News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Leben 
 
Bioinvasion: Schlingpflanze überwuchert Amerika  
  Kudzu, ein aus Asien eingeschleppter Bioinvasor, droht den Süden der USA unaufhaltsam zu erobern. Eine Fläche von rund 30.000 Quadratkilometern - ungefähr ein Drittel der Fläche Österreichs - soll die Schlingpflanze bereits überwuchert haben. Das grüne Blättermeer verschluckt Autos und Häuser. Für die Bekämpfung werden Unsummen ausgegeben.  

Der "Tod" kommt als dichte grüne Decke. Das Blättermeer verschluckt Häuser und Autos. Fremdartige Vorhänge verhüllen Waldränder und Abhänge: Kudzu, eine aus Asien eingeschleppte Schlingpflanze, überwuchert Bäume und Sträucher, raubt ihnen das Licht und lässt deren Äste unter ihrem Gewicht brechen.

Viele Amerikaner stört Kudzu erst, wenn sich die grünen Pflanzen im Winter in ein hässliches graues Leichentuch verwandeln. Doch Biologen und Forstwirte machen sich mittlerweile ernsthafte Sorgen.

"Kudzu kann eine Gegend komplett ruinieren", sagt James Miller von der Forschungsstation Süd der amerikanischen Forstbehörde USFS in Auburn (US-Staat Alabama). Geschätzte drei Millionen Hektar soll die Ranke bereits überwuchert haben.
...
Pflanzliche Invasoren
Pflanzen, die aus fremden Ländern einwandern, können eine echte Bedrohung für Ökosysteme darstellen. Denn die Invasoren sind bisweilen so "erfolgreich", dass ihre Vermehrung epidemische Ausmaße annimmt.

Kudzu ist da kein Einzelfall, ein weiteres Beispiel für einen erfolgreichen Eindringling ist die Flockenblume Centaurea maculosa. Sie wurde Anfang des 20. Jahrhunderts von Osteuropa nach Nordamerika eingeschleppt und hat dort bereits Millionen Hektar Weideland in Besitz genommen. Diese aggressive Invasion ist nicht nur durch das Fehlen "alter Feinde" wie Parasiten möglich, sondern vor allem auf die "chemischen Waffen" der Pflanze zurückzuführen.
->   Mehr dazu: Erfolgreiche Invasion dank "chemischer Waffen" (5.9.03)
...
Kudzu bedroht nicht nur die biologische Vielfalt

Für Forstwirte bedeutet Kudzu oftmals den Totalverlust. "Kudzu-Kontrolle kostet über fünf Jahre hinweg insgesamt 2.500 Dollar pro Hektar", rechnet Coleman Dangerfield vom Forstwirtschaftslehrstuhl der Universität von Georgia vor. "Ein durchschnittlicher Bestand von 25-jährigen Kiefern hat aber nur einen Wert von etwa 1.600 Dollar."

"Kudzu killt die biologische Vielfalt und bedroht heimische Arten", sorgt sich Joyce Bender von der Naturreservat-Kommission in Kentucky. "Zudem sind Kudzu-Flächen nicht gerade attraktiv für Besucher von Nationalparks und -wäldern." Auch Energieversorger hassen das Kraut: "Wir geben 250.000 Dollar jährlich aus, um die Schlingpflanze zu bekämpfen", sagt Amoi Geter vom Stromerzeuger Georgia Power.

Insgesamt muss die Branche nach Expertenschätzung 1,5 Millionen Dollar (1,25 Millionen Euro) jährlich für die Kudzu-Kontrolle bezahlen.
Anpassung an das fremde Ökosystem
"Kudzu kann bis zu einen Meter in drei Tagen wachsen", sagt Forstökologe Miller, "dies macht die Kudzu-Bekämpfung nicht gerade leichter."

Vor kurzem machten Biologen zudem eine beunruhigende Erfahrung: Anders als noch vor Jahren verschmähen Insekten die fremde Pflanze nicht mehr. Sie bestäuben die Blüte, Samen entstehen. Der vernichtende Feldzug der Pflanze Richtung Norden und Westen der USA habe dadurch eine neue Dimension erhalten, sagt Bender.
Die Pflanze war nicht immer unbeliebt
Bei der Weltausstellung in Philadelphia 1876 erregte Kudzu als exotisches Ziergewächs Aufsehen. Schon bald spross die Kletterwurz mit den angenehm duftenden Blüten an zahllosen Veranden und Balkons empor.

Zwei Entdeckungen erwiesen sich als fatal: Rinder und Schafe mögen Kudzu, und die Pflanze lässt sich zur Erosionskontrolle im Straßenbau einsetzen. "Von 1935 bis 1941 wurden 73 Millionen Kudzu-Setzlinge innerhalb der USA verschickt", sagt Miller. "Der Staat zahlte Landbesitzern 20 Dollar pro Hektar, wenn sie Kudzu anbauten."
...
Positive Seiten von Kudzu
Kudzu wird in der traditionellen sino-japanischen Pflanzenheilkunde - auch Campo-Medizin genannt - seit Jahrtausenden verwendet. Man kennt sie auch in China und Korea. Kudzu - mit dem lateinischen Namen Pueraria lobata - ist durch ihre beiden Hauptwirkstoffe interessant. Das sind die Isoflavone Daidzin und Daidzein.

In früheren Zeiten hat man die Blätter und Wurzeln der Pflanze als Tee verwendet, um vom Alkohol loszukommen. Neueste Studien haben bewiesen, dass sich Kudzu noch besser dazu eignet, sich das Rauchen abzugewöhnen. Weitere positive Wirkungen der Heilpflanze: Sie entgiftet den Organismus sehr schnell, senkt zu hohen Blutdruck, aktiviert den Blutfluss und fördert die Durchblutung von Gehirn und Beinen.
...
Auf der Suche nach natürlichen Feinden
Die Bekämpfung der seit den 50er Jahren als Schädling angesehenen Pflanze kostet heute das 25-Fache. Die teueren und umweltschädlichen Pflanzengifte müssen mehrere Jahre lang gesprüht werden, um zu wirken.

Biologische Mittel - etwa eine Blattwespenart und eine Pilzart aus Asien - sind erst in der Testphase und kommen frühestens in fünf bis zehn Jahren auf den Markt. "Wir müssen erst absolut sicher sein, dass sie nichts anderes befallen, bevor wir überhaupt mit Freilandversuchen starten können", sagt die Biologin Kerry O. Britton. Ihr Team erforschte jahrelang im Auftrag der Agrarbehörde USDA die natürlichen Feinde Kudzus in Asien.
Schafe als Bekämpfungs-Alternative
Eine weitaus unbedenklichere - wenn auch bisher wenig beachtete - Methode hat das Unternehmen Bellwether Solutions mit Sitz in New Hampshire entwickelt: Schafe.

"Wir stellen einfach 500 Schafe auf einen Hektar Kudzu, die fressen alles auf und zertreten die Stängel", sagt Firmenchef Dick Henry. Damit lassen sich punktuelle Erfolge im Kampf gegen Kudzu erzielen. "Auf die Beweidungsintervalle kommt es an: Die Pflanze muss erneut abgefressen werden, bevor sie Kraft in die Knollen stecken kann."

Arno Schütze, dpa
science.ORF.at
->   USDA - Forest Service
->   The Amazing Story of Kudzu (University of Alabama)
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   Invasoren im Tier- und Pflanzenreich (18.2.02)
->   Global-Strategie gegen fremde Tier- und Pflanzenarten (11.7.01)
->   Artenvielfalt kontra Invasion (23.5.01)
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Leben 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010