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Münchhausen und die Forschungspolitik
Ein Diskussionsbeitrag von Günter Koch
 
  Niklas Luhmann hat in seinem Exkurs über ¿Die Realität der Massenmedien¿ nicht nur vorlaufend zu den heutigen Phänomenen der Mediengesellschaft eine ¿Theorie¿ zur Big-Brother-TV-Reality geliefert, sondern uns von Berufs wegen Forschenden eine verständnisfördernde Parabel zur öffentlichen Wahrnehmung von Forschung und Technologie geliefert.  
Produktion von Realität
Kurz gesagt, die Massenmedien sind der machtvollste gesellschaftliche, das heißt mit und in der Gesellschaft funktionierende Mechanismus zur "Produktion" von Realität. Wie alles, was in den Medien heute "rüberkommen" muss, kann sich auch Forschung dem Diktat einer dem Medium entsprechenden Unmittelbarkeit, einer aktuellen Bedeutungszumessung und einer Nützlichkeitsargumentation nicht verweigern.
Ready made research?
Auch die (Tages-)Politik kann sich dem nicht entziehen. Ein Politiker, der nicht angesichts von Dioxin-, BSE- und Schweinemedikations-Skandalen die Forschung als die Waffe No. 1 zu benennen und deren zukünftigen Erfolge zu versprechen versteht, sollte sich besser einem anderen Beruf zuwenden, denn es sind die schnellen und kompetenten Lösungen, die der Wahlbürger von ihm erwartet und nicht etwa bedachte Hinweise, dass doch alles so kompliziert sei und der tieferen Analyse bedürfte. Ready made research ist angesagt.
Die Realität der Forschung
Spätestens hier sollte der geneigte Diskurspartner in science.orf.at den Verdacht schöpfen, dass der Autor entweder seine Distanzierung oder eine Legitimation eines neuen Forschungsstils vorzubereiten versucht, oder, noch ärgerliche, die Paradoxie zweier entgegengesetzter Interpretationen des heutigen Forschungsparadigmas hinstellt.

Erraten: Die Realität der Forschung ist paradox, weil wir eine Serie von Spagaten auszuhalten haben:
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Die Serie der Paradoxien
Die Verteidigung der Grundlagenforschung gegenüber der öffentlichen Präferenz für angewandte, wirtschaftsorientierte Forschung, kurzfristige Forschungserfordernisse vor dem langfristigen Aufbau einer Wissen(schaft)sbasis, Universitäten versus ihren ¿Konkurrenten¿, den Fachhochschulen und den außeruniversitären Forschungsunternehmen, geplante Wirtschaftlichkeit gegenüber chaotischer Kreativität und Erfindungsreichtum, forscherische Freiheit im Kontrast zur nutzenfunktionalisierten Forschungsprogrammatik, usw. ,usw.
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Die Paradoxie läßt sich systemtheoretisch beschreiben
Das, was der Wissenschaft historisch zu ihrer immensen Leistungsfähigkeit verholfen hat ¿ autopoietische Schließung u.a. durch Konzentration auf eng eingegrenzte Fragestellungen oft über Forschergenerationen hinweg und damit auch Abschottung gegen vieles andere ¿ soll nun unter Beibehaltung der Leistungsfähigkeit fast schon durch das Gegenteil ersetzt werden.

Eine Paradoxie eben, aber eine, die auch aus der Sicht der angewandten Wissenschaft als positive Herausforderung verstanden wird.
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Österreichische Besonderheiten
Österreich ist ein Land, das sich mit solchen ¿zerrenden und zehrenden¿ Fragen immer und intensiv auseinandergesetzt hat ¿ man denke als Beispiel an den schwierigen, aber intellektuell profunden Umgang mit Spitzenforschern wie etwa Wittgenstein, Gödel, Schrödinger, Schumpeter, Hayek oder N. Wiener.

Ein solches ¿Kreissen mit den Bergen¿ erfährt man im heutigen Wissenschaftsbetrieb nirgendwo anders in dieser Qualität, erst recht nicht im weit pragmatischer geführten Wissenschaftsdiskurs in den anglo-amerikanischen Ländern.
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Mehr als ein Mailüfterl
Der Ruf nach einem Nobelpreisträger aus unserem Land hört sich in diesem Konkurrenzumfeld ganz und gar nicht als Ruf in der Wüste, sondern als Annonce inmitten eines Sturmes an, in dem unser Land weiland in das Auge des Taifuns zu liegen kam.

Die Turbulenzen kündigen sich an: Wenn wir bis 2005 in den Forschungsinvestitionen international aufgeschlossen haben werden und 2010 laut den Reformdialog-Teilnehmern der Regierung zu den ersten fünf Ländern auf dem Globus gehören wollen, dann heisst¿s: Reißt die Fenster zur Durchlüftung auf, die dieses Mal mehr als ein Mailüfterl werden muss.
Rezepte der Dynamisierung
Am Forschungszentrum Seibersdorf, einer bisher als "Staatsbetrieb" wahrgenommenen "Forschungsanstalt" konnten wir über die letzten drei Jahre ein Momentum einer solchen Dynamisierung erzeugen. Die Rezeptur ist nicht schwierig, das Gelingen kostet allerdings die Energie des Entfrachtens eines Cargodampfers und seinen Umbau zu einem Verbund von Schnellbooten.
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Die Ingredienzien sind Selbstbewußtsein, Ideen, Aushalten der Spannung des Konfliktes zwischen Forschung und marktnaher Entwicklung, eine kompromisslose Qualitätspolitik, Akzeptanz von erprobten Managementmethoden aus professionellen Umgebungen, internationale Benchmarks und die kontinuierliche Neuerfindung und ¿entwicklung des ¿Unternehmens¿ im Wechselspiel zwischen eigener Kompetenzsteigerung sowie der kritischen Annahme der von außen, d.h. von Politik, Gesellschaft und Markt/Kunden gestellten Anforderungen.
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Das Modell unseres Forschungs- und Entwicklungsunternehmens als mehrstufiges, adaptives Regelsystem, das sich organisch, gelegentlich auch "plötzlich" auf neue Umgebungsbedingungen einstellt, implementiert nach unserer Auffassung die oben genannte Parabel einer autopoetischen Entwicklung: Eine kontinuierliche und nicht abbrechende (R)Evolution aus eigenem Antrieb.
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Münchhausens Methode
Ich sehe keine Alternative zu diesem Münchhausischen Prozess, sich selbst an den Haaren aus der schwierigen Situation eines festgefahrenen Systems von instutionalisierter Forschung, Technologie und Entwicklung zu ziehen.
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Potentiale und Defizite
Das Potential, das sind akademisch und anwendungsorientiert umfassend, allgemein und systemisch gebildete Akademiker in einem bewegten, sich reibenden, sich hinterfragenden und in diesen Zeiten sich neu erfindenden Österreich ist mindestens so reich wie in den derzeit führenden Wirtschaftsnationen.

Das Defizit, dieses Momentum auch ¿auf die Fahrbahn¿ zu bekommen, ist ein mit professionellen Methoden und durch erkannte Strukturveränderungen zu behebendes Problem und kann uns ja wohl nicht ernst- und dauerhaft davon abhalten endlich auf das Niveau derjeniger aufzuschließen, die sich international schon längst in Co-Optition (= Cooperation & Competition) üben.
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Prof. Günter Koch ist wissenschaftlicher Geschäftsführer der
Austrian Reserach Centers
->   Austrian Research Centers
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01.01.2010