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"Forum Alpbach": Die Selbstregulation der Erde  
  Die Vorstellung von der Erde als lebendiges System hat in den vergangenen Jahrzehnten den Blick auf die globalen Umwelteinflüsse revolutioniert. Die erstaunliche Fähigkeit der Erde zur Selbstregulation wirft viele Fragen auf. Theorien darüber, wie die so genannte GAIA-Theorie, werden noch widersprüchlich gesehen. Sie haben aber auch bereits zu wichtigen Einsichten über das Funktionieren von Ökosystemen geführt, wie der Zoologe Wolfgang Wieser in einem Gastbeitrag in der neuen science.ORF.at-Serie "Forum Alpbach" belegt.  
GAIA: Die Erde als ein Geo-Bio-Ökosystem
Von Wolfgang Wieser, Innsbruck

Vor etwa 40 Jahren begann der englische Chemiker und Geophysiker James Lovelock seine revolutionäre Sichtweise vom Systemcharakter des Planeten Erde zu entwickeln. Er ging davon aus, dass sich die Erde gewissermaßen in einem prekären Zustand - in weiter Entfernung vom thermodynamischen Gleichgewicht - stabilisiert hat und dass an der Aufrechterhaltung dieses Zustands die Summe aller Lebensprozesse - die Biosphäre - entscheidenden Anteil hat.
Eine aktive Rolle der Biosphäre
Vor allem zwei Beobachtungen stimulierten Lovelock zur Formulierung seines Konzepts: Erstens läßt sich die Zusammensetzung der irdischen Atmosphäre mit geophysikalischen Prinzipien allein nicht erklären.

Während zum Beispiel in der Atmosphäre toter Planeten (wie Venus und Mars) Kohlendioxid dominiert (95-98%), Sauerstoff und Stickstoff nur in Spuren, Methan überhaupt nicht vorkommen, dominieren in der Erdatmosphäre O2 und N2 (20,5 beziehungsweise 78,5 %), CH4 ist durchaus nachweisbar (1,7 ppm) und der CO2-Gehalt ist extrem niedrig (0,03%).

Diese vom Standpunkt chemophysikalischer Prinzipien höchst unwahrscheinliche Zusammensetzung lässt sich nur durch die Annahme einer aktiven Rolle der Biosphäre erklären .
Konstanz über erdgeschichtliche Perioden
Zweitens widerspricht auch die Konstanz wichtiger physikochemischer Größen über ausgedehnte erdgeschichtliche Perioden den chemophysikalischen Vorgaben und kann ohne Berücksichtigung der Biosphäre nicht verstanden werden.

Ein schlagendes Beispiel bietet die mittlere Lufttemperatur, die weitgehend stabil geblieben ist, obwohl die Strahlungsintensität der Sonne seit dem Beginn der biologischen Evolution um etwa 25% zugenommen hat.
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Europäisches Forum Alpbach
"Kommunikation und Netzwerke" ist das Thema des Europäischen Forums Alpbach 2002, das vom 15. - 31. August in Alpbach/Tirol stattfindet. Aus der breiten Themenpalette der Veranstaltungen wird science.ORF.at in den kommenden Wochen Gastbeiträge von Wissenschaftlern präsentieren.
->   Europäisches Forum Alpbach/Programm
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Die Erde als System
Der von Lovelock erstmals postulierte systemartige Charakter der Erde lässt sich eher mit den Begriffen der Physiologie als mit denen der Physik beschreiben.

