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Gehirn: Körperliche und seelische Schmerzverarbeitung ähnlich  
  Liebeskummer wird gerne mit dem Terminus "Herzschmerz" umschrieben und tatsächlich klingen sprachliche Formulierungen für seelisches Leid häufig ähnlich wie Beschreibungen von körperlichem Schmerz. Das menschliche Gehirn könnte den Redewendungen nun Recht geben - denn laut einer aktuellen Studie verarbeitet es tatsächlich physische und emotionale Verletzungen auf sehr ähnliche Weise.  
Ein US-Forscherteam um Naomi Eisenberger vom Department of Psychology der University of California in Los Angeles hat mit einem speziellen bildgebenden Verfahren die Gehirnaktivität von Probanden gemessen, die Situationen von "sozialer Zurückweisung" ausgesetzt wurden.

Das Ergebnis: Die Muster im Gehirn ähneln frappierend der neuronalen Aktivität bei körperlichem Schmerzen, hervorgerufen etwa durch Verletzungen.
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Der Artikel "Does Rejection Hurt? An fMRI Study of Social Exclusion" von Naomi I. Eisenberger, Matthew D. Lieberman und Kipling D. Williams ist erschienen in "Science", Bd. 302, Seiten 290-292 (vom 10. Oktober 2003).
->   Der Originalartikel (kostenpflichtig)
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Erhöhte Aktivität in gleicher Gehirnregion
Liebeskummer kann richtig wehtun, wie die meisten Menschen wohl schon einmal erfahren mussten. Ob die sprachliche Nähe zum physischen Leid aber mehr als nur metaphorisch ist, war bislang nicht geklärt.

Naomi Eisenberger und Kollegen haben nun genau diese Verbindung untersucht - und stellten fest: Parallel zu Studienergebnissen über körperliche Schmerzen zeigt sich in den gleichen Gehirnregionen auch eine erhöhte Aktivität bei seelischem Schmerz, in diesem Fall ausgelöst durch soziale Zurückweisung.
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Mit fMRT die Gehirnaktivität überwacht
Die Wissenschaftler verwendeten die so genannte funktionelle Magnetresonanz-Tomographie (zwei Forscher, deren Entdeckungen zur Entwicklung dieser Technik geführt haben, erhielten dafür gerade erste den Medizin-Nobelpreis), um den Blutfluss im Gehirn der Testpersonen zu überwachen. Das Verfahren misst die Sauerstoffversorgung des Hirngewebes und macht auf diese Weise sichtbar, welche Regionen jeweils gerade intensiv arbeiten.
->   Medizin-Nobelpreis 2003 für "Magnetresonanz-Abbildung"
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Virtuelles Ballspiel für den Test
Um eine Situation zu schaffen, in der sich die Probanden sozial ausgegrenzt fühlten, entwickelte das Forscherteam ein virtuelles Ballspiel, genannt "CyberBall":

Jeweils drei Spielfiguren warfen sich dabei auf einem Bildschirm einen Ball zu. Die Probanden wurden in dem Glauben gelassen, hinter den zwei anderen Teilnehmern würden sich reale Personen verbergen - tatsächlich aber spielten sie mit einem computergesteuerten Programm.
"Mitspieler" verweigern Zusammenspiel
 
Bilder: Kipling Williams/ Science

Das Ballspiel in zwei Versionen: Zusammenspiel (links) sowie Ausschluss des durch die Hand im unteren Teil der Bilder symbolisierten dritten Spielers (rechts).

In einer ersten Versuchsrunde wurde den Testpersonen erklärt, sie könnten aufgrund technischer Probleme nicht mitspielen und müssten zuschauen. Im zweiten Teil des Versuchs durften die Spieler schließlich am virtuellen Match teilnehmen - nach kurzer Zeit allerdings spielten ihre virtuellen Mitspieler bzw. das Programm ihnen den Ball nicht mehr zu.

Die emotionale Folge: Die solchermaßen sozial ausgeschlossenen Probanden fühlten sich zurückgewiesen, wie sie auch in Befragungen angaben.
"Neuronales Alarmsystem" bei beiden Schmerzarten
Bild: Science
Das fMRT-Bild zeigt Aktivität im ACC
Im Blickpunkt der Forscher lag währenddessen vor allem ein spezieller Gehirnbereich, der so genannte vordere cinguläre Cortex (ACC). Wie Eisenberger und Kollegen in "Science" berichten, hält man den ACC für eine Art "neuronales Alarmsystem".

Wenig überraschend aktiviere (körperlicher) Schmerz als primitivstes Signal dafür, dass etwas "nicht in Ordnung" ist, den ACC, schreiben die Wissenschaftler.

Ähnlich deutlich war die Wirkung der sozialen Ausgrenzung auf den ACC, vor allem im zweiten Versuchsteil - als die Probanden glauben mussten, bewusst ausgeschlossen zu werden - war die Gehirnregion aktiv. Je stärker das Gefühl der Zurückweisung, desto höher die Aktivität im ACC.
"Gemeinsame neuroanatomische Basis"
Die gefunden Aktivationsmuster seinen sehr ähnlich zu denen, die bei Studien zu körperlichem Schmerz beobachtet wurden, so die Forscher. Und damit "liefern sie Hinweise dafür, dass die Erfahrung und Regulierung von sozialem und physischem Schmerz eine gemeinsame neuroanatomische Basis teilen."
Zweiter Gehirnbereicht mildert den Schmerz
Bild: Science
Es gibt allerdings auch einen Mechanismus, der diesem emotionalen Schmerzgefühl gegensteuert. Während der zweiten Runde - als die Probanden glauben mussten, ganz gezielt von ihren Mitspielern ignoriert zu werden - zeigte sich eine weitere Gehirnregion besonders aktiv.

Diese Signale aus dem rechten präfrontalen Cortex regulieren nach Meinung der Forscher die Aktivität des ACC - und mildern vermutlich das Gefühl des Ausgeschlossenseins ab, spekulieren die Wissenschaftler.
Ursache im Überleben der Art?
Den Grund für die Parallele zwischen seelischer und körperlicher Schmerzverarbeitung vermuten die Forscher in der Sorge um das Überleben der Art. Denn gerade für Säugetiere sei der soziale Zusammenhalt hierbei enorm wichtig. So verweisen sie etwa auch auf eine Studie, derzufolge der ACC bei Müttern aktiv wird, wenn ihre Säuglinge schreien.

Mit anderen Worten: Damit der Fortbestand der Art gesichert wird, könnte das körpereigene Alarmsystem im Falle gefährdeter sozialer Beziehungen auf die Schmerzverarbeitungen zurückgegriffen haben - damit wir rechtzeitig und spürbar gewarnt werden.

Sabine Aßmann, science.ORF.at
->   Social Cognitive Neuroscience Laboratory der UCLA
->   Mehr zum Stichwort Schmerz in science.ORF.at
 
 
 
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01.01.2010