News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Leben .  Medizin und Gesundheit 
 
Die Neurobiologie der Empathie  
  Amerikanische Wissenschaftler haben die Wurzeln des einfühlenden Verhaltens - auch Empathie genannt - mit neurobiologischen Methoden untersucht. Ihr Ergebnis: Beobachten und Nachahmen von Emotionen rufen im Gehirn fast die selben Erregungsmuster hervor. Damit wurden nicht nur die an der Empathie beteiligten Hirnareale gefunden, sondern auch deren neurobiologische Mechanismen aufgeklärt.  
Dies berichtet ein Team von Hirnforschern um Marco Iacaboni von der David Geffen School of Medicine in Kalifornien. Die Ergebnisse wurden im amerikanischen Fachjournal "Proceedings of the National Academy of Sciences" veröffentlicht.
...
"Neural mechanisms of empathy in humans"
Die Studie erschien als Online-Vorabpublikation unter dem Original-Titel "Neural mechanisms of empathy in humans: A relay from neural systems for imitation to limbic areas" in der Zeitschrift "Proceedings of the National Academy of Sciences" (doi: pnas.0935845100).
->   Zum Original-Abstract
...
Theodor Lipp: Vater des Empathie-Konzepts
Die Fähigkeit, sich in die Gefühlswelt eines anderen Menschen zu versetzen, gilt als ein unverzichtbarer Baustein des sozialen Zusammenlebens.

Der deutsche Philosoph und Psychologe Theodor Lipps hat dieses Phänomen zu Beginn des 20. Jahrhunderts erstmals genauer untersucht und unter dem Namen "Empathie" in die Psychologie eingeführt. Er verstand hierunter eine "innere Handlung", ein von Wahrnehmungen begleitetes inneres Nachvollziehen.
Der Chamäleon-Effekt
Eine interessante Erweiterung des Lippschen Konzepts stammt aus dem Jahr 1999. Damals hatte Tanya L. Chartrand von der Ohio State University nachgewiesen, dass sich die Fähigkeit zur Empathie auch in Äußerlichkeiten manifestiert.

Diese - mittlerweile als Chamäleon-Effekt bekannte - Regel besagt, dass empathische Menschen auch die Haltung, Eigenheiten und Gesten ihres Gegenübers unbewusst imitieren.
Hypothese: Bewegung und Emotion hängen zusammen
Darauf aufbauend postulierten Marco Iacoboni und sein Team nun eine Hypothese, die ein neurobiologisches Bindeglied zwischen dem inneren Erleben und der äußeren Erscheinung darstellt.

Ihre These: Die Repräsentation von Handlungen (z.B. Bewegungen, Mimiken) im Gehirn sollte einen lenkenden Einfluss auf jene Hirnzentren ausüben, die mit Emotionen befasst sind. Und dieser Mechanismus sollte wiederum ein entscheidender Baustein in der Neurobiologie der Empathie sein.
...
Die Nachweismethode: fMRI
Um ihre Hypothese zu testen, verwendeten die Forscher eine spezielles bildgebendes Verfahren, das so genannte "functional magnetic resonance imaging" (fMRI). Mittels dieses Verfahrens können die Aktivitäten ausgewählter Gehirnregionen festgestellt werden. Dies geschieht nicht unmittelbar - anhand der Erregung der Neuronenverbände -, sondern indirekt: fMRI stellt die Änderung der Durchblutung von Gehirnregionen fest.

Bei den eruierten Hirnregionen handelt es sich u.a. um frontale und seitliche Felder der Großhirnrinde sowie um die so genannte Insel - ein Bereich, der eine funktionale Verbidung zum Emotionszentrum, dem limbischen System aufbaut.
->   Mehr zu diesem Verfahren (www.neuroguide.com)
...
Der Versuch: Beobachtung und Imitation ...
Die amerikanischen Neurobiologen ließen ihre Testpersonen Bilder von Gesichtern betrachten, deren Ausdruck verschiedene Emotionen (z.B. Freude, Überraschung, Angst etc.) vermittelte.

Die Versuchspersonen wurden ferner aufgefordert, zwei Dinge zu tun: Sie sollten die dargestellten Emotionen innerlich nachvollziehen - oder sie einfach beobachten.
... beanspruchen die selben Hirnregionen
Das bemerkenswerte Ergebnis: Bei beiden Aufgaben wurden die selben Hirnregionen beansprucht. Offensichtlich macht es für das Gehirn keinen großen Unterschied, ob es die Beobachtung von Emotionen oder deren innere Nachahmung verarbeiten muss.

Aus psychologischer Sicht stellt dieses Ergebnis eine elegante Unterstützung des Chamäleon-Effekts dar.
Evolutionäre Anthropologie: Empathie ist typisch menschlich
Auch für die Anthropologie liefert Iacobonis Studie einen wertvollen Baustein, der zur Abrundung des wissenschaftlichen Gesamtbildes beiträgt. In diesem Zusammenhang ist eine These von Michael Tomasello vom Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig interessant, der zufolge eine besondere Eigenschaft den Menschen von seinen Primatenkollegen trennt:

Nach Tomasellos Ansicht ist gerade die Fähigkeit des Perspektivenwechsels, der Einfühlung sowie der Nachahmung besonders bei Homo sapiens ausgeprägt. Und dies sei wiederum eine der Voraussetzungen für die kulturelle Entwicklung des menschlichen Denkens.
Was macht den Mensch zum Menschen?
Aus dieser Perspektive sind die Erkenntnisse von Iacoboni und seinem Team nicht nur ein nüchterner neurobiologischer Befund. Sie beleuchten eine kognitive Besonderheit unserer Spezies - und damit das grundlegende Desiderat jeder Anthropologie: Ein tiefgreifendes Verständnis der menschlichen Natur.

Robert Czepel, science.ORF.at
->   David Geffen School of Medicine (UCLA)
Mehr zu diesemThema in science.ORF.at
->   Erfahrung verändert Wahrnehmung von Emotionen
->   Geist und Gefühl: Geichwertige Partner
->   Lächeln steckt nur gesellige Menschen an
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Leben .  Medizin und Gesundheit 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010