Lovelock und seine Anhänger meinen denn auch, dass eine geophysikalische Betrachtung der Erde nicht ausreiche, um alle Eigenschaften unseres Planeten zu erklären; sie müsse vielmehr durch eine geophysiologische Betrachtungsweise ergänzt werden, denn die Fähigkeit, ein dynamisches Gleichgewicht fern vom thermodynamischen Gleichgewicht durch den Austausch von Stoffen und Energie mit der Umwelt aufrechtzuerhalten, ist das charakteristische Merkmal aller Organismen.
Ein "Organismus"
Freilich darf die Charakterisierung des Systems Erde als ein Organismus nicht wörtlich genommen werden, denn die Erde vermehrt sich ja nicht und vermag sich deshalb auch nicht, wie die Stammeslinien von Lebewesen, über das Zusammenspiel von Mutationen und Selektion an eine veränderliche Umwelt anzupassen.
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Die "schwache" Variante der GAIA-Theorie
Diesem Einwand wurde mit der sogenannten "schwachen" Variante der GAIA-Theorie begegnet, deren zentrales Postulat folgendermaßen lautet: Das System "Planet Erde" ist imstande, einen prinzipiell lebensfreundlichen Zustand gegen gravierende äußere und innere Störungen zu verteidigen und durch Selbstregulation aufrechtzuerhalten. Die Fähigkeit zur Selbstregulation (Homoiostase) wurde erstmals von Claude Bernard (1878) als ein charakteristisches Merkmal lebender Organismen erkannt.
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Mechanismen der Selbstregulation
Wir stehen somit vor der großen Frage, welche Mechanismen für die globale Selbstregulation des Systems Erde verantwortlich sein könnten. Die Frage ist deshalb aktuell, weil es zunächst den Anschein hat, dass das zentrale Postulat der "schwachen" GAIA-Theorie mit gewissen Postulaten der Evolutionstheorie nicht in Übereinstimmung gebracht werden kann.

So ist zum Beispiel eine der Grundannahmen des Darwinismus, dass sich Populationen von Lebewesen an lokale Umweltbedingungen anpassen und dass der Erfolg solcher Anpassungsprozesse daran gemessen wird, ob Individuen eine ausreichend große Zahl von Nachkommen produzieren.
Das Rätsel der Anpassungsprozesse
Da jedoch die lokalen Bedingungen in den Lebensräumen der Erde (zwischen polarem Eis und tropischem Regenwald, zwischen Tiefsee und Berglandschaften) sehr verschieden sind, ist nicht leicht zu verstehen, wie denn eine unübersehbare Vielfalt lokaler Anpassungsprozesse gewissermaßen auf einen einzigen Punkt konvergieren könne, nämlich auf das Integral globaler Sollwerte, das nach Ansicht der GAIA-Theoretiker vom System Erde gegen zum Teil drastische ökologische Störungen verteidigt wird.
Fundamentale Lebensbedürfnisse
Es gibt noch keine gültigen Antworten auf die oben gestellte Frage. Sie zwingt uns jedoch, uns mit den Merkmalen rezenter Ökosysteme sowie mit den Mechanismen und Grenzen der Anpassung von Lebewesen an wechselnde Umweltbedingungen auseinander zu setzen.

Tatsächlich hat diese Herausforderung bereits zu Einsichten geführt. Am wichtigsten ist wahrscheinlich jene, dass es einige fundamentale Lebensbedürfnisse gibt (wie zum Beispiel die Effizienz der Energienutzung) die, unabhängig von den ökologischen Bedingungen, erfüllt sein müssen, damit Ökosysteme funktionieren können.
Gefährdung des Gleichgewichts
Von solchen fundamentalen Merkmalen des Lebensprozesses müsste es möglich sein, Brücken zum ebenso fundamentalen Phänomen der globalen Homoeostase zu schlagen. Selbst wenn wir dazu noch nicht imstande sind, beginnen wir langsam zu begreifen, aus welchen Gründen der Mensch drauf und dran ist, ein durch die biologische Evolution und die globale Ökologie definiertes (dynamisches) Gleichgewicht mit seinen Handlungen zu gefährden.
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Der Autor der Gastbeitrages
Wolfgang WIESER, emer. Univ.-Prof., Dr.
*1924,Studium der Zoologie, Botanik, Anthropologie und Philosophie an der Universität Wien, mehrjährige Studienaufenthalte als Forschungsstipendiat in Schweden
(Universität Lund) und in den USA. 1960 Univ. Assistent am Zoologischen Institut sowie am Institut für Krebsforschung an der Universität Wien, 1961 Habilitation, 1964-94 O. Univ. Prof. an der Universität Innsbruck..
Mitgliedschaften/Funktionen:Society for Experimental Biology, Fellow of the American Association for the Advancement of Science, Ehrenmitglied bei der Deutschen Zoologischen Gesellschaft, Mitglied bei der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.
Auszeichnungen. 1975 Kardinal-Innitzer-Würdigungspreis.
Publikationen: "Bioenergetik" 1986, "Vom Werden zum Sein. Energetische und soziale Aspekte der Evolution" 1986, "Die Evolution der Evolutionstheorie" (Hrsg.) Spektrum akad. Verlag, 1994, "Die Erfindung der Individualität oder Die zwei Gesichter der Evolution"Spektrum akad. Verlag, 1998.
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01.01.2010