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Potenzgesetze: Warum kleine Tiere nicht so alt werden wie große  
  Viele Beziehungen zwischen Größen der Natur lassen sich durch so genannte Potenzgesetze beschreiben. In der Biologie ist etwa das Verhältnis von Körpergröße und Metabolismus ein besonders prominentes Beispiel dafür: Große Tiere haben - relativ gesehen - eine niedrigere Stoffwechselrate als kleine Tiere. Um wieviel weniger, ist allerdings nicht so einfach zu beantworten. Denn die experimentell erhobenen Daten gehorchen nicht dem erwarteten Zusammenhang. Neue Modelle können nun erstmals erklären, warum das so ist.  
Die Wissenschaftszeitschrift "The Scientist" widmet die Titelgeschichte ihrer aktuellen Ausgabe dem Themenbereich so genannter allometrischer Gesetze.

Die grundsätzlichen Zusammenhänge dieser Gesetze haben bereits Biologen im 19. Jahrhundert entwickelt. Ein detailliertes Verständnis hat sich aber erst eingestellt, seitdem Physiker dieses Problem mit modernen mathematischen Modellen analysiert haben.
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Literatur-Tipp: "The Power of Power Laws"
Der Artikel "The Power of Power Laws" von Philip Hunter erschien in der aktuellen Ausgabe der Online-Zeitschrift "The Scientist" (Vol 17, Ausgabe vom 21. April 2003) und ist kostenfrei zugänglich.
->   Zum Original-Artikel
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Elefanten werden älter als Mäuse
Bild: Science
Elefanten erreichen bekanntlich ein höheres Lebensalter als Mäuse. Dies ist ein einfaches Beispiel für folgenden biologischen Zusammenhang: Je größer ein Organismus, desto geringer ist seine Herzfrequenz.

Da alle Säugetiere ihren natürlichen Tod nach einer - mehr oder weniger - konstanten Zahl von Herzschlägen (ca. 1-2 Milliarden) erreichen, ergibt sich als logische Folgerung, dass kleine Säuger (z.B. Mäuse) früher das Zeitliche segnen als große Vertreter ihrer Klasse (z.B. Elefanten).

Bild rechts: Die verblüffende Korrelation zwischen Körpergröße und Stoffwechselrate. (Man beachte die logarithmischen Achsen).
Erklärungsversuch aus dem 19. Jahrhundert
Bild: The Scientist
Eine einfache Erklärung dafür geht auf den deutschen Stoffwechselphysiologen Max Rubner zurück. Seine grundsätzliche Überlegung: Angenommen, man bezeichnet die Länge eines Tieres mit L, dann sollte die Hautoberfläche mit der zweiten, seine Masse (M) hingegen mit der dritten Potenz von L wachsen.

Infolge dessen sollte der Stoffwechsel für große Tiere immer ökonomischer ablaufen, da die Wärmeabgabe vom Verhältnis von Oberfläche und Masse (bzw. dem Volumen) abhängt.

Bild rechts: Mathe-Wiederholung: Potenzfunktionen (links) und Exponentialfunktionen (rechts) im Vergleich.
Real gefundene Werte passen nicht zu Modell
Anders ausgedrückt: Die totale Stoffwechselrate sollte proportional der Größe M hoch 2/3 sein. Im Jahr 1932 unterzog der schweizer-amerikanische Zoologe Max Kleiber diese Vorhersage einer Überprüfung:

Er fand allerdings, dass der Stoffwechsel von der Größe M hoch 3/4 abhängt. Warum dieses Potenzgesetz nicht den Rubnerschen Vorhersagen entspricht, war lange Zeit ein echtes Mysterium.
Tiere sind keine Kugeln
Heute weiß man, dass Rubner recht behalten hätte, wenn Tiere kugelförmig wären. Das ist aber (von einigen Stachelhäutern abgesehen) nicht der Fall. Die Erklärung für den - mittlerweile als Kleibersches Potenzgesetz - bekannten Zusammenhang geht auf das Jahr 1997 zurück.

