Host-Info
Manfried Welan
Institut für Wirtschaft, Politik und Recht, Universität für Bodenkultur Wien
 
ORF ON Science :  Manfried Welan :  Gesellschaft 
 
Für eine neue Bundesverfassung!  
  Das österreichische Bundesverfassungsrecht ist ein ruinenhafter Torso. Seine Chaotik ist seit Jahrzehnten bekannt und man hat damit im Kreis der Verfassungsmandarine zu leben gelernt.  
Politisierter Verfassungsgerichtshof
Die politischen Akteure konnten überdies bis vor kurzem mit diesem Instrument geradezu nach Belieben operieren. Seitdem die alte Verfassungspartnerschaft von Rot und Schwarz nicht mehr besteht, hat es die Regierung schwerer. Sie operiert als schwarz-blaue Koalition mit einfacher Mehrheit und riskiert Anfechtungen durch die Opposition beim Verfassungsgerichtshof.

Dieser politische Gerichtshof wird dadurch noch mehr politisiert. Das ist gut, denn dadurch wird das Verfassungsrecht in seiner Problematik publik.

Ansonsten wird seine Problematik nur bei Jubiläen und unter Experten diskutiert. Aber durch diese Reflexionen wird aus dem Chaos kein Kosmos.
Deformation und Reformation der Verfassung
Seit Jahrzehnten wird die Bundesverfassung als baufällig, ausgehöhlt und Papiertiger bezeichnet. Wiederholt wurde eine Krise des Verfassungsstaates diagnostiziert. Die Verfassung habe als wichtigstes Symbol für die Berechenbarkeit der Politik abgedankt.

Trotz der ausufernden flüssigen Verwaltungsrechtsmasse waren aber alle Versuche größerer Reformen zum Scheitern verurteilt. Sie blieben bestenfalls Konzepte ohne Konsequenzen.

Auch die Projekte einer Textbereinigung und Wiederverlautbarung wurden nicht verwirklicht. So wurde Verfassungsrecht im Großen "deformiert", im kleinen bei Gelegenheit den Realitäten und den Bedürfnissen entsprechend "reformiert".
Vorbild Schweiz?
In den politischen Kräften und Institutionen fehlen die Initiativen und der Konsens, welche das chaotische und ruinenhafte österreichische Bundesverfassungsrecht zu einer Verfassung machen könnten. Wo sind die demokratischen Energien, welche die Verfassung für ihre ordnungsstiftende Aufgabe wieder errichten könnten, wie dies der Prozess der vor kurzem abgeschlossenen Totalrevision der Schweizer Verfassung uns gezeigt hat?
Große Reformthemen werden ausgespart
Eine emotionelle politische Bewegung für die Verfassungspolitik ist nicht vorhanden. Die politischen Kräfte beschränken sich auf Postulate, die auf ihre Interessen zurecht geschnitten sind. Die Reform der kleinen Schritte mag weitergehen und die Verfassung noch mehr verwaltungsmäßig formulieren.

Aber die großen Themen: Reform der Grundrechte, Neuverteilung der Zuständigkeiten im Dreiebenenföderalismus, Ausbau der Verfassungsautonomie der Länder, Reform des Regierungssystems - das alles wird voraussichtlich nicht gelöst werden.
Herausforderung für Zivilgesellschaft
Im Hinblick auf die EU-Entwicklung ist eine neue Verfassung gefragt. Der Schweiz ist es ohne EU gelungen, nach Jahrzehnten eine neue Verfassung zu erstellen, die kurz und gut ist. Gelingt es uns in der EU, die selbst auf der Suche nach einer neuen Verfassung ist, eine neue Verfassung zu finden?

In der jetzigen politischen Gesamtsituation ist bei uns die Zivilgesellschaft als solche herausgefordert, Verfassungsentwürfe zu erstellen. Solche "Privatentwürfe" werden nicht ohne politische Konsequenzen bleiben.

Sie werden in den Polylog der Politik eingehen und vielleicht ein neues Verfassungsgespräch einleiten. Mit dem Plädoyer für ein solches Gespräch und für Privatinitiative sind alle angesprochen, die Österreich in guter Verfassung sehen wollen.
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Gibt es ein "minderheitenfreundliches Mehrheitswahlrecht"? Der Rechtswissenschaftler Klaus Poier bejaht dies und diskutiert in seiner Antwort auf Manfried Welan das österreichische Wahlrecht vor aktuellem politischen Hintergrund.
->   Mehrheitswahlrecht zur Diskussion
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