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Irak-Krieg: Selbstverteidigung oder Aggression?  
  Wie der Krieg der "Allianz der Willigen" gegen den Irak verlaufen wird, werden die nächsten Tage weisen. Juristisch ist er auf jeden Fall umstritten, die Mehrheit der Völkerrechtler geht davon aus, dass er nicht legitimiert ist - und den Vereinten Nationen als System kollektiver Sicherheit nachhaltig schaden wird. Die US-Regierung beruft sich u.a. auf ein besonderes Argument der Legitimation: die so genannte "vorsorgliche Selbstverteidigung". Gegner halten den Waffengang für einen Akt der Aggression.  
Resolution 1441 drohte mit "ernsten Konsequenzen" ...
Die Resolution 1441 des UNO-Sicherheitsrates vom November 2002 präzisierte die Abrüstungspflichten des Irak, verschärfte das Inspektionssystem und drohte Bagdad mit "ernsten Konsequenzen", falls es nicht vollständig kooperiert.
->   Die Resolution 1441 (UNO)
... aber ohne Gewalt-Mandat?
Sie enthält aber nach Auffassung zahlreicher Völkerrechtsexperten kein Gewalt-Mandat, wie etwa die "Süddeutsche Zeitung" am Mittwoch schrieb: "Sie bewerten die bevorstehende Militäraktion als völkerrechtswidrigen Akt der Aggression mit weit reichenden Folgen für daran beteiligte Länder".

Polen etwa verstoße mit der Entsendung von 200 Elitesoldaten gegen die Aufnahmekriterien der Europäischen Union, meinte der Augsburger Völkerrechtler Christoph Vedder.
->   Völkerrechtler verurteilen Angriffspläne der USA (SZ vom 19.3.03)
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Völkerrechtler: Angriff auf Irak nicht gedeckt
"Militärische Aktionen gegen den Irak ohne klare Ermächtigung durch den Sicherheitsrat sind unter den zurzeit gegebenen Umständen und angesichts der in der Öffentlichkeit allgemein bekannten Fakten völkerrechtswidrig", heißt es in einer Resolution von deutschsprachigen Völkerrechtsexperten, die anlässlich einer Tagung in Freiburg verabschiedet wurde. Der Text wurde am Mittwoch in Graz von Wolfgang Benedek, Vorstand des Instituts für Völkerrecht und Internationale Beziehungen der Universität Graz, veröffentlicht.
->   Institut für Völkerrecht und Internationale Beziehungen, Uni Graz
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UNO-Charta: Absolutes Gewaltverbot mit Ausnahmen
Ausgangspunkt aller rechtlicher Überlegungen ist das Herzstück des modernen Völkerrechts - das absolute Gewaltverbot, wie es in Artikel 2 (4) der UNO-Charta niedergelegt ist.

Ausnahmen gibt es laut UNO-Charta nur zwei: das Selbstverteidigungsrecht und die Befugnis des Sicherheitsrats, den Weltfrieden auch mit militärischer Gewalt wiederherzustellen (Artikel 51).
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Artikel 2 (4) der UNO-Charta
"Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete Androhung oder Anwendung von Gewalt."
->   UNO-Charta
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Kein Recht auf präventive Selbstverteidigung
Die USA verwiesen zur Rechtfertigung für ein militärisches Vorgehen mehrmals auf ihr Selbstverteidigungsrecht. Nach Ansicht von Rüdiger Wolfrum, dem Direktor des Max-Planck-Instituts für Völkerrecht in Heidelberg, "löst allerdings nur ein konkreter Angriff gegen einen Staat das Recht auf Selbstverteidigung aus".

Als die UNO-Charta verabschiedet wurde, habe man sich "bewusst gegen die Möglichkeit einer präventiven Selbstverteidigung entschieden", so Wolfrum in einer Aussendung.

