Host-Info
Franz Seifert
Freier Sozialwissenschaftler in Wien
 
ORF ON Science :  Franz Seifert :  Leben .  Wissen und Bildung 
 
Stammzellen: Warum die Tabus fallen müssen  
  Die Aussicht auf medizinische Durchbrüche mittels neuer Biotechnologien wird die Tabuzone der "menschlichen Natur" unweigerlich zurückdrängen.  
Das Tabu des geklonten Menschen
Als im Frühjahr 1997 mit dem Schaf Dolly die erste erfolgreiche Klonierung eines Säugetieres aus Körperzellen zum globalen Medienereignis geriet, waren - so ergeben Medienanalysen - die Diskussion von einem ganz anderen Thema beherrscht: der Möglichkeit des geklonten Menschen.

In Europa und den USA reagierte die Politik fast augenblicklich. Bioethik-Kommissionen wurden angewiesen, die ethischen Implikationen zu klären und nach nur wenigen Tagen verhängte Bill Clinton über Forschungsprojekte, die dem Klonen von Menschen dienen könnten, einen Förderungsstopp. In Österreich und Deutschland konnte man hingegen versichern, Anwendungen dieser Art seien verboten, ebenso wie verbrauchende Forschung mit menschlichen Embryonen, oder Eingriffe in die menschlichen Keimbahn.

Selten präsentierten sich die internationale öffentliche Meinung und die Politik in solcher Einhelligkeit: Bis hierher und nicht weiter! Menschen dürften niemals geklont werden.
Das Tabu fällt
Knapp vier Jahre danach hat die Entscheidung des britischen Oberhauses diese Grenze an-nulliert. Mit embryonalen Stammzellen sind, wenngleich unter erheblichen Restriktionen, auch "der Mensch" bzw. - je nach Betrachtungswinkel - dessen Embryonalzellen klonierbar geworden.

Das entscheidene Argument ist medizinischer Art: ungeahnte Möglichkeiten der Transplantationsmedizin, Befreiung von den Geiseln einer alternden Menschheit - Herz-Kreislauf- und neurodegenerative Erkrankungen. Das Tabu, das noch vor wenigen Jahren von aller Welt so dramatisch bestätigt wurde, ist gebrochen. Das medizinische Argument hat gesiegt.
Ein alter Grenzkonflikt
Auch wenn es "News" macht - das gegenwärtige Geschehen ist nichts Neues (oder gar ein "Paradigmenwechsel", wie manche behaupten) sondern steht in einer langen Reihe gleichartiger Diskussionen, wie sie etwa um Abtreibung, Organtransplantation, künstliche Organe, künstliche Befruchtung oder die somatische Gentherapie entbrannten.

Stets wandten sich dabei die Verteidiger einer unantastbaren "menschlichen Natur" gegen neue Optionen medizinisch-biologischer Technologien, suchten diese Natur vor deren technischer Verfügbarmachung zu bewahren, suchten in dem Maß, wie die menschliche Natur durch die moderne Biologie disponibel gemacht wurde, neue, nun aber endgültige Grenzen um die gefährdete Tabuzone zu ziehen. Wie wir wissen, hat keine dieser Diskussionen die Technologie gestoppt.
Pluralismus
Die Gründe für diesen Siegeszug der Technologie müssen wir nicht in den durchsetzungsfähigeren Interessen ihrer Betreiber suchen. Vielmehr haben sich andere Werte durchgesetzt als jener einer "heiligen" menschlichen Natur. Das Recht auf individuelle Selbstbestimmung und - mehr noch - das Recht auf Gesundheit haben sich als überzeugender erwiesen.

In säkularen, pluralistischen Gesellschaften wie den unseren kann dies auch nicht überraschen. Überraschen würde eher das Gegenteil. Diese Gesellschaften verfügen weder über eine einheitliche Ethik noch über gegebene Grenzen des Zulässigen, die von Ethikern "gekannt" werden könnten. Dagegen ist Gesundheit sowohl im Verständnis der breiten Bevölkerung als auch auf Verfassungsrang als elementarer Wert anerkannt.
Der Streit wird fortdauern
Es mag zwar sein, daß die Aussicht mittels Stammzellen-Klonierung tatsächlich die versprochenen therapeutischen Erfolge zu erzielen, ungewiß bleibt und alternative Wege denkbar sind. Aber letztlich kann allein die Forschung diese Aussichten einschätzen. Solange sie die Politik zu überzeugen vermag, wird diese wohl der Medizin den Vorzug geben.

Ebenso aber ist abzusehen, daß der Grenzkonflikt um die menschliche Natur - unter intensiver Medienbeobachtung - fortdauern wird. Angesichts der enormen Macht und Mißbrauchbarkeit der Technologie ist dieser Konflikt durchaus wünschenswert. Wenngleich sein langfristiger Sieger bereits feststehen dürfte.
 
 
 
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