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Habsburger: Ein unrühmliches Herrschergeschlecht?  
  Zu Beginn des 21. Jahrhunderts sind die Habsburger den meisten vor allem durch den Sisi-Dreiteiler im TV und durch die Kostüme beim Neujahrskonzert bekannt. Dass die Herrscherdynastie aber die Geschicke Österreichs und des restlichen "christlichen Abendlandes" über mehr als ein halbes Jahrtausend durchaus unrühmlich bestimmt hat, ist vielen nicht bewusst. Das zumindest meinen die Autoren des eben erschienenen "Schwarzbuchs der Habsburger" - und ziehen gegen diese Art von Vergangenheits-Verklärung ins Feld.  
Habsburger: Keine "Lamperl"

"Mir sind ja eh die reinen Lamperl", konstatiert ein Hauptmann des k.u.k. Kriegsministeriums in den "Letzten Tagen der Menschheit" von Karl Kraus - und meint damit die vermeintlich menschenfreundliche Behandlung von Kriegsgefangenen durch die Habsburger-Armee im Ersten Weltkrieg.

Dass dem zwischen 1914 und 1918 nicht so war - und auch nicht in den mehr als sechs Jahrhunderten zuvor, in denen das Herrschergeschlecht der Habsburger die Geschichte Europas in hohem Maße mitbestimmte -, das ist das erklärte Programm des "Schwarzbuch der Habsburger" von den Wiener Junghistorikern Hannes Leidinger, Verena Moritz und Berndt Schippler.

Verkaufsfördernde Warnung gleich im Vorwort vom Historiker Gerhard Jagschitz: "Dieses Buch soll und wird Kontroversen auslösen."
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Das Buch
Leidinger, Moritz, Schippler: Schwarzbuch der Habsburger. Die unrühmliche Geschichte eines Herrscherhauses, Verlag Deuticke 2003
->   Das Buch bei Deuticke
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Schwarzbücher: Einfache Thesen, griffige Marke
Schwarzbücher sind in den letzten Jahren in Mode gekommen. Mittlerweile gibt es ein Schwarzbuch des Kommunismus, ein Schwarzbuch des Kapitalismus, ein Schwarzbuch der Markenfirmen und ein Schwarzbuch des Dschihad.

Wer will, kann bei Schwarzbüchern auch aus Themen wie Steuersünden, Atomkraftwerk Temelin, Rache oder Antroposophie wählen.

Zumindest den historisch relevanten Schwarzbüchern gemein ist der Hang zu einfachen, griffigen Thesen. Die "Opfer" von Kommunismus/Kapitalismus/Islam etc. werden gezählt und je nach politischem Standpunkt aufgerechnet.
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Keine Gesamt-Opferzahl
Eine "Gesamt-Opferzahl" der durch Habsburger verursachten Kriege, Kämpfe und Repressalien präsentiert das Buch zwar nicht, die Einzelzahlen des Kapitels "Krieg und Außenpolitik" (Beispiel Schlesien-Krieg Mitte des 18. Jahrhunderts: "mehr als 300.000 Mann") sind aber dennoch sehr 'eindrucksvoll'.
Zweifache Kritik: Themen- und Personen
Die Kritik an den Habsburgern üben Leidinger/Moritz/Schippler in zweierlei Hinsicht: zum einen durch die Darstellung klassischer Themen der österreichischen Geschichte wie Wirtschaft, Außenpolitik oder konfessionelle Situation, zum anderen durch Porträts einzelner Herrscher unter dem Generaltitel "Zweifelhafte Persönlichkeiten".

Kaiser Rudolf (1552-1612) etwa war ein "Mann mit so vielen Eigenschaften, dass man keine charakteristische findet, ohne nicht auch das jeweilige Gegenteil davon nennen zu müssen".
Despoten: Von Rudolf bis Franz Josef
Franz Josef (1830-1916), der laut dem Psychiater Erwin Ringel schon in seiner Kindheit "seelisch vernichtete wurde", war geprägt von einer "geradezu reflexartigen Abwehrhaltung gegenüber Begriffen wie 'Liberalismus' und 'Konstitution'.

Und selbst Josef II (1741-1790), der als - absolutistischer und zentralistischer - Reformer unter den Habsburgern in die Geschichtsbücher eingegangen ist, war ein "überforderter, wenn auch begabter Despot".
Der Schluss der Autoren
Historisches Fazit: Die Habsburger waren das Herrschergeschlecht par excellence, das für Frömmelei, unaufgeklärten Katholizismus, rücksichtsloses Streben nach Machterhalt, innenpolitischer Reaktion und außenpolitischem Abenteurertum stand.

Dieses Urteil ist weder aktuell besonders gewagt, noch historisch. Denn das "Schwarzbuch" verweist auf eine andere "schwarze" Tradition: die so genannte "Schwarze Legende" der Habsburger.
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Schwarzbuch und Schwarze Legende
Breuss/Liebhart/Pribersky schrieben in ihrem Buch "Inszenierungen. Stichwörter zu Österreich" (Verlag Sonderzahl) im Jahr 1995 zur "Schwarzen Legende" folgendes: "Diese Legende, deren Bedeutung auch Friedrich Heer hervorhebt, erzählt, dass die habsburgischen Herrscher, verführt durch italienische und spanische (geistliche) Berater, ... 'mit List und Gewalt ihre Untertanen wieder katholisch gemacht' hätten und so eine 'Jahrhunderte andauernde Hemmung aller freien Entwicklungen bewirkt hätten.'"

Diese Schwarze Legende - ursprünglich aus dem 16. Jahrhundert stammend, als die Niederlande gegen Spanien kämpfte - stand im 19. Jahrhundert symbolisch für die anti-katholisch und anti-habsburgisch geprägten politischen Bestrebungen von Liberalen und Deutschnationalen.
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Kritik an Kollegen
Doch nicht nur konkrete Herrscher und Praxen der Dynastie stehen im Blickpunkt der Kritik von Leidinger/Moritz/Schippler. Auch ihre eigene Zunft wird nicht verschont.

Über Jahrhunderte hätten Berufshistoriker - unterstützt von den Schriftstellern - an der "langen Tradition der Habsburg-Verklärung" mitgearbeitet. Sanfte Rückblicke in eine vermeintlich "gute alte Zeit" hätten eine lange Tradition - die aus der Epoche des Biedermeier und der Romantik, dem imaginären Ort der Erinnerung "Kakanien" (Robert Musil) bis zum Sisi-Kult der heutigen Zeit reicht.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at
->   Kakanien Revisited (Universität Wien)
->   Herrschergeschlecht Habsburger (Österreich-Lexikon AEIOU)
->   Auf den Spuren der Habsburger
 
 
 
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01.01.2010