Host-Info
Heinz Slupetzky
Fachbereich für Geographie und Geologie der Universität Salzburg
 
ORF ON Science :  Heinz Slupetzky :  Umwelt und Klima 
 
Die "Leidenszeit" der Gletscher ist für heuer vorbei  
  Mit der markanten Wetterumstellung ab dem 4. Oktober, die den ersten Vorgeschmack auf den Winter mit Schneefall bis gegen 800 Meter brachte - auf der Rudolfshütte gab es 55 Zentimeter Neuschnee -, ist auch auf den am tiefsten herabreichenden Gletscherzungen die Abschmelzung zu Ende gegangen.  
In den Nährgebieten haben einzelne geringere Schneefallereignisse vom 31. August bis 24. September schon früher die Ablation beendet. Die Schneefälle haben die Gletscher vor noch größeren Massenverlusten bewahrt.
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Gletscher-Tagebuch in science.ORF.at
Seit Anfang Juli berichtet Heinz Slupetzky für science.ORF.at über den Zustand der österreichischen Gletscher:
Extreme Abschmelzung der Gletscher im Sommer 2003 (1.9.03)
"Hundstage" haben sich drastisch ausgewirkt (11.8.03)
Die Hundstage setzen den Gletschern zu (29.7.03)
Kurze Abschwächung der Gletscherschmelze (21.7.03)
Wie steht es um Österreichs Gletscher? (8.7.03)
Mehr über das Gletscher-Tagebuch in science.ORF.at (3.7.03)
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Stubacher Sonnblickkees: Größter Massenverlust seit 1959
Beim Stubacher Sonnblickkees ist es zu dem erwarteten Rekordverlust gekommen. Die Abschmelzung von ca. 3,8 Mio. Kubikmeter oder gegen drei Meter Dickenverlust auf dem ganzen Gletscher ist damit der größte Massenverlust in einem Einzeljahr der vorliegenden Reihe seit 1959 (bzw. zurückgerechnet bis 1946).

Die Säule des heurigen extremen negativen Haushaltes ist im Diagramm (siehe unten) sehr auffällig. Im Nährgebiet sind Ende September fast keine Altschneeflecken übrig geblieben. Am 13. August wurden die Pasterze, das Stubacher Sonnblickkees und das Ödenwinkelkees mit einem Messflug exakt dokumentiert (Bildflug Fischer Klagenfurt); die starke Ausaperung hatte schon nahezu das Maximum erreicht.
Die Bilanz des Sommers: Rekordverlust
 
Bildflug Fischer Klagenfurt

Das Sonnblickkees aus der Luft: Der Gletscher ist gut ein Kilometer breit. Viele Stellen sind stark verschmutzt und dunkel, die ganz hellen Flecken sind Reste des Winterschnees. Ältere Firnschichten von 1992 bis heute sind wie Jahresringe abzuzählen. Der linke See ist einer, der derzeit neu entsteht, der mittlere besteht sein einigen Jahren, der rechte schon seit 10.000 bis 12.000 Jahren.

Direkte Messungen an den Gletschern, wie die Längenmessungen des Österreichischen Alpenvereins, der Bildflug vom Sonnblickkees und viele weitere Daten der Gletscherforscher müssen erst ausgewertet werden, bevor endgültige Zahlen vorliegen.

Eines steht jedoch fest: Die meisten Gletscher (der Alpen) haben einen Rekordverlust erlitten. Ein solches Ereignis ist selten und kommt vielleicht alle 50 Jahre vor; ob es ein Jahrhundertereignis war, kann nicht sicher gesagt werden: Die Messreihen sind noch zu kurz. Wäre auch der September sehr warm gewesen, hätte es noch schlechter ausgehen können.
Das Gletscherjahr 2003 - "nur" ein statistischer Ausreißer?
 
Grafik: Heinz Slupetzky

Diagramm der jährlichen Massenbilanzschwankungen beim Stubacher Sonnblickkkees; ganz rechts die "Rekordsäule" von 2003.

Ein Jahr wie das heurige wäre nicht so schlimm, würden die Gletscher nicht schon seit über zwei Jahrzehnten aufgrund der vielen warmen, ja heißen Sommer verstärkt an Masse verlieren. Es ist der Summeneffekt, der sie schwinden lässt. So verlor das Sonnblickkees seit 1982 im Schnitt jedes Jahr eine Million Kubikmeter, das macht insgesamt über 21 Millionen Kubikmeter.

Heuer kamen rund vier Millionen dazu, das sind "nur" ca. 15 Prozent.

In der nahen Zukunft würden daher mehrere warme Sommer bei einer weiteren Klimaerwärmung den Gletschern mehr "schaden" als einzelne extreme Jahre. Trotzdem: Von 1964 auf 1965 (vgl. das Diagramm) erfolgte eine plötzliche "Umstellung" auf kühle Sommer. So etwas kann jederzeit wieder geschehen.
Die Gletscher in der Nacheiszeit
Bild: Heinz Slupetzky
Das Stubacher Sonnblickkees neuschneebedeckt: Der nächste Gletscherwinter beginnt.
Vergleicht man den allgemeinen Trend einer ("natürlichen") warmen Klimaphase seit 1850 mit den Schwankungen des Klimas in der Nacheiszeit, so steht für die Gletscherforscher fest: Das hat es in den Alpen seit ca. 12.000 Jahren immer wieder gegeben. Die Gletscher waren mehrmals kleiner als heute, z.B. wuchsen vor 10.200 bis 9.000 Jahren dort, wo heute noch die Pasterzenzunge ist, Zirben.

Und in der mittelalterlichen, in der römerzeitlichen usw. wärmeren Klimaphase waren sie auch klein. Zwischen den Warmphasen war das Klima immer wieder mehrere Jahrhunderte kühler und die Gletscher stießen vor, immer etwa so weit wie um 1850.
Fakten und Interpretation
Der Wissenschaftler versucht, die Fakten wiederzugeben und die Ursachen und Prozessabläufe verständlich zu machen.

Die Interpretation ist eine andere Sache. Die Fakten können als "Beweis" für die Auswirkungen der Verstärkung des Treibhauseffekt durch den Menschen gesehen werden, aber auch so, dass "das alles schon da war" und "die Gletscher halt verschwinden" - so waren auch einige Kommentare zum Tagebuch.
(Vorläufiges) Ende des Gletschertagebuchs
Das Thema ist zu komplex, um in diesem Forum ausdiskutiert zu werden. Es beschäftigt die Menschen aber zu sehr, so dass es als eines der größten Probleme unserer Zeit viele von uns weiter beschäftigen wird - ob als Wissenschaftler oder wir alle als Betroffene.

Ich habe versucht, im Gletscher-Tagebuch in science.ORF das Schicksal der Gletscher im heurigen Sommer zu verfolgen. Schon im Juni bestand der begründete Verdacht, es könnte ein Rekordjahr werden - es kam tatsächlich so.

Das Gletschertagebuch wird damit geschlossen! Es war ein spannender Sommer!
Danke!
->   Das komplette Gletschertagebuch 2003 von Heinz Slupetzky
 
 
 
ORF ON Science :  Heinz Slupetzky :  Umwelt und Klima 
 

 
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