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Hannah Arendt - Denken ohne Geländer  
  Am 4. Dezember 2000 jährt sich zum 25. Mal der Todestag von Hannah Arendt, einer der bedeutendsten Denkerinnen des 20. Jahrhunderts.  

Als "Denken ohne Geländer" bezeichnete Hannah Arendt ihr eigenes Denken, das oftmals quer zum herrschenden verlief. Unbefangenheit und Beobachtungsgabe zeichnen es aus und führen zu eigenständigen Denkergebnissen in der politischen Theorie. Im Politischen sah sie die authentische Form menschlichen Handelns. Ihre Befürchtung, dass das Wirtschaftliche das Politische überwältigen könne, hat an Bedeutung nicht verloren.
Am 14. Oktober 1906 wird Hannah Arendt in Linden bei Hannover geboren. In einem sozialdemokratischen jüdisch-assimilierten Elternhaus in Königsberg wächst sie auf.
Die Liebe zu Heidegger
1924 beginnt sie ihr Studium der Theologie und Philosophie bei Rudolf Bultmann an der Universität Marburg. Später wechselt sie nach Freiburg, wo sie den jungen Philosophen Martin Heidegger hört, dessen Vorlesungen die Grundlage zu seinem Werk "Sein und Zeit" bilden. Eine heftige Liebe verbindet die brilliante Studentin für kurze Zeit mit dem damaligen "Superstar" der Universität. Der verheiratete Heidegger schiebt sie aber bald zu seinem Kollegen Karl Jaspers nach Heidelberg ab. Hannah Arendts Liebe für Heidegger bleibt jedoch bestehen. Bei den Entnazifizierungsprozessen wird sie sich für den politisch kompromittierten Philosophen verwenden.
Ihrem Mentor Karl Jaspers, bei dem sie 1928 in Heidelberg über den "Liebesbegriff bei Augustin" promoviert, bleibt sie ihr Leben lang freundschaftlich verbunden.
Deutsche Romantik und Jüdisches Dasein
Nach der Übersiedlung nach Berlin 1929 heiratet sie den Philosophen Günther Stern, der unter dem Namen Günter Anders veröffentlicht. 1937 wird diese Ehe wieder geschieden.
In diese Zeit fällt ihr erster Versuch, das jüdische Dasein existenzphilosophisch zu fassen: Ihre Forschungen zur deutschen Romantik und die Auseinandersetzung mit den Bedingungen der gesellschaftlichen Assimilation von Juden sind 1933 im wesentlichen beendet. Sie erscheinen jedoch erst 1959 unter dem Titel "Rahel Varnhagen. Lebensgeschichte einer deutschen Jüdin aus der Romantik".
Verhaftung und Flucht nach Paris
1933 wird sie für kurze Zeit durch die Gestapo inhaftiert. Ihr gelingt die Flucht nach Paris, wo sie bei verschiedenen jüdischen Organisationen arbeitet. Unter anderem hilft sie, jüdische Kinder aus dem Dritten Reich nach Palästina zu retten.
In Paris lernt sie Heinrich Blücher kennen, einen Kommunisten aus Rosa Luxemburgs Spartakisten-Bewegung, den sie 1940 heiratet. Ein halbes Jahr später marschiert die Wehrmacht in Paris ein. Nach einer mehrwöchigen Internierung im berüchtigten Auffanglager Gurs gelingt ihr die Flucht mit Ehemann und Mutter in die USA.
Ihr Hauptwerk "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft" erscheint 1951, zehn Jahre nach der Emigration in die USA und im selben Jahr, da sie die amerikanische Staatsbürgerschaft erhält. Diese Arbeit etabliert sie als bedeutende gesellschafts- und politikwissenschaftliche Theoretikerin. In diesem Werk verbindet sie die Entstehungsbedingungen von nationalstaatlichem Totalitarismus im 19. Jahrhundert mit der Entstehung des Antisemitismus. Mit ihrem Totalitarismusbegriff untersucht sie überdies die strukturelle Gleichheit von Faschismus und Stalinismus.
Vom tätigen Leben
In ihrer handlungstheoretischen Untersuchung "Vita activa oder vom tätigen Leben" (1960) unterscheidet sie drei Typen menschlicher Aktivität: die Arbeit, das Herstellen und das Handeln. Arendts These ist, dass seit dem Beginn der Moderne die Arbeit zu Lasten der politischen Handlungsfreiheit überhöht wird.
Eichmann in Jerusalem
1961 berichtet sie in Jerusalem für den "New Yorker" über den Prozess gegen Adolf Eichmann. Ihr Buch "Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht über die Banalität des Bösen" löste vor allem bei amerikanischen Intellektuellen einen Sturm der Entrüstung aus wegen Arendts Kritik am Verhalten der Judenräte in der Transport- und Vernichtungsmaschinerie der SS.
Der angesehene Religionswissenschaftler Gerschom Scholem bedauerte, dass es der Autorin an "Liebe zu den Juden" mangele. Arendt antwortete, dass sie in ihrem Leben kein Volk oder Kollektiv geliebt habe. Sie liebe allein ihre Freunde. Darüber hinaus sei ihr die Liebe zu den Juden suspekt, da sie selbst Jüdin sei.
Am 4. Dezember 1975 stirbt Hannah Arendt in New York.
 
 
 
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