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Die "wichtigsten Zukunftsfragen der Wissenschaft"  
  Jedes Jahr stellt John Brockman, Verfechter der "Dritte Kultur-These", prominenten US-Forschern eine Frage auf seiner Internet-Plattform. Heuer betraf sie die "wichtigsten Entwicklungen in der Wissenschaft". Die Antworten sind zum Teil skurril, zum Teil zukunftsweisend - und reichen vom "Führerschein für Eltern" über eine bemannte Mission zum Mars bis zu gentechnischen Lösungen in der Medizin und der forcierten Forschung nach alternativer Energie.  
Fröhliche Wissenschaft für alle
Wissenschaftler wie Richard Dawkins, Steven Pinker, Daniel Dennett oder Ian Wilmut haben eines gemeinsam - nämlich ihre Vermarktung durch den New Yorker Literaturagenten John Brockman.

Er hat vor ein paar Jahren begonnen, unter dem Motto "Dritte Kultur" eine Art "fröhliche Wissenschaft für alle" zu fordern.
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"Dritte Kultur": Zwischen populär und minderwertig
Die dritte Kultur soll sich von den zwei traditionellen abheben - so hat es der Amerikaner C.P. Snow in den späten 1950er Jahren beschrieben. Er unterschied zwischen der ersten Kultur der "Hommes de lettres" und einer zweiten der Naturwissenschaftler. Als eine Art Synthese propagiert er eine neue "dritte Kultur".

John Brockman hat diesen Ausdruck übernommen, wendet ihn aber ausschließlich für die moderne Naturwissenschaft an. In dem Buch "Die Dritte Kultur" (Ersterscheinung 1995) wurden die Gedanken von populär schreibenden Wissenschaftlern zusammengestellt. Kennzeichnend für sie ist nicht nur die Intention, komplexe Sachverhalte in einfachen Worten für den "interessierten Laien" darzustellen, sondern auch ihre Motivation. So spricht aus nahezu allen Selbstdarstellungen, die dem Buch vorangestellt sind, ein hoher Grad an Minderwertigkeitsgefühlen gegenüber den Geisteswissenschaften - die mit gemeinsamer publizistischer Macht bekämpft werden sollen.
->   Mehr über das Buch (Amazon)
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Edge: Homepage der "Dritte Kultur-Intellektuellen"
"Um an die Grenzen des Wissens der Welt zu stoßen, suche die komplexesten und raffiniertesten Geister, bringe sie in einem Raum zusammen und lasse sie sich gegenseitig die Fragen fragen, die sie sich selbst stellen."

So lautet das Motto von John Brockmans Homepage "Edge" - ein Sammelbecken von "Dritte Kultur-Intellektuellen".
->   Edge
"Was sind die dringendsten Wissenschaftsthemen?"
Bereits zum sechsten Mal stellte Brockman heuer zum Jahreswechsel eine Frage an die Edge-Community. Diesmal in Form einer fiktiven E-Mail des amerikanischen Präsidenten: "Was sind die dringendsten Wissenschaftsthemen für die Nation und die Welt, und wie soll ich Ihrer Ansicht nach mit ihnen umgehen?", wird George W. Bush in den Mund gelegt.

Bisher haben knapp 85 Forscher, Wissenschaftsjournalisten, Nobelpreisträger und andere geantwortet. Die Palette reicht von verquer anmutenden Einfällen über patriotische Pflicht-Statements in Sachen Terrorismusabwehr bis zu redlichen "Aufgabenlisten".
->   Die Frage auf der Edge-Website
Gegen Apokalyptiker ...
Dennis Dutton, der Herausgeber von "Arts and Letters daily", geht die Sache besonders kritisch an. Er warnt in seiner Antwort vor den Apokalyptikern unter seinen Forscherkollegen.

Umweltprobleme würden überbewertet und gehörten zu einer "junk science", die es nur deshalb gebe, weil man mit der Beschreibung von Horrorszenarien eher Aufmerksamkeit und damit Förderungen bekommt.
... und Fremdsprachen
Der Neuropsychologe Steven Pinker vom MIT spricht sich für eine Entrümpelung der Lehrpläne an Schulen aus: Fremdsprachen, Literatur und Trigonometrie raus, Ökonomie, Statistik und Biologie hinein - lautet kurz zusammengefasst sein Motto.
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Einführung eines "Elternführerscheins"
Die Einführung eines "Elternführerscheins" fordert der Genetiker und Psychologe David Lykken, um die Kriminalitätsrate in den USA zu senken. Die vorgeschlagenen Mindestanforderungen für potenzielle Eltern: Reife, Ehe, ausreichendes Einkommen, keine körperliche oder psychische Krankheit, keine kriminelle Vergangenheit.
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Gendiagnostik als Präventivmedizin
Für alle gesundheitsgefährdeten Amerikaner hat der Genom-Entschlüssler und Geschäftsmann Craig Venter einen Vorschlag parat.

