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Anton Zeilinger
Institut für Experimentalphysik, Universität Wien
 
ORF ON Science :  Anton Zeilinger :  Wissen und Bildung 
 
Lieber Peter Weinberger!  
  Auch mir gefallen die Lexikondefinitionen zum Thema "Weltbild" nicht. Lexika, Duden und diverse Wörterbücher hinken ja schon ihrem Wesen nach immer hinter der Wirklichkeit nach, auf jeden Fall hinter dem Praxisgebrauch. Abgesehen davon, daß ihnen immer wieder die Schulmeisterei aus den Äuglein blinzelt.  
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Dieser Artikel ist die Fortsetzung eines Web-Briefwechsels zwischen Anton Zeilinger und Peter Weinberger, der als offener Gedankenaustausch in science.orf.at angelegt ist. Den letzen Brief von Peter Weinberger finden Sie im unten angeführte Link.
->   Peter Weinberger: Lieber Anton Zeilinger!
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Über Weltbilder
Du meinst, der Ausdruck Weltbild sei etwas zu Idealistisches. Für mich hat Weltbild etwas sehr Individuelles. Jeder Mensch hat da sein eigenes und das ist im Allgemeinen nicht widerspruchsfrei. Gott sei Dank, denn wie fad wäre eine Welt, in der jeder eine wohlbegründete und wohlüberlegte Weltsicht hätte.
Wer zu spät kommt....
Du wirfst die Bedeutung des historischen Kontextes auf. Da gibt es eine triviale Seite und mehrere interessante. Trivialerweise hätte Einstein seine Relativitätstheorie natürlich ein Jahrhundert früher nicht aufstellen können, da zu diesem Zeitpunkt das physikalische Wissen nicht weit genug war, um die Fragen überhaupt richtig formulieren zu können. Und ein Jahrhundert später, also etwa heute, wäre auch Einstein zu spät gekommen.

Interessanter ist da die Frage, auf welchem Untergrund er aufbaut. Welche Strömungen des damaligen Zeitgeistes waren für ihn wichtig? A propos, auch Zeitgeist ist keineswegs homogen und widerspruchsfrei, obwohl das im Nachhinein oft so dargestellt wird.
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Hier haben wir es mit einem Dilemma zu tun. Erstens ist es wohl nur zu vermuten und kaum zu rekonstruieren wie der kreative Prozeß in einem Menschen tatsächlich abläuft. Das weiß man ja nicht einmal selber in den Fällen, wo man selbst mit neuen Ideen beigetragen hat.

Man kann höchstens a posteriori eine Geschichte konstruieren, die Gefahr läuft, lediglich das Irrationale scheinbar, also zum Schein, zu rationalisieren. Denn irrational ist für mich der Prozeß der Ideenfindung. Das Entstehen von etwas grundsätzlich Neuem läßt sich in wesentlichen Zügen nie rational erfassen.
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Erklärungen im Nachhinein
Das Problem liegt in dem, was so treffend das amerikanische Sprichwort sagt: "Hindsight is an exact science". Im Nachhinein kann man Alles scheinbar erklären. Aber dieser Anspruch wäre nur dann gerechtfertigt, wenn man hier ausnahmsweise einmal was im vorhinein erklären, also vorhersagen, könnte. Und das muß ja prinzipiell zum Scheitern verurteilt sein.

Sonst wäre die dabei vorhergesagte neue Idee ja keine neue Idee. Entdeckungen lassen sich nicht vorhersagen. Das wäre ja wirklich beeindruckend, wen die postmodernen Denker, die den Kontext gelegentlich überstrapazieren, einmal einen wissenschaftlichen Durchbruch vorhersagen würden.
Eine Renaissance
Es freut mich sehr, daß Du die Sprache auf die Renaissance bringst. Sie ist ja wirklich eine der faszinierendsten geistigen Epochen der Menschheit. Ich möchte darauf hinweisen, daß es sich hier um eine re-naissance, also eine Wiedergeburt handelt. Die Wiedergeburt des antiken Denkens.
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Für viele gilt ja auch die Anstellung eines Lehrers des Griechischen durch den Hof von Florenz im Jahre 1397 als die Geburtsstunde der Renaissance. Solche Geburtsstunden sind ja auch recht willkürlich, aber etwas ist da schon dran.

Die Zuwendung zum Denken und zur Philosophie der Antike hatte aber schon früher begonnen. Dadurch wurde den Denkansätze der antiken, insbesondere der griechischen Philosophie offenbar eine neue Unmittelbarkeit zuteil, die sie vorher verloren hatten.
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Besinnung auf den Humanismus
Auch heute täte uns so eine re-naissance gut. Der Verlust des Humanistischen ist für mich eine der tragischsten Fehlentwicklungen unseres Bildungssystems. Wenn wir über die Mittelschule reden, wird immer mehr von vordergründiger Nützlichkeit des dort Erlernten gesprochen.

Heute gibt es als Rest des Humanistischen Gymnasiums nur mehr die Wahlmöglichkeit im Allgemeinen zwischen Griechisch und Französisch, wobei für die letztere Sprache in voller Absurdität geworben wird, indem man ihre praktische Anwendbarkeit betont. Als ob es die praktische Anwendung das wichtigste Kriterium für die Schule wäre.
Das Humanistische Gymnasium wieder einführen
Mir kommt das genauso vor, wie die von Dir schon erwähnte und heute viel zu oft gehörte Forderung an die Wissenschaften, etwas praktisch Anwendbares zu liefern. Dazu aber unten mehr.

