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An den Grenzen der Thermodynamik  
  Die drei Hauptsätze der Thermodynamik gehören zu den ehernen Gesetze der Physik. Unter anderem besagen sie, dass es unmöglich ist, Maschinen zu bauen, die mehr Energie erzeugen als verbrauchen. Zumindest auf molekularer und atomarer Ebene gerät aber der Zweite Hauptsatz der Thermodynamik ins Wanken - wie nun erstmals experimentell bewiesen wurde.  
Eine Frage der System-Größe
Wie Ed Gerstner, der Herausgeber der beiden Online-Portale zu Physik und Materialien der Fachzeitschrift "Nature" schreibt, könnte dies bedeuten, dass es eine Art natürliche Grenze der Miniaturisierung und unseres Verständnisses der belebten Welt gibt.

In einer Größenordnung von ein paar Millionstel Millimeter - eine Größenordnung, in der Zellen bereits jetzt, in einigen Jahren aber auch Maschinen operieren werden - werden die Gesetze der Mechanik großer Systeme scheinbar nicht angewandt.
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Drei Hauptsätze der Thermodynamik
Für die Thermodynamik sind die drei Hauptsätze der Wärmelehre maßgebend:
1. Hauptsatz - der Energieerhaltungssatz: Wärme kann in andere Energieformen übergeführt oder aus diesen erzeugt werden, sie kann aber nicht aus nichts entstehen.
2. Hauptsatz - der Entropiesatz: die Entropie - eine von Rudolf Julius Emanuel (Clausius) eingeführte Rechengröße, die in der Wärmelehre den Zustand eines Systems (z.B. Gas oder Flüssigkeit) charakterisiert - kann bei Zustandsänderungen des Systems nicht abnehmen.
3. Hauptsatz - das Nernst'sche Wärmetheorem: die Entropie jeder Substanz geht gegen Null, wenn die Temperatur bei ansonsten festen Bedingungen gegen Null strebt.
->   Online Skript Thermodynamik und Statistische Physik
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Wassermoleküle vs. Latex-Tröpfchen
Wie kam es zu dieser Einschätzung? Emil Mittag, Debra J. Searles und Kollegen zweier australischer Universitäten hatten den Einfluss von Wassermolekülen auf die Bewegung von winzigen Latex-Tropfen untersucht, die durch Laserstrahlen fixiert wurden.

Sie fanden heraus, dass Variationen in der zufälligen thermischen Bewegung der Wassermoleküle innerhalb von Zeitspannen von weniger als zwei Sekunden einzelne Tröpfchen anstießen.

Dies führte zu einer zwar kleinen, aber signifikanten Erhöhung ihrer kinetischen Energie - eine Verletzung des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik.
Keine "freie" Energie, kein Perpetuum mobile
Der Energiegewinn, so die Forscher, sei nur von kurzer Dauer gewesen und könnte insofern niemals zu einer Quelle "freier" Energie oder einem Perpetuum mobile führen.

Er war aber groß genug, um das zu bestätigen, was sich die Physiker ohnehin lange schon dachten.
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Der Zweite Hauptsatz der Thermodynamik
Der Entropiesatz wurde auf verschiedene Weisen ausgedrückt. Eine Variante: Wärme kann niemals spontan, d.h. ohne Arbeitszufuhr von außen, von einem kälteren auf einen wärmeren Körper übergehen (Clausius). Eine weitere: Es ist unmöglich, eine periodisch arbeitende Maschine zu konstruieren, die nichts anderes bewirkt als die Erzeugung mechanischer Arbeit unter Abkühlung eines Wärmereservoirs (Unmöglichkeit eines Perpetuum mobile II; Planck und Thomson).

Ludwig Boltzmann wiederum erkannte, dass der Entropiesatz gleichbedeutend ist mit der Wahrscheinlichkeitsaussage: Die auf die einzelnen Moleküle eines Körpers verteilte Bewegungsenergie geht stets von einem weniger wahrscheinlichen Verteilungszustand in einen wahrscheinlicheren über, nicht aber umgekehrt. Sind z. B. alle Luftmoleküle zu Anfang in einer Ecke eines Zimmers, so verteilen sie sich gleichmäßig in diesem Zimmer: die Entropie nimmt zu. Es ist jedoch praktisch ausgeschlossen, dass umgekehrt die gleichmäßig verteilten Moleküle sich einmal alle in einer Zimmerecke ansammeln.
->   Mehr über den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik
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Theoretische Vorhersage bestand seit langem
Denn die Verletzung des Zweiten Gesetzes der Thermodynamik bei kleinsten Teilchen-Mengen innerhalb größerer Systeme ist keine neue Idee. Das Forscherteam um Searles und Mittag hat es bereits vor mehr als zehn Jahren theoretisch vorher gesagt.

Und schon 1878 schrieb der schottische Physiker James Clerk Maxwell: "Die Wahrheit des Zweiten Gesetzes der Thermodynamik ist ... statistisch, nicht mathematisch, da sie auf der Tatsache beruht, dass die Systeme, mit denen wir uns beschäftigen, aus Millionen von Molekülen bestehen ... Daher wird das Gesetz auch bei jeder ausreichend kleinen Gruppe von Molekülen, die zu einem größeren System gehören, kontinuierlich und bis zu einem bemerkenswertem Ausmaß verletzt."
Analogie zum Glücksspiel
Ed Gerstner verglich die Thermodynamik in der Online-Ausgabe von "Nature" mit einem fortwährenden Glückspiel. Der erste Hauptsatz, wonach keine Energie aus nichts geschaffen werden kann, bedeutet in diesem Zusammenhang: "Man kann nicht gewinnen." Der zweite: "Man kann nicht einmal ohne Verluste spielen."

Mit anderen Worten: Es ist nicht besonders ungewöhnlich, ein einzelnes Glücksspiel zu gewinnen. Nach sehr vielen Spielen gewinnt aber immer die Bank.

Oder im Sinne der Thermodynamik: Man kann das Kasino gar nie verlassen, daher rühre auch die Robustheit des Zweiten Gesetzes - zumindest bei größeren Systemen und über einen größeren Beobachtungszeitraum hinweg.
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Die Original-Studie von Emil Mittag, Debra J. Searles und Kollegen unter dem Titel "Experimental Demonstration of Violations of the Second Law of Thermodynamics for Small Systems and Short Time Scales" erscheint in den Physical Review Letters vom 29. Juli 2002 (89, 050601).
->   Original-Abstract
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->   Grundbegriffe der Thermodynamik
->   Grundlagen der Thermodynamik
->   Physical Review Letters
->   Nature Science Update
 
 
 
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01.01.2010