News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit 
 
Genie & Wahnsinn: Zusammenhang bestätigt?  
  Seit der Verfilmung der Lebensgeschichte des Mathematikers John Nash ist die Frage nach der Verbindung von Genie und Wahnsinn wieder in aller Munde. Zwei amerikanische Psychologen konnten nun nachweisen, dass äußerst kreative Menschen bei Persönlichkeits-Tests ähnlich abschneiden wie manisch-depressive Kranke.  
Kreative ähneln bipolar Gestörten
Connie Strong und Terence Ketter von der amerikanischen Stanford University haben untersucht, inwieweit die bipolare affektive Störung (auch als manisch-depressive Krankheit bekannt) mit kreativen Eigenschaften zusammenhängt.

Zu diesem Zweck verglichen sie nicht nur gesunde und erkrankte Menschen, sondern etablierten eine gesonderte Kontrollgruppe aus gesunden, aber besonders kreativen Probanden.

Das Ergebnis: Letztere glichen bei Persönlichkeits-, Temperaments- und Kreativitäts-Tests eher der Gruppe der erkrankten als jener der gesunden, durchschnittlich kreativen Menschen. Die Ergebnisse werden auf der jährlichen Tagung der American Psychiatric Association in Philadelphia präsentiert.
->   American Psychiatric Association
...
Manisch-depressive Störung
Die manisch-depressive Störung, auch bipolare Störung oder Zyklothymie genannt, ist eine affektive Störung, bei der sich depressive und manische Phasen abwechseln. Die Gründe hierfür liegen vermutlich in einer überaktiven neuronalen Signalübertragung.

Die Stimmungsschwankungen können bei einem Teil der Patienten mit Medikamenten wie z.B. Lithiumsalzen stabilisiert werden, jedoch sind Rückfälle häufig. Kürzlich wurde auch eine Therapie mit hochdosierten Omega-3-Fettsäuren erfolgreich getestet.
...
Hypothese mit dunkler Vergangenheit
Die Vermutung, dass geniale Menschen eher zu Persönlichkeitsstörungen disponiert sind, ist bis in die Antike zurückzuverfolgen. Diese Mutmaßung wurde allerdings nicht nur als wertfreie Hypothese formuliert, sondern in der Vergangenheit etwa auch dafür missbraucht, moderne Kunstformen mit einem Stigma zu versehen.

Konservative Psychiater wie Emil Kraepelin interpretierten die Kunst des ausgehenden 19. Jahrhunderts auf ihre Weise, indem sie Arbeiten von Max Klinger und Richard Dehmel mit Diagnosen versahen und als Beweis für die Verirrungen der Moderne werteten. Eine Praxis, die im Nationalsozialismus durch den Begriff der "Entartung" übernommen und in verbrecherischer Weise übersteigert wurde.
Pathografie - von Beethoven bis Rembrandt
Seit dem Welterfolg des italienischen Psychiaters Lombroso mit "Genio e Follia" im Jahr 1864 sind zahllose Schilderungen des Lebenslaufs berühmter Personen entstanden, die einen Zusammenhang zwischen hervorragenden geistigen Leistungen und psychischer Krankheit oder Störung zu erfassen suchen.

Die umfangreichste so genannte Psychopathografie ist die erstmals 1928 erschienene Studie "Genie, Irrsinn und Ruhm" von W. Lange-Eichbaum, die sich wie ein "Who is Who" der Geistesgeschichte liest. In dem elfbändigen Werk geraten neben anderen Hölderlin, Van Gogh und Newton unter Schizophrenie-Verdacht, affektive Störungen werden etwa Beethoven, Mozart, Rembrandt und Leonardo da Vinci attestiert.
Die Studie
Bis dato wurden wenige empirische Studien vorgenommen, um den Verdacht zu untermauern, dass besonders kreative Menschen höhere Raten an bipolaren Störungen als die Durchschnittsbevölkerung zeigen.

In der Untersuchung von Strong und Ketter wurden 48 Patienten mit erfolgreich behandelter bipolarer Störung und 25 Patienten mit ebenfalls erfolgreich behandelter Depression zwei Kontrollgruppen gegenübergestellt, die sich aus 47 gesunden bzw. 32 gesunden und besonders kreativen Personen zusammensetzten. Die durchgeführten Vergleiche bezogen sich auf die Ergebnisse bei psychologischen Standard-Tests zu Persönlichkeit, Temperament und Kreativität.
Das Ergebnis
Strong und Ketter konnten zeigen, dass Kreative und manisch-depressive Patienten eher zu launischem und neurotischem Verhalten neigten als jene der Vergleichsgruppe.

Connie Strong interpretiert dieses Ergebnis vorsichtig - aber mit positivem Vorzeichen: "Meine Vermutung ist, dass die größere emotionale Bandbreite von manisch-depressven Menschen ein Vorteil sein kann. Dies ist sicher nicht der einzige Einfluss gebende Faktor, aber ich denke, dass die gefühlsmäßige Variationsbreite für bipolare Patienten auch von Nutzen ist."

Bereits geplante Folgestudien werden sich mit dem Einfluss der Stimmungslage auf die Schaffenskraft von Künstlern und genial veranlagten Personen befassen.
->   Stanford University
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010