Um das amerikanische Gesundheitssystem zu reformieren, das unter "einer unerträglichen Anzahl unversicherter Personen" leidet, bedürfe es aller möglicher Methoden genetischer Diagnosen - Krankheiten zu verhindern, statt ihre Symptome zu bekämpfen, sei der billigste Weg, meint Venter.
Suche nach dem "großen aufregenden Projekt"
Wiederkehrendes Thema bei einer Reihe von Antworten ist das Suchen nach einem "großen aufregenden Projekt, auf das sich die Nation konzentrieren kann", wie es der Computerwissenschaftler David Gelernter von der Universität Yale beschreibt.

Ein Beispiel dafür sei der Wettlauf zum Mond gewesen, den die USA in Zeiten des Kalten Krieges gegen die Sowjetunion gewonnen hätten. Der Wissenschaftshistoriker George B. Dyson spricht vom Eifer dieser "Sputnikjahre" (benannt nach dem ersten russischen Erdsatelliten), den es wieder herzustellen gelte.
Mars statt Irak?
Wer Mond sagt, muss auch Mars sagen: Gleich mehrere Autoren sprechen sich für eine bemannte Mission zum Roten Planeten als "aufregendes Projekt" aus. Der Physiker Paul Davies empfiehlt US-Präsident Bush, sich anstelle der "Herausforderung Irak" jener des Mars zu stellen.

David Gelernter widerspricht und hält eine derartige Mission für nicht mehr so anziehend wie die Reise zum Mond 1969: Stattdessen empfiehlt er den Bau von superschnellen und zugleich ökologischen Flugzeugen und Eisenbahnen.
Genomics und Post Genomics
Ein ganz anderes Statement macht Philip Campbell, der Herausgeber des Fachmagazins "Nature". Er schlägt - in Folge der Gen-Sequenzierung des Malaria-Erregers - eine nationale Anstrengung in Sachen "Post Genomics" von Malaria vor, um die Krankheit zu bekämpfen.

Der Physiker Freeman Dyson sieht als große Aufgabe der Zukunft ein weltweites Genomprojekt, das im nächsten Jahrhundert das Erbgut sämtlicher Arten katalogisieren soll.
Sicherungssystem für bedrohtes Kulturerbe
Einen interessante Idee äußert auch Robert Shapiro, Chemieprofessor an der New York University. Weil das wissenschaftliche und kulturelle Erbe durch eine Reihe von Phänomen bedroht sein könnte - er zählt u.a. Terrorismus, Atomkriege, Kometeneinschlag und Hungersnöte auf -, bedürfe es eines effektiven "Back-up-Systems".

Im schweben ähnlich den mittelalterlichen Klöstern mehr oder minder unzerstörbare Sicherungssysteme vor, in denen das Wissen der Menschheit gespeichert wird.
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Wasserstoff
Angesichts der von den meisten Forschern anerkannten globalen Erwärmung, spricht sich eine Reihe von Debattenbeiträgen für eine verstärkte Förderung alternativer Energien und für eine Reduktion des Einsatzes von Öl aus. Bevorzugte Resource: Wasserstoff.
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Auch "Dritte Kultur" mit wenig Frauen
Gleichgültig ob erste, zweite oder dritte Kultur: Zumindest ein Merkmal ist allen gemeinsam - die geringe Anzahl an Frauen, die an ihren Diskursen beteiligt sind. So ist es auch bei den 85 Antworten auf die Neujahrs-Frage von John Brockman.

Was weibliche Forscherinnen zu sagen haben, scheint dafür treffsicher. Die Psychologin Alison Gopnik von der University of California, Berkeley beschließt ihr Plädoyer für eine verstärkte Unterstützung der Grundlagenforschung mit den Worten:

"Unsere besten Wissenschaftler und kreativsten Unternehmen borgen sich regelmäßig Gebräuche und Verfahren von Müttern oder Vorschullehrern aus. Geben sie all unseren Wissenschaftlern, ob alt oder jung, zu essen, das richtige Spielzeug, einen sicheren Ort zum Spielen, interessante Probleme zum Lösen, jemanden zum Reden - und dann schauen Sie ihnen beim Fliegen zu."

Lukas Wieselberg, science.ORF.at
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01.01.2010