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Östrogen-Chemikalien in Plastik verformen Prostata  
  Wenn werdende Mütter eine in Plastikverpackungen enthaltene Chemikalie zu sich nehmen, kann sich das laut einer aktuellen Studie negativ auf ihre männliche Nachkommen auswirken. Bisphenol A wirkt ähnlich wie Östrogen und führte im Tierversuch zu Missbildungen von Prostata und Harnweg. Die US-Forscher nehmen an, dass die Auswirkungen zwischen Mäusen und Menschen vergleichbar sind.  
Auch Substanz in der "Pille" schädigt die Prostata
Nachdem bei Erhitzung oder Zerkratzen der Oberfläche hohe Dosen von Bisphenol A in Lebensmittel übergehen können, fordern die Mediziner der University of South Dakota, eine Gesundheitsgefährung zu prüfen.

Neben Bisphenol A analysierten sie auch die Auswirkungen, wenn schwangere Mäuse weiterhin Ethinylestradiol zu sich nahmen - eine Substanz, die häufig in der "Pille" zu finden ist.

Auch in diesem Fall kam es zu Deformationen des Prostatabereichs, heißt es in der Studie. Und auch dieses Ergebnis sei für Menschen relevant, schließlich komme immer wieder vor, dass Frauen aus Unkenntnis der bereits bestehenden Schwangerschaft in den ersten Wochen die "Pille" einnehmen.
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Die Studie "Estrogenic chemicals in plastic and oral contraceptives disrupt development of the fetal mouse prostate and urethra" von Barry G. Timms und Kollegen erscheint zwischen 2. und 6. Mai 2005 in den "Proceedings of the National Academy of Sciences" erschienen (S. 7014-7019, DOI:10.1073/pnas.0502544102).
->   Studie nach Erscheinen online
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Gesundheitsschädigende Wirkung
Dass in der Schwangerschaft eingenommene östrogen-ähnliche Stoffe sich negativ auf die Entwicklung des Fötus auswirken, ist seit den 1960er Jahren am Beispiel von Diethylstilbestrol bekannt. Diese Substand wurde ab 1938 über 30 Jahre lang schwangeren Frauen verschrieben, bei denen die Gefahr diagnostiziert wurde, dass sie ihr Kind verlieren könnten.

Schon in den 1950er wurden erste Studien veröffentlicht, die den gewünschten Effekt nicht belegen konnten, dafür aber auf Missbildungen bei weiblichen und männlichen Babys sowie ein höheres Krebsrisiko im Erwachsenenalter hinwiesen. 1971 wurden Diethylstilbestrol-hältige Medikamente in den USA schließlich vom Markt genommen.
->   Mehr zu Diethylstilbestrol in Wikipedia.org
Aktuelle Studie: Zwei weit verbreitete Substanzen getestet
In der aktuellen Studie nahmen sich Barry Timms und Kollegen zwei Substanzen vor, von denen ihre dem Östrogen ähnliche Wirkung bekannt ist und die weit verbreitet sind:
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Ethinylestradiol und Bisphenol A
Ethinylestradiol befindet sich in vielen oralen Verhütungsmitteln. Nachdem rund drei Prozent jener Frauen, die mit der "Pille" verhüten, schwanger werden, kann davon ausgegangen werden, dass etwa zwei Millionen Frauen in den USA und Europa zumindest zu Beginn ihrer Schwangerschaft diese Substanz noch zu sich nehmen.

Bisphenol A steckt als Kunststoff-Baustein in Produkten aus Polycarbonat und damit in vielen Plastikflaschen und -verpackungen. Polypropylen, ebenfalls ein weit verbreitetes Material für Verpackungen, enthält kein Bisphenol A, allerdings kann der Konsument den Unterschied nicht erkennen.
->   Mehr zu Bisphenol A
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Geringe Mengen verabreicht
Die Forscher verabreichten Mäusen, deren Föten sich gerade in der Frühphase der Prostataentwicklung befanden (beim Menschen wäre das die 10. Schwangerschaftswoche), für fünf Tage eines der beiden chemischen Östrogene. In beiden Fällen bekamen die Mäuse geringere Mengen, als Menschen normalerweise zu sich nehmen.
Größeres Volumen, verengter Übergang zur Harnröhre
 
Bild: PNAS

Die Ergebnisse waren beängstigend: Die Bildreihe oben zeigt die Entwicklung der Ausführungsgänge jenes Teils im Körper, aus dem sich bei männlichen Babys die Prostata entwickelt (im Bild mit der UGS - Urogenitaler Sinus - bezeichnet). Es ist deutlich sichtbar, dass unter Einfluss der chemischen Substanzen mehr Gänge entstehen und sich auch das Volumen der Prostata vergrößert.

Die Reihe unten stellt den Übergang vom UGS (mit Pfeil gekennzeichnet) zur Harnröhre (*) dar, der bei jenen Tieren deutlich verengt ist, die Ethinylestradiol oder Bisphenol A verabreicht bekommen haben.
Gleiche Deformationen bei Menschen zu erwarten
Barry Timms und Kollegen gehen davon aus, dass die bei Mäusen beobachteten Veränderungen auch beim Menschen eintreten. Sie warnen davor, dass eine derartige Deformation der Prostata die Grundlage für spätere Erkrankungen - von ständigen Harnwegs- und Blaseninfektionen bis hin zu Krebs - bilden könnten.

Vor allem die Ähnlichkeit der Veränderungen mit jenen, die durch das verbotene Diethylstilbestrol ausgelöst werden, geben den Wissenschaftlern zu denken.
Forderung: Gesundheitsgefährdung prüfen
Nachdem insbesondere Bisphenol A als Bestandteil von Plastikverpackungen allgegenwärtig ist und unter hohen Temperturen oder bei Zerkratzen der Oberfläche in Nahrungsmittel übergeht, fordern die US-Forscher dringend, eine mögliche Gesundheitsgefährdung durch die Substanz nochmals zu prüfen.

[science.ORF.at, 3.5.05]
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01.01.2010