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Protein als Schlüssel-Element des Atmungsgedächtnisses  
  Alle paar Sekunden atmet der Mensch ein und aus. Dieser lebenswichtige Vorgang funktioniert meist völlig unbewusst, doch es gibt Störungen, die mitunter sogar lebensbedrohlich werden können. Ursache könnte ein nicht korrekt funktionierendes "Atmungsgedächtnis" des Körpers sein, meinen nun US-Forscher - und präsentieren zugleich einen neuen möglichen Therapieansatz: das Protein BDNF, welches bei den diversen Lernprozessen des Atmungssystems offenbar eine Schlüsselrolle einnimmt.  
Die Wissenschaftler vom Center for Neuroscience der University of Wisconsin in Madison haben sich bei Ratten angesehen, was passiert, wenn das Atmungssystem - etwa durch Sauerstoffmangel - unter Stress gerät. Ihre Ergebnisse erscheinen im Fachjournal "Nature Neuroscience".
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Der Artikel "BDNF is necessary and sufficient for spinal respiratory plasticity following intermittent hypoxia" ist am 14. Dezember 2003 als Online-Vorabpublikation erschienen und wird in der kommenden Ausgabe von "Nature Neuroscience" abgedruckt (doi:10.1038/nn1166).
->   Abstract des Artikels
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Lebensnotwendige Atmung
Die Atmung ist für jeden tierischen oder pflanzlichen Organismus absolut lebensnotwendig. Bei diesem Vorgang wird molekularer Sauerstoff vom Körper aufgenommen und schließlich zwecks Energiegewinnung oxidiert.

Für den Menschen heißt das vor allem: Alle paar Sekunden wird ein- und anschließend ausgeatmet.
Erkältungen und Co stören die Routine
Doch diese Routine kann auch durch äußere Einflüsse unterbrochen werden: Beispielsweise sinkt der Sauerstoff-Anteil in der Luft oder die Atemwege sind dank einer Erkältung blockiert. Kein Problem für das körpereigene System: Es reagiert flexibel auf diese Probleme - und passt die Atmung den Umständen an.
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Beispiel Sauerstoffmangel: Signalkette für tiefere Atemzüge
Im Fall von Sauerstoffmangel etwa senden die Nervenzellen im Gehirn Signale zu den Nervenzellen entlang der Wirbelsäule, welche wiederum bestimmte Muskelzellen, die an der Atmung beteiligt sind, zum "härteren Arbeiten" anregen. Als Ergebnis würde ein Mensch beispielsweise tiefere Atemzüge machen und somit den Sauerstoffmangel ausgleichen. All dies geschieht im Wesentlichen, ohne dass jenen Prozessen allzu viele Gedanken geschenkt würden. Man atmet eben - selbst in solchen Situationen - automatisch "richtig".
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Atmungsgedächtnis erinnert sich an Störungen
Treten aber Unterbrechungen der normalen Atemtätigkeit häufiger oder regelmäßig auf, so hilft dem respiratorischen System vor allem auch das eigene "Gedächtnis". Es erinnert sich an die Unterbrechungen - und reagiert in Zukunft energischer bei erneuter Störung.

Wissenschaftlern ist diese Flexibilität unter dem Begriff "Neuroplastizität" bekannt - die neuronalen Verbindungen im Gehirn sind demnach nicht starr fixiert, sondern können durch bestimmte Umstände - beispielsweise Lernprozesse - Veränderungen unterliegen.
Erkrankungen und Verletzungen stören Gedächtnis
Doch die Medizin kennt diverse Verletzungen oder Erkrankungen, bei denen jenes Atmungsgedächtnis möglicherweise gestört ist, wie die US-Forscher um Tracy Baker-Herman meinen.

Bei der so genannten Schlafapnoe beispielsweise treten wiederholt im Schlaf Atemstillstände auf, die bis zu zwei Minuten dauern können. Eine Unterversorgung des Körpers mit Sauerstoff ist die Folge, langfristig können sich Herz-Kreislauferkrankungen oder gehirnorganische Veränderungen entwickeln.
->   Mehr zur gefährlichen Schlafapnoe (5.12.03)
Versuche an Ratten bestätigen Theorie
Das Forscherteam untersuchte also die Mechanismen hinter den Veränderungen des Atemvorgangs. Ihr Modell der Wahl: Ratten.

Zunächst wurden die Tiere in drei Intervallen einer verminderten Sauerstoffversorgung ausgesetzt. Etwa eine Stunde später zeichneten die Wissenschaftler das Aktivitätsniveau eines mit der Atmung in Zusammenhang stehenden Nervs auf.

Würden sich erhöhte Aktivitätsmuster zeigen, so wäre dies ein Hinweis auf den entsprechenden Lernvorgang des Atmungssystems, meinten die Forscher. Und tatsächlich lag jenes Niveau in dem untersuchten Nerv um etwa 80 Prozent höher als vor den Versuchen.
"Verursacher" des Lernprozesses: Protein BDNF
Diese Verbindung nahmen die Forscher nun noch genauer unter die Lupe: Sie suchten nach dem "Verursacher" dieser Erinnerung. Dafür wurden Abschnitte der Wirbelsäule der Ratten analysiert, nachdem diese entweder normalen oder niedrigen Sauerstoff-Mengen ausgesetzt worden waren.

Und tatsächlich: Im untersuchten Nerv fanden sich nach Sauerstoffmangel um 56 Prozent erhöhte Konzentrationen eines bestimmten Proteins: BDNF (brain derived neutrophic factor) war zuvor schon bekannt - es unterstützt und stimuliert die neurale Funktion im Gehirn.

Weitere Tests bestätigten die Ergebnisse: Das Protein stimuliert demnach das "Gedächtnis" des Atmungssystems und spielt eine wichtige Rolle bei dessen Reaktion auf Unterbrechungen oder Störungen der Atemtätigkeit.
Möglicher Therapieansatz gegen Atemstörungen
Die Wissenschaftler warnen zwar vor verfrühten Hoffnungen, denn bis zur Entwicklung eines spezifischen Medikaments werde noch lange Zeit vergehen. Doch für mögliche Therapien gegen Atemstörungen - darunter etwa auch das bei Eltern gefürchtete Syndrom des Plötzlichen Kindstodes - steht mit BDNF dennoch ein neuer Ansatz bereit.
->   Center for Neuroscience der University of Wisconsin
Mehr zur Atmung in science.ORF.at:
->   Auch Insekten haben ein aktives Atemsystem (23.1.03)
->   Forscher: Lungenkrankheiten werden weltweit zunehmen (4.9.01)
 
 
 
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01.01.2010