde bei entsprechender Vergrößerung ähneln. Man spricht in diesem Zusammenhang von Selbstähnlichkeit. Näherungsweise sind Bäume ein Beispiel: vergrößert ähnelt ein großer Ast dem ganzen Baum, ein kleiner Ast einem großen Ast usw.

Ein einfaches rechnerisches Beispiel ist die sog. Cantor-Menge. Zu ihrer Erzeugung nimmt man aus einem Linienstück das mittlere Drittel heraus, aus den verbleibenden Stücken wieder das mittlere Drittel usw. Wird dieser Vorgang unendlich oft wiederholt, entsteht eine Menge mit unendlich vielen einzelnen Punkten: die Cantor-Menge.

Der Begriff "fraktal" leitet sich vom lateinischen "fractum" für "gebrochen" ab. Dies bezieht sich auf die Dimension fraktaler Gebilde, die - im Gegensatz zu jenen der euklidischen Geometrie - eine nicht-ganzzahlige Dimension aufweisen.
->   Fraktal - Wikipedia
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Tumore: Dimensionsbestimmung
Der federführende Pathologe des Wiener Forscherteams, Roland Sedivy, hatte schon in einigen früheren Publikationen zeigen können, dass mit der so genannten "Box-Count-Methode" die fraktale Dimension von Tumoren bestimmbar ist und diese als objektives Maß für Krebsvorstufen des Gebärmutterhalses eingesetzt werden kann.
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Box-Count-Methode und fraktale Dimension
Bei der Box Count-Methode werden grafische Raster unterschiedlicher Seitenlänge über ein Objekt gelegt und die Anzahl der Kästchen, die die Umrisslinie des Objekts berühren, notiert.

Während bei Objekten, die mit der euklidischen Geometrie beschrieben werden können, eine zunehmende Verfeinerung des Rasters zu einem Grenzwert der Umrisslinie führt, ist das bei fraktalen Objekten nicht der Fall. Das heißt, dass der Umfang eines fraktalen Gebildes bei einem unendlich feinem Raster theoretisch unendlich groß wäre.

Dieser Umstand wurde bereits vor 30 Jahren von Benoit Mandelbrot entdeckt, dem auffiel, dass Angaben über die Länge der (fraktalen) Küstenlinie von Großbritannien extrem differierten, weil sie offensichtlich mit verschiedenen Rastergrößen bestimmt worden waren. Die fraktale Dimension kann mathematisch aus der Zunahme der Umrisslinie eines Objekts relativ zur Rastergröße bestimmt werden.
->   Mehr zum Box Counting und fraktaler Dimension
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Medizinische Anwendungen
Die fraktale Dimension von Gewebekernen spielt eine wichtige Rolle in der Krebsdiagnostik. "Für eine Reihe von Gewebetypen konnte nachgewiesen werden, dass Kerne in der Nähe bösartiger Geschwüre eine höhere Dimension aufweisen. Damit können kleine Malignome indirekt erfasst werden, auch wenn die Gewebeprobe des Patienten kein Tumorgewebe enthält, wodurch die Krebsdiagnostik maßgeblich verbessert wird", erklärt Roland Sedivy.
->   Mehr zur Tumorklassifikation
Brücke zwischen Computer und Krebsgewebe
Bislang war allerdings unklar, ob Tumoren wirklich nach den selben Wachstumsprinzipien gebildet werden, wie künstliche Fraktale.

Mittels Simulationen an zellulären Automaten wies die Wiener Arbeitsgruppe nun nach, dass die festgestellte Ähnlichkeit nicht nur oberflächlich gilt: "Das Tumorwachstum gehorcht einem Algorithmus, der fraktale Bilder produziert", so Sedivy.
Ähnlichkeit zwischen künstlichen und natürlichen Tumoren
 
Bild: Springer Verlag; Sedivy, Wr. Klin. Wochenschr. 1996

Links: Ein virtueller "Tumor", Rechts: Dickdarmkrebs.
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Zelluläre Automaten
Zelluläre Automaten sind dynamische Systeme, bei denen Raum, Zeit und dynamische Variablen durch ganze Zahlen gegeben sind, wobei die möglichen Werte der Systemvariablen in der Regel auf wenige Stufen beschränkt sind. Das Konzept der zellulären Automaten (cellular automata) wurden um 1950 von J.v. . Neumann und S. Ulam bei der Suche nach selbstreproduzierenden Automaten entwickelt.

Obwohl ihre Dynamik durch einfache lokale Regeln beschrieben wird, ist das oft sehr komplexe asymptotische Verhalten zellulärer Automaten in der Regel nicht vorhersagbar. Zelluläre Automaten dienen daher häufig als mathematische Modelle für komplexe Systeme.
->   Zellulärer Automat - Wikipedia
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Wachstumsformen
Zudem fanden die Wiener Forscher heraus, dass sowohl runde als auch sternförmige Tumoren durch die selben Entwicklungsmuster beschrieben werden können.

Roland Sedivy: "Es gibt gute Hinweise darauf, dass unsere bisherige Tumorklassifikation nur zwei Aspekte ein und des selben Wachstumsmusters erfasst hat".

Robert Czepel, science.ORF.at
->   Mehr zum Thema Krebsforschung in science.ORF.at
 
 
 
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01.01.2010