Damals hatte eine Forschergruppe um den Physiker Geoffrey B. West vom Los Alamos National Laboratory in New Mexico ein Modell vorgelegt, das den Lebewesen eine realistischere Geometrie zuordnete.
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"A General Model for the Origin of Allometric Scaling"
Die Studie "A General Model for the Origin of Allometric Scaling Laws in Biology" von Geoffrey B. West, James H. Brown und Brian J. Enquist erschien in der Zeitschrift "Science" (Band 421, S. 713-14).
->   Zum Original-Artikel (kostenpflichtig)
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Modell: Fraktale Gefäßsysteme
Sie gingen in ihrem Modell von der Tatsache aus, dass die Gefäßsysteme in Lebwesen aus selbstähnlichen Strukturen bestehen.

Das heißt konkret: Die Blut führenden Gefäße bestehen nicht nur aus der Hauptschlagader, sondern verzweigen sich über Arterien und Arteriolen bis hin zu feinsten Kapillaren. In der Sprache der Geometrie spricht man dabei von so genannten Fraktalen.
->   Fraktale Geometrie in der Krebsforschung
Kapillaren sind immer gleich groß
Der entscheidende Punkt (d.h. die eigentliche Quelle des Exponeten 3/4) ist, dass aber die Größe von Kapillaren nicht von der Größe des Tieres abhängt.

Mit anderen Worten: Die Endigungen von Gefäßen zum Stoffaustausch sind bei Mensch, Maus und Fliege etwa gleich groß. Darauf aufbauend konnten West und seine Mitarbeiter mittels hydrodynamischer Gesetze die gesuchte Potenzfunktion ableiten.
Modell kann vielfach angewendet werden
Das Überzeugende an Wests Model ist, dass es nicht nur auf das Atmungssystem von Wirbeltieren anwendbar ist, sondern genau so bei Gefäßen von Pflanzen oder den Tracheensystemen von Insekten funktioniert.

Der bekannte Buchautor und Evolutionstheoretiker Richard Dawkins zeigt sich darob begeistert: "Es handelt sich um eine wirkungsvolle Theorie, die eine Vielzahl biologischer Gesetzmäßigkeiten mit großer Sparsamkeit erklärt."
Ockhams Rasiermesser in Aktion
Beim Thema Sparsamkeit scheiden sich allerdings noch die Geister: Nach Ansicht des schottischen Spätscholastikers William von Ockham (1285-1349) ist bei der Erklärung eines Sachverhaltes immer jenem Modell Vorzug zu geben, das auf weniger Zusatzannahmen basiert.

Genau dieser Forderung wurde der Physiker Jayanth Banavar von der Pennsylvania State University gerecht, als er ein alternatives Modell entwickelte, das auch ohne fraktale Muster funktioniert.
Kleibers Gesetz entmystifiziert
Das ist insofern ein Vorteil, weil das Kleibersche Potenzgesetz über 27 Größenordnungen gültig ist: Diese reicht von Blauwalen über Kleinsäuger bis hin zu Einzellern.

Und letztere besitzen bekanntlich kein verzweigtes Gefäßsystem. Eine ähnliche Vereinfachung gelang in letzter Zeit auch West und seinem Team. Mittlerweile gibt es eine Reihe konkurrierender Modelle, die zumindest eines gemeinsam haben:

Der Kleibersche Exponent ist kein Mysterium mehr, sondern kann präzise abgeleitet werden. Der Rest dürfte eher eine wissenschaftliche Geschmacksache sein.
->   Stabheuschrecken brechen Evolutionsregel
->   Können Elefanten trotz ihrer Masse richtig "rennen"?
->   Zwei statt einer Elefanten-Art in Afrika
->   Zellalterung hängt zum großen Teil von Zufällen ab
 
 
 
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01.01.2010