Wenn ich im Schulsystem nur Eines ändern könnte, dann würde ich das Humanistische Gymnasium wieder einführen und nicht nur als Wahlmöglichkeit, sondern so daß es Schulen gibt an denen es als einziger Schultyp angeboten wird. Es geht hier um die Einbettung unserer Kultur und damit auch des Einzelnen in seine Herkunft und um die Rückkehr zu ihren Wurzeln.
Und die jüdischen Wurzeln
Hierher würde auch ein Rückbesinnen auf die jüdischen Wurzeln unserer geistigen Identität gehören. Diese Wurzeln sind gerade in Wien besonders wichtig, wie ein einfacher Blick auf das geistige Leben insbesondere um 1900 herum zeigt.

Auch hier geschieht an unseren Schulen viel zu wenig, wenn nicht häufig gar nichts. Genauso zuwenig lernen die jungen Menschen darüber, daß Österreich nach der Reformation im Wesentlichen protestantisch war. All dies zu vermitteln ist Aufgabe der Schule, es zu wissen gehört zur eigenen Identität. Es geht in der Schule eben nicht primär um das Erlernen bestimmter Fähigkeiten, sondern zuallererst um die Bildung des Menschen.
Falsches Verständnis von Grundlagenforschung
Die Forderung, auch Grundlagenforschung nach ihrer praktischen Anwendbarkeit zu beurteilen, zeugt eigentlich von einem großen Unverständnis dessen, was Grundlagenforschung ist. Hier geht es um die Erforschung des wirklich Neuen, um Curiosity-Driven Research. Also um diejenige Forschung, bei der die Neugier des Forschenden die primäre Triebfeder ist.
Anwendungen sind nicht vorhersehbar
Bei grundlegend neuem Wissen ist es vom Wesen her nicht vorhersehbar, welche Anwendungen es finden wird. Wenn jemand glaubt, er muß von einem Grundlagenforscher verlangen, schon bei der Zielsetzung seiner Arbeiten die Anwendung im Auge zu haben, versteht die Mechanismen der Grundlagenforschung nicht.

Wohl muß die Grundlagenforschung aber ihr Auge für mögliche Anwendung offen halten, die aber immer nur ein unerwartetes Nebenprodukt sein kann.
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Zum Beispiel: Heinrich Hertz
Es gibt da viele Beispiele aus der Geschichte der Naturwissenschaften. Eines ist Heinrich Hertz, der vor etwa 120 Jahren einen Antrag an die Preußische Akademie der Wissenschaft gestellt hat auf Unterstützung seines Forschungsprojektes zur Messung der Ausbreitung der dielektrischen Verschiebung im Vakuum.

Er erhielt sein Geld, weil, wie es hieß, seine Arbeiten von so grundlegender Bedeutung für die Physik seien, obwohl, wie man damals meinte, es wohl nie zu einer praktischen Anwendung kommen würde. Heute wissen wir, das Heinrich Hertz damals die Radiowellen in seinem Laboratorium entdeckte. Zum Glück wurde sein Antrag damals nicht nach seiner unmittelbaren Anwendbarkeit beurteilt. Er hätte seine Forschungsgelder wohl niemals erhalten, obwohl aus seinen Arbeiten eine Milliardenindustrie entstand. Aber das war damals offenbar wirklich nicht vorherzusehen.
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Und in Österreich?
Was wir in Österreich brauchen, sind viel mehr Möglichkeiten für Wissenschaftler, frei ihren Forschungen nachzugehen. Das kostet nicht viel, erfordert aber eine auch geistige Großzügigkeit, die auch ein Risiko darstellt. Welcher Geldgeber ist schon bereit, einfach Geld zur Verfügung zu stellen ohne ein bestimmtes Ziel zu verfolgen?

Hier ist die einzige Versicherung die Qualität der ausgewählten Personen unabhängig von ihrer Herkunft oder ihrem Alter. Alleine die bisherigen Leistungen dürfen zählen. Nur so kann von den auf diese Weise Geförderten Höchstleistung verlangt und zu Recht auch erwartet werden.
Wichtiger als Großforschungseinrichtungen
Ich bin der Meinung, daß so eine Initiative langfristig für Österreich wichtiger wäre als eine Großforschungseinrichtung. Österreich besitzt sehr viele Talente. Ich bin immer wieder erstaunt, wie viele junge Österreicherinnen und Österreicher ich an vielen ausländischen Universitäten antreffe.

Durch die hier vorgeschlagene Initiative wäre es bei relative vernünftigem finanziellem Aufwand möglich, in mehreren wissenschaftlichen Fächern innerhalb weniger Jahre zur absoluten Weltspitze vorzudringen.
Für künftige Generationen
Allerdings setzt die von mir geforderte Freiheit der Wissenschaft auch voraus, daß die Wissenschaftler selbst in der Lage sind, die Besten zu identifizieren und primär zu fördern. Aber ich denke, man sollte es einmal versuchen. Schon im Interesse der nächsten Generation an Wissenschaftlern. Es gibt sehr viele hervorragende junge Leute an unseren Universitäten, denen man unbedingt eine Chance geben muß.

Darüber sollten wir uns mehr unterhalten und ich bin schon auf Deine Antwort neugierig.

Herzlich
Dein
Anton
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Die vorangegangenen Briefe finden Sie unter den unter den folgenden, chronologisch aufgelisteten Links:
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->   Peter Weinberger 1
->   Anton Zeilinger 1
->   Peter Weinberger 2
->   Anton Zeilinger 2
->   Peter Weinberger 3
 
 
 
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