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Anton Zeilinger ortet Druck auf Grundlagenforschung  
  Einen wachsenden Druck auf die Grundlagenforschung in Österreich in Richtung Anwendung ortet Österreichs internationales Forscher-Aushängeschild Nummer eins, Anton Zeilinger. "Das ist eine Fehlentwicklung, Grundlagenforschung darf grundsätzlich nicht zweckorientiert motiviert sein", meinte der Vorstand des Instituts für Experimentalphysik der Universität Wien in einem Interview. Zur Uni-Reform äußerte er sich grundsätzlich positiv und machte auch neue Vorschläge zur Finanzierung von Wissenschaft und Forschung.  
Früher mehr Verständnis für Grundlagenforschung
Der Physiker und science.ORF.at-Host erinnert sich im Gespräch mit der APA an die "schwierigste Entscheidung" seines Lebens, als er in den 80er Jahren vor der Wahl stand, von den USA nach Österreich zurückzukehren. Den Ausschlag habe damals gegeben, "dass in Österreich noch mehr Verständnis für nicht zweckorientierte Grundlagenforschung vorhanden war".

In jüngster Zeit sei aber der Druck auf die Forscher gewachsen, sich stärker in Richtung Anwendungen zu orientieren. Woher dieser Druck kommt, kann sich Zeilinger aber nicht erklären.
Handfeste Argumente
Dass die Grundlagenforschung grundsätzlich nicht zweckorientiert motiviert sein dürfe, könne man mit der Freiheit der Forschung und anderen hehren Idealen argumentieren. Für Zeilinger gibt es aber auch handfestere Argumente: "Bei den technologisch wichtigsten Entdeckungen der Grundlagenforschung hatten die Wissenschaftler keinerlei Zweck im Auge, ja mögliche praktische Anwendungen nicht einmal erkannt."

Als Beispiel nannte er die Entdeckung der Radiowellen oder des Lasers, für die sich am Anfang keine Anwendungen abzeichneten.
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Eigenes Beispiel
Auch in der eigenen Arbeit hat Zeilinger, der sich mit seinen "Teleportations"-Experimenten mit Lichtquanten internationale Reputation erworben hat, diese Erfahrung gemacht. Er habe diese Forschungen "aus rein philosophischem Interesse gestartet - wir wollten sehen und experimentell zeigen, wie verrückt die Quantenmechanik ist". Plötzlich würden die Dinge Richtung Anwendung gehen, erste Industriekooperationen zeichnen sich ab - für Zeilinger "eine völlige Überraschung. Vor 20 Jahren meine Forschungen mit dem Ziel zu begründen, Informationstechnologien aufbauen zu wollen, wäre völliger Unsinn und außerhalb jeder Vorstellung gewesen".
->   Institut für Experimentalphysik, Uni Wien
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Forschungssondermittel positiv
Die derzeitige Forschungspolitik mit der Bereitstellung von Forschungssondermitteln und deren Vergabe durch den Forschungsrat bewertet Zeilinger positiv: "Mehr Geld ist wahnsinnig wichtig für erfolgreiche Forschung und es ist ein guter Ansatz, wenn das Geld nicht von Politikern verteilt wird."

Der Physiker hat nicht den Eindruck, dass diese Mittel zu industrielastig vergeben werden. "Für die Grundlagenforschung ist momentan der richtige Level erreicht."
Mit Stand der Dinge zufrieden
Man könne in diesem Bereich nicht einfach die Mittel verdoppeln, weil dafür die Personalkapazitäten fehlten. "Der derzeitige Stand ist in etwa das richtige Ausmaß - gute Leute bekommen ihr Geld."

Das bedeute aber nicht, dass man auf diesem Stand bleiben soll. Wenn man jetzt mehr Geld hineinpumpe, baue man eine neue Basis von guten Leuten. "Und denen muss ich einen Chance geben, ihre Ideen zu verwirklichen - das heißt, weitere Expansion ist notwendig."
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Potenzielle Geldquelle: Sponsoring und Stiftungen
Für Anton Zeilinger ist klar, dass man sich bei der Finanzierung nicht nur auf den Staat verlassen kann und soll: Zwei Instrumente, die im anglo-amerikanischen Raum schon lange etabliert sind, sollten nach Ansicht des Physikers hierzulande verstärkt werden: In Österreich habe sich die Idee des Wissenschaftssponsoring noch nicht durchgesetzt.

