News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Leben .  Umwelt und Klima 
 
Moderne Fischerei und ihre Folgen für die Evolution  
  Die kommerzielle Fischerei gerät zunehmend unter Druck. Unter dem Schlagwort "Überfischung" bekannte Probleme wie alarmierender Schwund an Fischbeständen und fehlende langfristige Bewirtschaftungspläne scheinen besorgniserregender als bisher angenommen. Denn laut neuesten Studien von Meeresbiologen hat die moderne Fischerei einen gravierenden Einfluss auf die Evolution der Meerestiere: Sie lässt Fische immer kleiner werden.  
Wie die Meeresbiologen David O. Conover und Stephan B. Munch am Beispiel der Gezeiten-Ährenfische nachweisen konnten, kommt es im Zuge des selektiven Fischfangs zu einer "ungewollten Züchtung" von immer kleineren Fischen. Die Wissenschaftler fordern nun ein Überdenken bisheriger Schutzmaßnahmen.
...
Die Ergebnisse der Studie sind unter dem Titel "Sustaining Fisheries Yields Over Evolutionary Time Scales" im Fachmagazin "Science" Bd. 297, Nr. 5578, S. 94-96, 5. Juli 2002 erschienen.
->   Der Originalartikel (kostenpflichtig)
...
Von den Tücken des selektiven Fischfangs
Der bisher als schonend und ökologisch verträglich geltende selektive Fischfang birgt den Wissenschaftlern zufolge Tücken, deren Folgen sich für die weltweiten Fischbestände auf lange Sicht katastrophal auswirken könnten.

"Die Idee des selektiven Fischfangs ist aus einem biologischen Standpunkt insofern gerechtfertig, als größere Fische gefangen werden, und die kleineren, noch nicht geschlechtsreifen Fische verschont bleiben", wie Dirk Riebensahm, Meeresbiologe von WWF-Deutschland gegenüber science.ORF.at erläutert.
Eine vielversprechende Methode
Die Methode schien so vielversprechend wie simpel: Abhängig von der Fischart, die gefangen werden soll, wird die Größe der Maschen von Fangnetzen eingestellt. Größere Fische bleiben hängen, die kleineren schwimmen durch.

Auf diese Weise kann die Population erhalten bleiben, zumal die kleineren Fische das geschlechtsreife Alter erreichen und dadurch den Bestand sichern können, so die bisherigen Annahmen.
...
Selektiver Fischfang nur bedingt erfolgreich
In der Praxis selbst ist die Strategie des selektiven Fischfangs jedoch nur bedingt erfolgreich: Wie Dirk Riebensahm gegenüber science.ORF.at betont, "sind im Laufe der Jahre aufgrund ökonomischer Interessen die Maschen immer kleiner geworden." Auch ist der so genannte Beifang - ungewollte Arten verfangen sich im Netz - seit der industriellen Fischerei zu einem enormen Problem geworden. "Zwar wird der Beifang meist wieder über Bord geworfen - 'Rückwurf' -, in Folge ist die Überlebenschance der Fische allerdings so gering, dass Maßnahmen dieser Art kaum Sinn machen", erklärt der Meeresbiologe.
->   Greenpeace-Magazin: Mehr zur Problematik des "Rückwurfs"
...
"Wohlmeinende Konzepte, aber..."
Conover und Munch hingegen meinen nun auch vom biologischen Standpunkt aus den Nachweis für die schädlichenn Folgen der Fangmethode erbracht zu haben: "Unsere Studien zeigen deutlich, dass auch wohlmeinende Konzepte das Gegenteil erzielen können", erklären die Wissenschaftler.
Eingriff in die Evolution
Durch das Fangen der großen Fische, kommt es zu dem evolutionären Phänomen, dass bereits in wenigen Generationen, die Durchschnittsgröße der Fische signifikant abnimmt.

Im Falle der Gezeiten-Ährenfische war die Größe der Fische im Versuchsbestand schon nach vier Generationen stark zurückgegangen - die großen Fische wurden regelmäßig entfernt.

"Mit anderen Worten, es sind eher die kleineren Fische, die sich innerhalb einer Population durchsetzen können und die Folgen daraus ergeben sicherlich nichts Gutes", kommentieren die Wissenschaftler ihre Ergebnisse.
Kritik an der EU-Fischereipolitik
Deshalb kritisieren Conover und Munch internationale Organisationen wie die EU, die im Rahmen ihrer Fischereipolitik nach wie vor die Empfehlung abgeben, kleinere Fische zu verschonen.

Ihrer Meinung nach sei erstens die wahrscheinlich bessere Alternative zur herkömmlichen Vorgehensweise, größere wie auch kleinere Fische zu fangen. Zweitens werde man nicht umhin kommen, Schutzzonen einzurichten, die den Erhalt der Fischbestände sichern.
EU-Fischereireform, Zeichen der Umorientierung
Dirk Riebensahm hingegen meint mittlerweile auch innerhalb der EU eine Neuorientierung in Sachen Fischereipolitik feststellen zu können. Für ihn stellt die grundlegende Reform der EU-Fischereipolitik, die bis Ende dieses Jahres über die Bühne gehen soll, ein Signal in diese Richtung dar.

Vor allem die Verwirklichung von langfristigen Bewirtschaftungsplänen für einzelne Fischbestände auf wissenschaftlicher Basis ist für Riebensahm ein erster Schritt in die richtige Richtung.
...
EU-Fischereireform
Der Fischereiaufwand soll laut der geplanten EU-Fischereireform je nach Region zwischen 30 und 60 Prozent reduziert werden. Auch sollen die jährlichen Fangquoten durch langfristige Bewirtschaftungspläne für die einzelnen Fischbestände auf wissenschaftlicher Basis abgelöst werden. Des Weiteren sollen Rund 8.600 Schiffe oder 8,5 Prozent aller derzeitigen Fischereischiffe still gelegt werden.

Für sofortige Abwrackmaßnahmen sollen für den Zeitraum 2003 bis 2006 zusätzliche 272 Mill. Euro zur Verfügung gestellt werden. Um die sozialen Folgen einer Verkleinerung der EU-Flotten abzufedern, sollen rund 460,6 Mill. Euro für die Umschulung der Fischer aus dem EU-Haushalt bereitgestellt werden, zu denen später weitere 88 Mill. Euro kommen könnten.
->   EU-Fischereipolitik
...
"Die Politik der letzten Jahre hat nicht gegriffen"
"Nicht nur Wissenschaftler, sondern auch die Politiker haben mittlerweile eingesehen, dass die Politik der letzten Jahre nicht gegriffen hat und eine Umsetzung von Schutzmaßnahmen nun dringend nötig ist", so Riebensahm.
->   WWF Deutschland
->   WWF Österreich
Mehr zum Thema "kommerzieller Fischfang" in science.ORF.at:
->   Tiefseefischerei: WWF fordert Schutzgebiete
->   Walfang und moderne Fischerei gefährden Wale
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Leben .  Umwelt und Klima 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010