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ORF ON Science :  News :  Umwelt und Klima 
 
Heuer Extrembelastungen für die Alpengletscher  
  Die Ausgangsbedingungen sind schlecht: Der eher schneearme Winter und die frühsommerlichen Extremtemperaturen haben den Gletschern zugesetzt. Wenn auch der Hochsommer heiß wird, könnte 2003 ein "Katastrophenjahr" für die Alpengletscher werden.  
40 Jahre Messungen
Seit mehr als 40 Jahren beobachtet Heinz Slupetzky vom Institut für Geographie der Universität Salzburg die Längen- und Massenänderungen seiner "Hausgletscher" im Nationalpark Hohe Tauern. Im Alpinzentrum Rudolfshütte ist die Gletscher- und Hochgebirgsforschungsstelle der Universität Salzburg untergebracht.
Schneeschmelze und Wüstenstaub
"Der Winterschnee auf den Gletschern ist in der Hitze des Frühsommers rasch geschmolzen", sagt Heinz Slupetzky. Die Nullgradgrenze liegt immer wieder bei 4000 Meter oder sogar darüber - Schnee und Eis schmelzen Tag und Nacht.

Eine weitere Gefahr für das Gletschereis: Ende November 2002 wurde gelbbrauner Wüstenstaub auf der damaligen Schneedecke abgelagert.

Diese Schmutzschicht liegt nun nach dem Abschmelzen des Winterschnees an der Oberfläche und absorbiert, weil sie dunkel ist, mehr Sonnenstrahlung - die wiederum zu mehr Wärme umgewandelt wird. Der Schmelzprozess wird noch zusätzlich verstärkt.
Starke Verluste seit 1982
Die vergangenen zwei Jahrzehnte mit heißen Sommern und relativ wenig Winterniederschlag haben den Alpengletschern große Verluste gebracht:

Das Stubacher Sonnblickkees in den Hohen Tauern zum Beispiel hat seit 1982 22 Millionen Kubikmeter verloren - das ist ein Fünftel seiner Gesamtmasse.

"Wenn die Klimaerwärmung in diesem Tempo weitergeht, ist das Sonnblickkees in 80 Jahren verschwunden", meint Heinz Slupetzky. In 100 Jahren würden unter diesen Bedingungen nur mehr 20-30 Prozent der Alpengletscher vorhanden sein.
¿Katastrophenjahr¿ 1947
Der Sommer 2003 könnte also, wenn sich die Hitzewellen weiter häufen, einen der größten Massenverluste für die Gletscher seit dem "Katastrophenjahr" 1947 bringen. Dieses Jahr ging als "100jährliches Ereignis" in die Annalen der Gletscherforschung ein.

Extreme Sommertemperaturen ließen viele ältere Firnschichten der Jahre davor wegschmelzen - was dem Stubacher Sonnblickkees eine extrem negative Bilanz bescherte:

Es verlor in einem einzigen Jahr 4,5 Millionen Kubikmeter an Masse, das sind rund 2,5 Meter Eisabschmelzung über den ganzen Gletscher.
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Das Gletschermessprogramm in Österreich
Seit mehr als hundert Jahren werden im Rahmen des Gletschermessprogrammes des Österreichischen Alpenvereins zirka 100 Alpengletscher beobachtet und die Längenänderungen gemessen. Universitätsinstitute führen auch Massenbilanzmessungen durch. Die Glaziologen graben Schächte, um die jährlichen Schneeablagerungen zu ermitteln, und bestimmen die Eisabschmelzung. Sie rechnen in "Haushaltsjahren" des Gletschers: die jährlichen Winterniederschläge werden auf der "Haben-Seite" verbucht, der natürliche Abschmelzprozess während des Sommers auf der "Soll-Seite". Im Herbst, bevor der erste Schnee liegen bleibt, wird eine Bilanz gezogen.
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Gletscher-Weblog in science.ORF.at
Wie in den vier Jahrzehnten zuvor wird Heinz Slupetzky im heurigen Sommer das "Schicksal" von Pasterze, Obersulzbachkees sowie des Sonnblickkeeses bei der Rudolfshütte in den Hohen Tauern verfolgen - und er wird erstmals die Veränderungen der Gletscher im Internet dokumentieren:

Für science.ORF.at wird er in regelmäßigen Abständen direkt von den "Gletscher-Außenstellen" berichten und eine Einschätzung der Lage abgeben. Im September wird der Gletscherforscher die Bilanz ziehen.
Unsicherheitsfaktor Witterung
Alles wird von der Witterung von Juli bis September abhängen: Wenn es im Sommer nur wenige Kaltlufteinbrüche gibt, bringt das dem Gebirge kaum Neuschnee. Und wenn das Gletschereis nicht von Neuschnee bedeckt wird, ist es nicht mehr vor der Sonneneinstrahlung geschützt.

Wenn auch der September schön wird und die Gletscher "aper", also ohne schützende Schneedecke bleiben, wird das blanke Eis weiter abschmelzen. Der "worst case": auch der Oktober wird noch warm - dann würde 2003 auf jeden Fall ein "Katastrophenjahr" für die Alpengletscher sein.

Renate Pliem, Ö1-Wissenschaft
->   Gletscher- und Hochgebirgsforschungsstelle im Alpinzentrum Rudolfshütte
->   Institut für Geographie der Universität Salzburg
 
 
 
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01.01.2010