"Forschung genauso zu fördern wie Kunst, nicht weil man sich ein Produkt erwartet, sondern weil man damit zur Identität des eigenen Unternehmens etwas beitragen kann", so Zeilinger.

Auch bei Stiftungen könnte Österreich nach Ansicht des Wissenschaftlers von den USA lernen. Dort gebe es tausende Stiftungen, von deren Erträgen Forschung und andere öffentliche Bereiche profitieren würden.
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Gutes Zeugnis für wissenschaftlichen Nachwuchs
Dem wissenschaftlichen Nachwuchs in Österreich stellt Zeilinger ein gutes Zeugnis aus: "Wir haben wirklich hervorragende Studenten." Und die Absolventen seines Fachgebiets bekämen ausgezeichnete Berufsangebote - "so gute Jobs, dass manche Kollegen Schwierigkeiten haben, gute Leute an der Uni zu halten."
Uni-Reform: Zuviel Macht der Kollegialorgane
Zeilinger ging im Gespräch mit der APA auch auf die geplante Universitätsreform ein: "Es darf an Universitäten keine Entscheidungen durch Kollegialorgane geben", so eine der zentralen Aussagen.

An den europäischen Unis hätten durch die geschichtliche Tradition kollegiale Organe zu viel Macht. "Das ist aber ein grundsätzlicher Systemfehler, weil dadurch Entscheidungen verwässert und automatisch Kompromisse gemacht werden", so der Professor an der Uni Wien. Vom neuen Universitätsgesetz erwartet sich Zeilinger hier Verbesserungen.
Entscheidungen sollen von Einzelnen getroffen werden
Für Zeilinger ist die Gruppenuniversität "ein Krampf", weil die Leute gezwungen würden, "in 'Kasteln' zu denken: das ist ein Professor, das ein Mittelbauer und das ein Student". Die guten und initiativen Leute sollten nach Ansicht des Wissenschafters mitwirken, ganz egal, welcher Gruppe sie angehören.

"Entscheidungen dürfen grundsätzlich nur von Einzelpersonen getroffen werden, die dann aber dafür auch an der Nase genommen werden müssen", meint Zeilinger. Dies gehe sicher nicht von heute auf morgen, weil man zu einer "Kultur des Verantwortungtragens" kommen müsse.
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Anton Zeilinger
Vorstand am Institut für Experimentalphysik an der Universität Wien. Professuren in München, an der TU Wien und der Universität Innsbruck; Aufenthalte am MIT (Massachusetts Institute of Technology), Boston, und am Collège de France in Paris. Forschungsarbeiten u. a. im Los Alamos National Laboratory und am Merton College der Oxford University. Arbeiten auf den Gebieten der Quantenphysik, Quantenoptik, Quanten-Teleportation und Kryptographie.
->   Persönliche Homepage
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Kommissionen gegen Interessen der Unis
Zeilinger ortet aber die Gefahr, dass die autonomen Universitäten die Verantwortung wieder an Kommissionen und Komitees weitergeben. Ungeeignet für einen Führungsjob, etwa den Rektor, wäre nach Ansicht des Physikers jemand, der schon vor der Wahl sage, dass er sich nie gegen die Entscheidung von Kommissionen stellen werde. "Denn ich habe es oft genug erlebt, dass solche Kommissionen gegen die Interessen der Universität, aber für die Interessen ihrer Mitglieder gestimmt haben."
Junior-Professuren fehlen bei Uni-Reform
Einen Punkt vermisst Zeilinger in dem Uni-Gesetz: "Man sollte so etwas wie Junior-Professuren schaffen." Wenn man junge Leute mit einer auf einige Jahre befristeten Stelle zu einer guten Gruppe dazu gibt und das mit entsprechenden Mitteln ausstattet, könne man einiges bewegen.
->   Quantum and Foundational Physics
->   Anton Zeilingers Texte in science.ORF.at
 
 
 
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01.01.2010