Host-Info
Peter Weinberger
Institut für Technische Elektrochemie und Festkörperchemie, Technische Universität Wien
 
ORF ON Science :  Peter Weinberger :  Wissen und Bildung 
 
Lieber Anton Zeilinger!
Ein Brief
 
  Du kennst sicher den großartigen Briefwechsel zwischen Max Born und Albert Einstein. Nun, wir beide können uns kaum mit diesen beiden messen, aber ein "öffentlicher Briefwechsel" zwischen uns beiden in science.orf.at scheint mir sehr wohl geeignet, das Anliegen dieses speziellen Mediums zu verwirklichen und etwas bunter zu gestalten.  
Erstaunt über den Bericht aus Davos
Um einen Anfang, einen Beginn für so einen "öffentlichen Meinungsaustausch" zu setzen:

Ich war etwas erstaunt über deinen Beitrag zu dem Weltwirtschaftstreffen in Davos, noch mehr überraschte mich die öffentliche Rezeption dazu. (z.B. das Interview in der Tageszeitung "Der Standard", vom 31. Jänner 2001, inkl. der längeren Internet-Version davon).

Nicht immer muss sofort und ausschließlich von der (technischen) Verwertbarkeit der Naturwissenschaften die Rede sein, auch nicht in Davos. So sind Theoretische Physik und Wirtschaftstheorie zum Beispiel durchaus kein Gegensatz.

Nicht zwei sich gegenseitig ausschließende Disziplinen stehen sich hier verständnislos gegenüber: Im anglikanischen Sprachraum gibt es schon längst den Begriff ECOPHYSICS. Ja, selbst eigene Konferenzreihen werden dazu organisiert.

Viele der theoretischen Beschreibungen, die in der Physik wohlbekannt sind, haben Eingang gefunden in die Methoden der Ökonometrie bzw. Finanzmathematik. Hier nur ein paar Beispiele (lobenswerterweise zusammengestellt von meinem Sohn Simon:
...
- Veränderungen im Marktpreis von Aktien werden standardgemäß als Brownsche Bewegungen (Wiener Prozess) modelliert.
- Die "Maximum Entropy Method" dient u.a. als Distanzmaß für Wahrscheinlichkeiten in inkompletten Märkten.
- "Poisson" oder "Jump" Prozesse dienen im Kreditrisikomanagment zur Abbildung von Ausfallwahrscheinlichkeiten
- Die Optionspreistheorie, sowie die Bewertung komplexer Finanzprodukte erfolgt immer wieder mit Methoden zur Lösung von Differentialgleichungen, die der Physik "entlehnt" sind.
...
In die Wallstreet verdampft
Die Schlüsselworte in diesen wenigen Beispielen sind für Physiker sofort erkennbar. Nur um diese "methodischen" Beispiele auch faktisch fortzusetzen: Ein von mir an der New York University betreuter Dissertant ist unmittelbar nach seiner Promotion in die Wallstreet "verdampft"; ein mir sehr lieber Mitarbeiter mit abgeschlossenem Studium der Theoretischen Physik an der ETH Zürich, ein hervorragender Wissenschaftler, hat als Finanzberater und Finanztheoretiker in einer großen Bank eine großartige Karriere innerhalb nur weniger Jahre absolviert.

Lieber Anton! Es geht nicht nur um Photonen, um Teleportation, um die technische Verwertbarkeit von Naturwissenschaften. Es geht auch um gemeinsame formale Beschreibungen, um gemeinsames Wissen, das die (theoretische) Physik mit Wirtschaftstheorie verbindet.

Um Differentialgleichungen und bestimmte Randbedingungen etwa, das Thema von Schrödingers allererster Arbeit aus dem Jahre 1926. Seine später berühmt gewordene Gleichung, aber auch der Rest der vielzitierten Quantenmechanik, bezeichnest Du mit Recht als die Basis moderner Hochtechnologie (sozusagen vom Laser zum Computer).

Ich würde aber glauben, sie und die anderen Methoden der theoretischen Physik liefern noch einiges mehr als eine ausschließliche materielle Verwertbarkeit, so raffiniert sie auch sein mag, nämlich formale Konzepte, die Wirtschaft "beschreibbar" machen.
Österreichische Schrebergärtchen
Vielleicht liegt es an der Kleinheit der österreichischen wissenschaftlichen Schrebergärtchen, in der Physik wie auch in den Wirtschaftswissenschaften, daß ECOPHYSICS als relativ neue Disziplin offensichtlich weitgehend unbekannt ist. Zum Weltwirtschaftstreffen jedoch hätte sie allemal noch gepasst!

In Erwartung Deiner Antwort, die selbstverständlich auch zu einem vollkommen anderen Thema, einem von Dir gewählten Anliegen (Stichwort: Universitätsstruktur & Forschungspolitik) erfolgen kann.

Dein
Peter Weinberger
Mehr dazu in science.orf.at:
->   Anton Zeilinger vom Weltwirtschaftsgipfel in Davos
 
 
 
ORF ON Science :  Peter Weinberger :  Wissen und Bildung 
 

 
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