News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Leben 
 
Satzzeichen in der Sprache des Gehirns entdeckt  
  Dass dem Denken und Handeln fein abgestimmte Prozesse im Gehirn zugrunde liegen, ist eine der Grundannahmen der Neurobiologie. Die Details dieser Vorgänge sind aber noch keineswegs restlos erforscht - und bergen daher noch einige Überraschungen. Zwei amerikanische Forscher haben nun in diesem Zusammenhang eine bedeutende Entdeckung gemacht: Sie fanden Signale, die man als Satzzeichen in der Sprache der Nervenzellen bezeichnen könnte.  
Wie Naostaka Fuji und Ann M. Graybiel vom Hirnforschungszentrum des MIT berichten, senden gewisse Neuronen in der Großhirnrinde von Affen Signale aus, die das Ende von erlernten Bewegungen markieren. Die Autoren vermuten, dass hinter solchen Sequenzmarkierungen ein allgemeines biologisches Prinzip stecken könnte.
...
Der Artikel "Representation of Action Sequence Boundaries by Macaque Prefrontal Cortical Neurons," von N. Fujii und A. M. Graybiel erschien in "Science" (Band 301, S. 1246-9, Ausgabe vom 29.9.03).
->   Science
...
Botschaften brauchen Anfang und Ende
Botschaften, mit denen Informationen transportiert werden, können auf vielerlei Arten realisiert werden. Sei es durch Stromsignale in Mikroprozessoren, elektromagnetische Wellen oder durch Schriftzeichen auf einem Blatt Papier.

Gemeinsam ist diesen Botschaften, dass ihr Beginn und Ende irgendwie angezeigt werden müssen. Bei unserer Schriftsprache ist diese Funktion so alltäglich, dass sie uns bisweilen gar nicht mehr bewusst wird.

Sätze beginnen für gewöhnlich mit einem Großbuchstaben und enden mit einem Punkt und einem Leerzeichen. Dass das den Lesefluss sehr fördert, ist evident - Start- und Stopp-Signale sind also vor allem aus Gründen der Ökonomie und der Eindeutigkeit geboten.
Biologische Information: Beispiel genetischer Code
Auch im Bereich des Lebendigen spielt das Ökonomieprinzip eine tragende Rolle. Daher verwundert es nicht, dass man in biologischen Systemen Markierungen für Beginn und Ende von informationstragenden Sequenzen findet.

Ein bekanntes Beispiel ist etwa der genetische Code: Das genetische Alphabet besteht aus den vier Buchstaben A, G, U und C. Jeweils eine Dreierkombination dieser Buchstaben wird in der Zelle in eine Aminosäure übersetzt.

Vier der 64 möglichen Buchstaben-Kombinationen haben eine besondere Aufgabe: Das Triplett AUG steht für den Beginn einer codierenden Sequenz, die Tripletts UAA, UAG und UGA markieren deren Ende.
->   Mehr zum genetischen Code (Wikipedia)
Neuronen: Aktionspotenzial als kleinste Informationseinheit
Auch bei Nervenzellen - die ja schließlich auf die Informationsvermittlung spezialisiert sind - könnte es ähnliche Muster geben. Die kleinste Informationseinheit der neuronalen Verständigung kennt man bereits:

Nervenzellen können die Spannungsdifferenz zwischen Innen- und Außenmilieu sprunghaft ändern. Ergebnis ist das so genannte Aktionspotenzial, das in etwa der 1 im binären Code von Computern entspricht.

Mit einem wichtigen Unterschied: Computer bedienen sich eines strikt diskreten Codes, Nervenzellen können ihre Entladungsfrequenzen kontinuierlich verändern.
->   Mehr zu Aktionspotenzialen (Uni Bremen)
...
Verhalten besteht aus Bewegungsmodulen
Über die Codierungsformen auf höheren Verarbeitungsebenen des Gehirns war bis dato noch relativ wenig bekannt. Intuitiv würde man auch hier die Existenz von neuronalen Markierungen erwarten. Tatsache ist, dass sich das Verhalten von Tieren aus einer Reihe von erlernten und automatisierten Bewegungsformen zusammensetzt, die in eine strenge zeitliche Reihenfolge gebracht werden müssen.
...
Makkaken trainierten Augenbewegungen
Naostaka Fuji und Ann M. Graybiel untersuchten daher einen Abschnitt in der vorderen Großhirnrinde von Makkaken (der so genannte "präfrontale Cortex"), der sich genau mit dieser Aufgabe befasst.

Die Affen wurden darauf trainiert, durch Lichtsignale gesteuerte Augenbewegungen zu vollführen. Fujii und Graybiel maßen daraufhin die Aktivitäten der Nervenzellen im Hirnzentrum ihrer Wahl.
->   Mehr zum präfrontalen Cortex (Uni Graz)
Unbekanntes Signal ...
Bild: Science
Die Aktvitätsspitzen der Neurone und das anschließende Extra-Signal (Pfeil).
Zunächst zeigte sich, dass die untersuchten Neuronen pro Augenbewegung mit je einem Aktivitätsanstieg reagierten. Auffällig war, dass 270 bis 280 Millisekunden nach den Tests ein zusätzliches Signal im Gehirn der Makkaken erschien.

Die amerikanischen Hirnforscher untersuchten daraufhin eine Reihe von Hypothesen, die die Herkunft dieses Signals klären sollten.
... markiert Ende von Bewegungen
Die folgenden Experimente ergaben jedoch nur negative Resultate. Wie man den ursprünglichen Versuch auch abänderte, das Extra-Signal trat weiterhin stabil auf. Lediglich eine Variante brachte ein unterschiedliches Ergebnis:

Wurde das letzte Lichtsignal regelmäßig in einer anderen Farbe als die vorhergehenden präsentiert, dann reagierten die Nervenzellen bei dieser Farbe mit einer erhöhten Aktivität. Das folgende Extra-Signal verlor daraufhin an Stärke.
Sequenzmarkierung: Allgemeines biologisches Prinzip?
Fujii und Graybiel interpretieren dies folgendermaßen: "Unsere Ergebnisse legen nahe, dass einige Neuronen im präfrontalen Cortex eindeutige Signale tragen, die das Ende von erlernten Verhaltensweisen markieren."

Mit anderen Worten: Diese Eigensignale sind nichts Anderes als Punkt und Leerzeichen in der Sprache der Nervenzellen. Die beiden Autoren vermuten, dass solche Sequenzmarkierungen ein allgemeines Prinzip der biologischen Informationsverarbeitung widerspiegeln.

Robert Czepel, science.ORF.at
->   MIT, Department of Brain and Cognitive Sciences
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at
->   Brain-Doping: Kreatin stärkt die Muskeln und den Geist
->   Links oder rechts? Wie das Gehirn entscheidet
->   Hirnforschung analysiert Todesnähe-Erfahrungen
->   Links im Hirn: Der Sitz von Chomskys "Universal-Grammatik"
->   Wie entsteht die Welt im Kopf?
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Leben 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010