Den Ansatz zu einer "vorsorglichen (preemptive) Selbstverteidigung" hat US-Präsident Bush allerdings bereits in einer Ansprache am 1. Juni 2002 in der West Point Academy formuliert.
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"Ready for preemptive action when necessary"
Auszug aus der Bush-Rede: "Our security will require transforming the military you will lead - a military that must be ready to strike at a moment's notice in any dark corner of the world. And our security will require all Americans to be forward-looking and resolute, to be ready for preemptive action when necessary to defend our liberty and to defend our lives."
->   Die Bush Rede vom 1. Juni 2002 (White House)
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Fall Caroline: Wenn Präventivangriffe doch legitim sind
Laut Wolfrum ist ein präventiver Verteidigungsschlag "nach umstrittenen völkerrechtlichen Vorstellungen allenfalls bereits dann möglich, wenn ein Angriff unmittelbar bevorsteht und sich dies objektiv belegen lässt".

In der einschlägigen Literatur wird in diesem Zusammenhang auf den so genannten "Caroline Fall" aus dem Jahr 1837 zurück gegriffen.

Dabei waren britische Truppen während einer Rebellion in der damaligen Kolonie Kanada auf US-amerikanischen Boden eingedrungen und hatten von dort aus operierende Gegner bekämpft.
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Fall Caroline
Amerikanische Privatmilizen, die mit den Aufständischen in Kanada sympathisierten, brachten auf einem Flussdampfer namens "Caroline" Waffen und Männer zu einer Insel auf der kanadischen Seite des Niagaraflusses. Die Briten revanchierten sich mit einem Überfall, eroberten den Dampfer, der auf US-Territorium angedockt lag, zündeten die "Caroline" an und versenkten sie. Der Caroline-Klausel gemäß sind Präventivhandlungen zulässig, wenn "die Notwendigkeit der Selbstverteidigung unmittelbar gegeben und überwältigend ist und in denen weder eine Wahl der Mittel noch eine Möglichkeit von Verhandlungen bleibt."
->   Der Irak und der Fall Caroline (TAZ)
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Gerechtfertigte und ungerechtfertigte Präventivschläge
Als Beispiel für einen in diesem Sinne gerechtfertigten Präventivschlag nennt Wolfrum die Militäraktion von Israel im Jahre 1967, als Israel gegen die aufmarschierenden ägyptischen und anderen Streitkräfte vorging, bevor sie die israelischen Grenzen erreicht hatten.

Dagegen habe der UNO-Sicherheitsrat 1981 das Bombardement des irakischen Atomreaktors Osirak durch Israel einstimmig verurteilt - und zwar mit der Stimme der USA.
Widerspruch zu den Grundsätzen der UNO
Präsident Bush verstehe die vorsorgliche Selbstverteidigung nun als Weiterentwicklung der präventiven Selbstverteidigung, so Wolfrum.

Dagegen spreche jedoch einiges, so der Völkerrechtler: "Der entscheidende Gesichtspunkt gegen jede Form von vorsorglicher Selbstverteidigung liegt darin, dass bei Verzicht auf eine objektivierbare Feststellung eines Angriffs, diese auf einer rein subjektiven Einschätzung des Staates beruht, der Selbstverteidigung geltend macht." Damit sei das Gewaltverbot "praktisch zur Disposition dieses Staates gestellt".

Und dies wiederum widerspreche den Grundprinzipien der UN-Charta, die auf der Gleichberechtigung aller Staaten beruhen.
->   Die Aussendung von Rüdiger Wolfrum (Max Planck Institut Heidelberg; pdf-Datei)
UNO geht u.a. auf Kant zurück
Der Gedanke der Friedenssicherung durch ein System kollektiver Sicherheit ist sehr alt - und geht ideengeschichtlich u.a. auf Abbe St. Pierre, William Penn und Immanuel Kant zurück.
Kants Ideen zum ewigen Frieden
Im Jahre 1795 beschrieb Immanuel Kant in seinem Werk "Zum ewigen Frieden", die Voraussetzungen für eben diesen.

Er erklärte, dass die optimale Lösung ein Weltstaat wäre, zu dem sich alle Völker zusammengeschlossen haben. In einem solchen Völkerstaat würden die Staaten ihre Souveränität aufgeben und die Völker sich zu einem Weltvolk zusammenschließen - die Grundidee des Völkerbundes und der Vereinten Nationen.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at
->   Mehr über Kants "Ewigen Frieden"
->   Die Geschichte der UNO: 1941 bis heute (Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen)
->   Militärische Aufklärung? (Beitrag des Soziologen Ulrich Beck in der NZZ)
 
 
 
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01.01.2010