Host-Info
Frank Rattay
Gesellschaft für Biomedical Engineering,
Technische Universität Wien
 
ORF ON Science :  Frank Rattay :  Technologie .  Leben .  Medizin und Gesundheit 
 
Hoffnung für Blinde: Elektronische Sehhilfe in Aussicht  
  Erblindete Menschen erlangen visuelle Wahrnehmungen mit ersten permanent eingesetzten elektrischen Netzhautstimulatoren. Nach zehn Entwicklungsjahren könnte nun bald ein Chip zur Verfügung stehen, um die Aufgabe degenerierter optischer Rezeptorzellen zu übernehmen.  
Taub oder Blind: Stimulationstechnik wird modifiziert
Die Methode mittels Cochleaimplantaten künstlich Nervenimpulsmuster zu generieren - für Gehörlose bereits klinische Routine - soll nun auf Blinde übertragen werden.

Der Ausfall auditorischer Rezeptorzellen wird durch die elektrische Stimulation der Fasern des Hörnerven überbrückt, sodass durch diese Funktionelle Elektrische Nervenstimulation viele Cochlea Implantatträger ein etwa 90-prozentiges Sprachverständnis erreichen.
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Komplexe Signalverarbeitung
Allerdings ist die Nerveninformation bei der Bildwahrnehmung viel komplexer und erfordert anspruchsvollste Spitzentechnologie: Mit einer Million Fasern braucht der menschliche optische Nerv etwa 30 mal so viele Datenleitungen zum Sehen als beim Hören. Dabei erfolgt schon in der Netzhaut des Auges eine neuronale Signalvorverarbeitung zur Kompression der Eingangsdaten von den 100 Millionen visuellen Rezeptoren (Stäbchen und Zäpfchen).
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Nervenstimulation erzeugt bildhafte Ersatzsignale
Unterschiedliche Konzepte werden verfolgt, um - der Art der Erblindung entsprechend - durch elektrische Nervenstimulation bildhafte Ersatzsignale zu erzeugen. Je nach Ort der Schädigung generiert ein Elektrodenensemble künstlich Nervensignale in den Ganglionzellen der Retina, in den Fasern des optischen Nerven oder in den Nervenzellen des visuellen Cortex.

Zur Einspeisung eines Nervenmusters, das die natürliche Bildübertragung annähert, eignet sich am besten eine miniaturisierte Elektrodenmatrix in engem Kontakt mit den Nervenzellen der Netzhaut.
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Strom geht auf die Nerven - Historisches
Galvani und Volta weckten Phantasien durch die unglaublichen experimentellen Befunde mit halbierten toten Fröschen, die bei Elektrostimulation das Bein heben. Zeitgenössisches Wissen, gepaart mit dichterischer Vorstellungskraft, macht seit 1818 manchen Leser von "Frankenstein, or the modern Prometheus" die elektrische Reanimation Toter glaubhaft. Seit 1790 berichtet Volta auch über durch Strom hervorgerufene Sinneswahrnehmungen beim Schmecken, Hören und Sehen.

1968 versuchte Brindley, die von einem über dem visuellen Cortex aufgelegten Elektrodennetz erzeugten aufblitzenden Bildpunkte als Elemente der Blindenschrift zu nützen. Bei gleichen Stimulationsmustern gab es aber unterschiedliche Wahrnehmungen, so dass diese Methode nicht als Lesehilfe und auch nicht zur groben Bilderkennung genutzt werden konnte.

Neben den zur selben Zeit entwickelten Cochleaimplantaten sind Herzschrittmacher, Muskelstimulatoren bei Querschnittpatienten, Blasensteuerung, oder Tiefhirnstimulatoren bei Parkinson Beispiele des erfolgreichen Einsatzes elektrischer Nervenstimulation in der Medizin.
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Mit Vollgas in die Implantatsentwicklung
Nach zehn Jahren Vorarbeit in den USA, Deutschland und Japan beginnt nun mit beachtlich vergrößertem Forschungseinsatz ein Wettrennen der Produktentwicklung für zehn Millionen potentielle blinden Kunden.

Einen Indikator des Forschungsaufwandes liefert die größte einschlägige ARVO (Association for Research in Vision and Ophthalmology) Fachtagung in Florida: der Sprung von acht Retina-Implantat Präsentationen in 2001 auf 44 im Mai 2002 reflektiert auch die Vielfalt der involvierten Fragestellungen, von der bidirektionalen Telemetrie für Retina Prothesen, Ionenströmen in den Membranen verschiedener Retinazelltypen, Neurotransmitter Modulation der Retina Funktion, bis zu Sicherheitsfragen für den Patienten.
Ein Meilenstein wurde erreicht
An der Keck School of Medicine, University of Southern California, wurde von Mark Humayun am 19.2.2002 dem ersten retinitis pigmentosa Patienten ein vier mal fünf mm großes 16 Elektroden Implantat permanent auf der Netzhaut befestigt.

Die technische Entwicklung wurde von Robert Greenberg von 'Second Sight' geleitet. Aufbauend auf den Seh-Erfahrungen mit 17 Patienten mit externer Elektronik wird dieses erste dauerhaft eingesetzte Implantat als Meilenstein des Fortschritts gefeiert.
Erfolgreiche Implantationen
Neben dieser so genannten epiretinalen Ausführung werden subretinale Prothesen entwickelt, die die Nervenzellen im Auge von der anderen Seite her stimulieren. Hier ist die Technik noch weiter fortgeschritten.

5.000 winzigste Licht-Kollektoren versorgen nach dem Prinzip der Solartechnologie individuell jeweils eine Elektrode - und das alles auf einem stecknadelkopfgroßen Plättchen. In einer Pilot-Studie wurde der neue Chip von den Brüdern Alan and Vincent Chow entwickelt und bereits bei sechs Patienten erfolgreich implantiert.
Bild - Neurocode - Wahrnehmung
Wie sollen die Stimulationsimpulse zeitlich und örtlich verteilt werden um gute Bildeindrücke zu vermitteln? Computersimulationen der neuralen Erregungsvorgänge, wie sie auch an der TU Wien durchgeführt werden, um die erzeugten Nervenmuster für beliebige Elektrodenkonfigurationen vorherzusagen, sind das Schlüsselelement zur Entwicklung der nächsten Gerätegeneration.
->   Artikel in CNN: Bionic eye sees clearer future
->   ARVO -Association for Research in Vision and Ophtalmology
->   TU Wien
 
 
 
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